Autorin: Sophie //
Ich bin Sophie vom Netzwerk Ella, eine Frau aus der Prostitution und ich möchte heute, den 25.11. an euch appellieren:
Tut etwas gegen die Gewalt!
„Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“ ist ein allbekanntes
Adorno-Zitat und wurde wahrscheinlich schon in sämtlichen Kontexten
verwendet. Meist assoziiert man es mit dem zweiten Weltkrieg, dem
Nationalsozialismus und den Deutschen, die sich, statt in großem
Ausmaß Widerstand zu üben, in eine „Gefälligkeitsdiktatur“ eingefügt
haben, um wieder Butter auf dem Brot zu haben. Sie versuchten, dieses
„richtige Leben im Falschen“ zu führen, schlossen die Augen vor dem
Unrecht, kooperierten und wurden zu Tätern. Später, als die NSDAP an
der Macht war, war es schwer möglich, sich zu widersetzen, aber
anfangs hätte etwas mehr Engagement und Wachsamkeit den Aufstieg
Hitlers wohl noch verhindern können.
Nun ist heute jedoch der 25.11. und damit „Internationaler Tag gegen
Gewalt gegen Frauen“ und Adornos Aussage in einem weiteren Kontext
aktuell. Wir versuchen noch immer, ein „richtiges Leben im Falschen“
zu führen. Jede 18 Sekunden wird eine Frau geschlagen, alle 3 Minuten
wird eine Frau vergewaltig, 25% aller Frauen sind von sexuellem
Missbrauch in der Kindheit betroffen und jede 3. Frau ist Opfer von
Gewalt.
All das liest man als gute Feministin heute auf seiner Facebook
Timeline, all das macht betroffen und all das wirft die Frage auf, ob
das denn nie enden wird und ob wir denn gar nichts erreicht haben?
Gefühlt die halbe Studentenschaft schimpft sich feministisch, an
Schulen gibt es „Girls-Days“ und in Betrieben wird nun die Sprache
gegendert. Wir feiern das Frauenwahlrecht und dass wir nicht mehr
Vater oder Ehemann fragen müssen, ob wir arbeiten dürfen.
Feminismus ist heute trendy. In Bekleidungsgeschäften gibt es
feministische Shirts, im Kiosk Karten für „starke Frauen“ und auch die
Vergnügungsindustrie vermarktet weibliche Heldinnen.
Der Feminismus ist also eine Marke geworden, ein Konsumgut, er ist für
alle da: Feminismus ist intersektional. Dadurch, dass Feminismus
intersektional geworden ist, ist er auch für Männer da. Für alle
Männer. Die, die sich als Frauen fühlen und die, die lieber zum
Jagdsport gehen und Steak essen. Auch Männer, die sich Frauen kaufen,
können Feministen sein. Die darf man ja nicht ausschließen, wo sie
sich doch so aufopferungsvoll für die sexuelle Befreiung der Frau
einsetzen. Kommt schließlich auch ihnen zu Gute, wenn wir das
Patriarchat abschaffen. Schließlich dürfen sie dann auch mal
Elternzeit nehmen. Oder so. Und müssen nicht mehr so viel
Verantwortung übernehmen. Verlieren ihre Vormachtstellung in den
Chefetagen DAX-notierter Unternehmen, aber wir streuen einfach ein
bisschen Glitzer drauf und dann ist ja alles ganz geil.
Dass diese Idee von Feminismus und das Streuen von Glitzer kein
Feminismus, sondern das Patriarchat 2.0 ist, wird mir an Tagen wie
heute immer wieder klar. Auch wenn wir mit dem Begriff inflationär
umgehen, in der Politik über Frauenquoten sprechen und Männer in
Elternzeit gehen, hat sich am Patriarchat nichts geändert. Noch immer
werden Frauen sexuell ausgebeutet, vergewaltigt und misshandelt. Jeden
Tag. Alle paar Sekunden. Tik Tak Tik Tak und schon wieder ist es
passiert. Wenn man sich das ganz bewusst macht, ist es kaum zu
ertragen.
Nun ist es jedoch so, dass Gewalt in der Regel strafrechtlich verfolgt
wird. In Deutschland gibt es Strafgesetze, die Körperverletzung,
Vergewaltigung und dergleichen unter Strafe stellen. Vielleicht nicht
ausreichend, darüber ließe sich diskutieren, aber immerhin ist es
verboten, Frauen so etwas anzutun.
Wohl gibt es jedoch einen rechtsfreien Bereich, in dem all dies
erlaubt ist und damit komme ich zum Hauptthema des Netzwerk Ella: der
Prostitution.
Hier sind all diese Gesetze plötzlich aufgehoben. Unter der
Voraussetzung, dass Männer eine bestenfalls Volljährige dafür
bezahlen, werden sie nun nicht mehr dafür bestraft, wenn sie
vergewaltigen, missbrauchen und schlagen. Sie dürfen nun all ihre
Fantasien ausleben und Frauen, die in einer Situation sind, in der sie
einfach nur Geld und Unterstützung bräuchten, ihren Trieb aufzwingen,
so destruktiv er auch sein mag. Freier dürfen alles tun, was
normalerweise illegal wäre, solange sie dafür bezahlen. Und ein großer
Teil moderner Feministinnen unterstützt das.
„Sexwork is Empowerment“ ist der Slogan, die Prostituierte wird als
attraktiver Gegensatz zur biedermeierlichen Hausfrau und Mutter
wahrgenommen.
Das in den Medien oft romantisierte und verklärte Bild der starken,
mutigen und ehrlichen Prostituierten, der Femme Fatale, die den
Männern den Kopf verdreht und von ihnen verehrt wird, ist das
herrschende Bild in den Köpfen der Menschen.
Aber die Realität sieht meistens anders aus.
Wir Frauen vom Netzwerk Ella sind eine Interessensvertretung von
Frauen aus der Prostitution. Gemeinsam haben wir, dass wir die
Prostitution als sexuelle Gewalt erlebt haben. Es ist unmöglich, solch
ein Ausmaß an Gewalt unbeschadet zu überstehen und deshalb setzen wir
uns für die Abschaffung des Systems Prostitution durch das Nordische
Modell ein.
In der Realität der Prostitution gibt es hohe Korrelationen zwischen
Prostitution und Missbrauchserlebnissen, Abhängigkeit, psychischen
Erkrankungen, Armut und häufig eben auch Zwang.
Die wenigsten Prostituierten sind schillernde Party-Prostituierte, wie
wir sie in den Medien erleben. Viele können kein deutsch und haben oft
auch keine echte Alternative.
Statt die Prostitution durch das Nordische Modell abzuschaffen zu
versuchen, versucht man durch Regulierungen und das Streuen von
Glitzer „das richtige Leben im Falschen“.
Das ist aber nicht möglich, weil die Prostitution per se schon einfach
falsch ist.
Man kann etwas Falsches nicht richtig machen, auch wenn man sich
tolle, modern anmutende „Lösungen“ einfallen lässt und man kann nicht
erwarten, dass Gewalt aufhört, wenn man ihr einen gesetzlich
regulierten Rahmen gibt.
Wenn es tatsächlich ein Recht auf Sex in jeder x-beliebigen Spielart
geben sollte, ist es nicht unglaublich armenfeindlich, dieses dann nur
gegen Bezahlung stattfinden zu lassen?
Grundwasser ist schließlich auch ein Menschenrecht und das gibt es umsonst.
Ein Sozialpsychologe hat die These aufgestellt, dass in einer
Gesellschaft immer 5% der Menschen progressiv sind, 5% reaktionär und
die 90% einer Sache gleichgültig gegenüber. Die Veränderung einer der
beiden Seiten bestimmt, in welche Richtung sich eine Gesellschaft
entwickelt. Veränderung geschieht dann, wenn man 1% der Massen dazu
bringt, sich für das eigene Anliegen zu engagieren, weil man dann ein
Gegengewicht gegen die Gegnerschaft aufbringen kann.
Gehen wir also davon aus, dass sich 5% für das Nordische Modell
interessieren und 5% für eine legalisierte Prostitution, 90% jedoch
haben keine Meinung.
Wenn es nun also ausreicht, einen weiteren Prozent der Masse mit der
richtigen Message zu erreichen, um ein System der Gewalt an Frauen
abzuschaffen, dann möchte ich hier mit diesem Text dazu aufrufen, sich
an der Agitation zu beteiligen.
Schreibt Briefe an den Bundestag, geht in die Sprechstunden eurer
Wahlkreisabgeordneten, teilt Beiträge in sozialen Medien und sprecht
über das Thema, klärt auf, bezieht Stellung und zeigt Solidarität.
Es bringt nichts, sich hier immer nur auf Facebook über die Lobby auszukotzen.
Werdet aktiv!
Denn wer nur wegsieht, macht sich schuldig.
Wer wegsieht, wird irgendwann von seinen Kindern gefragt werden, warum
er denn nichts gegen die Missstände getan habe.
Wer wegsieht, ist Mittäter.
(c) Sophie 2019
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