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Die Scheinheiligkeit der ‚Hilfe‘: Wie Beratungsstellen versagen

    Autorin: Clemonie //

    Immer wieder hört man, dass ein Ausstieg aus der Prostitution nicht linear verläuft. Alle, die davon betroffen sind, sagen es immer wieder. Trotzdem ist man selbst doch geneigt zu glauben, bei einem selbst wäre das alles ganz anders. Einfacher. Linear eben.


    Sobald man sich aus der Prostitution befreien konnte, beginnt man nachzudenken und all die schlimmen Dinge, die passiert sind, drängen sich nun noch mehr in die eigene Gegenwart, obwohl man doch gehofft hatte, das alles irgendwie gut wegstecken zu können. Dann beginnen Scham, Schuld und Selbstvorwürfe, dass diese Erfahrungen doch mehr belasten, als man selbst zugeben will. Das Schönreden funktioniert nicht mehr. Hätte man nicht stärker sein sollen? Habe ich es so nicht doch alles verdient?


    Eines Tages gibt es dann eine Situation oder Lebenslage, die triggert. Die alten Gefühle kommen hoch. Selbsthass, Ekel, Wut, Angst und noch so vieles mehr. Vielleicht befindet man sich in einer Schwebe, nicht wissend, wie es jetzt weitergehen soll. Wenn dann noch Geldprobleme oder Ähnliches hinzukommen, ist die unselige Mischung perfekt. In einer solchen Lage kann es dann vorkommen, dass man sich doch wieder mit einem Freier trifft. Wenn es denn dann noch bei einem Treffen bleibt…


    Dahin ist dann die Vorstellung vom glatten, linearen Ausstieg, auf den man gehofft hatte. Wird es noch mal passieren? Habe ich jetzt alles zerstört, was ich mir aufgebaut habe? Verdiene ich es überhaupt, ein Leben in Ruhe zu führen, in dem ich nicht ständig verletzt und angefasst werde? Jagende Gedanken wechseln sich mit einer Leere im Kopf ab, in welcher man Raum und Zeit verliert -, nur um irgendwann auf dem Boden aufzuschlagen.


    Um sich selbst nicht noch mehr Probleme einzuhandeln, beschließt man dann, sich anzumelden. Mit Beratung und so. Alles ganz legal und gut, oder?


    Das Beratungsgespräch rauscht an mir vorbei. Viel nehme ich nicht wahr, nur immer Bruchstücke. Aufmerksam schaue ich mir die Sozialarbeiterin an; sie ist etwas älter als ich, schön geschminkt und zurechtgemacht. Sie lächelt mich immer wieder an, während sie mir von den Vorteilen der sogenannten „Sexarbeit“ erzählt. Begriffe wie „große Freiheit“, „Spaß“ und „feministische Selbstbestimmung“ fallen. Vorsichtig schüttele ich den Kopf.


    Als ich nachfrage, wie viele Frauen sich hier denn aus den oben genannten Gründen anmelden, antwortet mir die Beraterin, es seien die meisten, wobei diese Frauen aus einem ihr nicht verständlichen Grund wenig bis gar nicht mit ihr sprächen. Dabei sieht sie wirklich verwundert aus. „Natürlich glaube ich Ihnen, dass die meisten Frauen Ihnen hier wenig sagen“, antworte ich. Ein Schulterzucken folgt.


    Noch mal weise ich auf meine finanzielle Notlage hin und frage, ob es noch andere Möglichkeiten gäbe, an die ich noch nicht gedacht habe. „Die Sexarbeit ist doch ein toller Weg, frei und zeitlich flexibel zu arbeiten, so neben dem Studium“, betont die Sozialarbeiterin und lächelt wieder. Ein Stich fährt durch mich.


    Zum Ende dieser Werbeveranstaltung bittet die Beraterin mich, ihr die noch offenen Fragen zu stellen. Das tue ich auch. „Was ist, wenn ich dabei sterbe?“, höre ich mich sagen. Die Antwort folgt direkt: „Da brauchst du dir überhaupt keine Sorgen zu machen, heute ist das Gewerbe sehr sicher. Es passiert nur ganz selten etwas. Wie in jedem Beruf. Wirklich, da kannst du mir glauben.“


    Es ist diese Reaktion, die mich etwas aus dem Nebel hochholt und Wut in mir aufsteigen lässt. Wer schon einmal in einer solchen Anmeldestelle war, weiß, wie es dort aussieht; überall steht und hängt Infomaterial zu Notlagen. Ein Plakat für eine Gewalthotline, die auch in Fragen zum Thema Menschenhandel berät und das sogar in mehreren Sprachen. Dann ein Broschürenständer mit kleinen Heftchen zu den verschiedenen Suchtmitteln, seien es illegale Drogen, Alkohol oder auch Medikamente. Hilfreiche Tipps und Anlaufstellen für einen Entzug liegen auch aus, ebenso wie Adressen für die Obdachlosenhilfe. Von den vielen Materialien zu Krankheiten fange ich an dieser Stelle gar nicht erst an.


    Kurzum: Gewalt, Drogen, Menschenhandel, Krisen, Obdachlosigkeit, psychische und körperliche Krankheiten wie HIV, Sucht, Syphilis, PTBS, Chlamydien, Psychosen, Herpes, Angststörungen…


    Als ich mich nach einigen Sekunden wieder etwas beruhigt habe, frage ich, wieso denn derartiges Infomaterial in einer solchen Fülle notwendig ist, wenn alles sicher ist. Die Beraterin winkt ab und sagt mir, dass es nur dort hänge, falls man es bräuchte, was aber selten sei. Die Frauen sollen sich laut ihr sicher fühlen. Die Sozialarbeiterin strahlt mich nun noch breiter an.


    Na, wenn das Gefühl gut ist, scheint ja alles in Ordnung zu sein. Dass sich die Realität leider anders verhält, schneide ich jetzt nicht noch mal an, das habe ich bei der Gesundheitsberatung schon getan. Mehrmals. Dafür fehlt mir jetzt die Kraft.
    Auf die Frage, ob es sonst noch etwas zu besprechen gäbe, schüttele ich den Kopf. Wir verabschieden uns. Wieder liegt meine Wahrnehmung im Nebel.


    Nachdem ich die Papiere in der Hand halte, verlasse ich die Beratungsstelle. Es ist sinnlos, hier auf wirkliche Hilfe zu warten. Trotz der unter objektiven Gesichtspunkten schlimmeren Erfahrungen der Vergangenheit ist sie wieder da, diese maßlose Enttäuschung von der Gesellschaft, in der all dies einfach geschieht und man so tut, als wäre das in Ordnung.

    Vermutlich ist das Gefühl jetzt da, weil einem von ganz offizieller Seite gesagt wird, dass jetzt alles seine Richtigkeit habe. Dass gut sei, was passiert.
    Diese Enttäuschung und Verzweiflung wird immer schlimmer, sodass ich mich beeile, möglichst schnell zu Hause zu sein. Ein Zuhause, was nicht unbedingt sicher für die Zukunft ist.

    Dennoch ist es ein Ort, an dem ich mich – zumindest für diesen Monat – vor der Scheinheiligkeit der Gesellschaft verstecken kann.

    (c) Clemonie

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