Autor: Ella

Die Basics, Teil 7

Gute versus Schlechte Prostitution Oft wird so getan, als gäbe es eine gute und eine schlechte Prostitution: „Schlecht“ meint Zwangsprostitution, Gewalt und Alternativlosigkeit. „Gut“ dagegen zeichnet das Bild einer unabhängigen, emanzipierten und freiwilligen Prostituierten, die alles unter Kontrolle hat, vor allem ihre Freier. Alles dazwischen könne durch bessere Rahmenbedingungen gemanagt werden, ein „Job wie jeder andere“ eben. Und zweifellos sei sexuelle Selbstbestimmung auch dann möglich, wenn die eigene Existenzgrundlage von der Lusterfüllung der Kundschaft abhängt. Die Art, wie die Debatte geführt wird, basiert aber nicht nur auf dieser lebensfremden Hypothese. Nehmen wir einfach mal an, es gäbe tatsächlich eine „gute“ Prostitution. Ähnlich, wie es gewisse erotische Vorlieben gibt, die Erwachsene einvernehmlich ausleben können. Ein Gedankenspiel: Es ist Sonntag Mittag, draußen regnet es, aber das stört dich nicht weiter. Du sitzt mit deinen zwei besten Freundinnen am Küchentisch mit Kaffee und Kuchen vom Bäcker von nebenan. Marie und Lea. Eigentlich redet ihr über Maries kleinen Dackel, der bisher weder stubenrein ist noch alleine zu Hause bleiben kann. Aber du kannst dich nicht konzentrieren und musst es …

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Die Basics – Teil 6

Viele Wege führen in die Prostitution. Mit Aufkommen von Angeboten wie Online Coachings “für eine erfolgreiche Karriere auf OnlyFans!” werden in Zukunft sicherlich weitere Wege erschlossen werden. Was für eine „Errungenschaft“ unserer Gesellschaft… Und es gibt wirklich viele Wege. Der Hauptweg, quasi die Achterbahn ins Milieu, ist sexueller Missbrauch in der Kindheit. Zusätzlich gibt es unzählige Seiten- und Landstraßen, zum Beispiel andere Kindheitstraumata, Gewalterfahrungen oder Armut. Nicht zu vergessen natürlich: Zwangsprostitution verschiedenster Art (Menschenhandel kennt übrigens weder Landes- noch Altersgrenzen). Einmal in der Prostitution angekommen, wird der eigene Körper zur Ware. Männer bezahlen und erhalten den Zugriff auf dich und deinen Körper. Wie wir gesehen haben, glauben knapp 40% der Freier, deinen Körper völlig uneingeschränkt benutzen zu “dürfen”. Und nur wenige Prozentpunkte weniger, dass Vergewaltigung kein Konzept ist, das auf dich zutrifft. “Ich hab dich nicht vergewaltigt, du bist doch nur ne Nutte” ist ein Satz, den so oder so ähnlich sicher schon viele Prostituierte gehört haben. Wenn du Glück hast, hört dein Körper schnell auf, mitzumachen. Du spürst kaum noch etwas, dein Kopf fühlt …

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Die Basics, Teil 5

Heute schauen wir uns die Seite der Freier an. Keine Argumentation, nur Fakten. Auszüge Untersuchung 1:Männer in Deutschland, die für Sex zahlen – und was sie uns über das Scheitern der legalen Prostitution beibringen: ein Bericht über das Sexgewerbe in 6 Ländern aus der Perspektive der gesellschaftlich unsichtbaren Freier Zusammenfassung Methode: Umfrage, 763 Sexkäufer insgesamt, davon 96 aus Deutschland; anonyme Interviews; qualitative und quantitative Daten Zitate von befragten Freiern: – „In Deutschland sind die Gesetze nicht so wirksam; man kann fast alles machen, was man will. Es sieht aus, als hätte alles seine Ordnung, aber das sind nur Worte.“ -„Sie war gezwungen. Ich konnte es an ihrem Verhalten sehen: sie hatte keinen Willen. Sie war da wie eine Sexmaschine. Ich hatte trotzdem mit ihr Sex weil ich dafür bezahlt habe.“ -„Die Prostituierte steht unter der Fuchtel des Zuhälters. Sie ist sein Eigentum.“ Umfrageergebnisse, spezifisch Deutschland: – 55% gaben zu, einen Zuhälter oder Menschenhändler beobachtet oder bezahlt zu haben; 62% haben Menschenhandel vermutet; nur 1% haben Menschenhandel den Behörden gemeldet. – 35% der befragten deutschen Freier …

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Die Basics, Teil 4

In Teil 2 haben wir darüber gesprochen, wie Sprache Debatten verzerren kann. Als Beispiel haben wir die Begriffe „Zuhälter“ und „Bordellbetreibender“ gegenübergestellt. Hier nochmal zur Erinnerung: Als „Bordellbetreibenden“ kann ich mir den freundlichen Nachbarn Peter vorstellen, der mehr oder weniger selbstständigen Frauen Räumlichkeiten bietet, damit diese ihrer Tätigkeit nachgehen können. Wenn ich über Missstände nachdenke, frage ich mich, ob Peter die Räumlichkeiten in Ordnung hält und vielleicht ab und zu auch mit den Frauen spricht. Denke ich an den „Zuhälter“ Peter, habe ich ein ganz anderes Bild. Der „Zuhälter“ Peter heißt wahrscheinlich gar nicht Peter, das ist nur ein Pseudonym. Von diesem Peter erwarte ich unechten Charme, um Frauen um den Finger zu wickeln, und dann Gewaltbereitschaft, um sie gefügig zu halten, sobald sie einmal für ihn arbeiten. Emotionale Kälte, sich jederzeit zu „nehmen was ihm gehört“. Wenn ich über Missstände nachdenke, denke ich an Ausbeutung, an Manipulation und Gewalt und Vergewaltigung, an Menschenhandel, Zwangsprostitution und an Minderjährige, denen Peter sagt, sie sollen behaupten sie seien 18. Außer bei manchen Kunden, denen sie ihr wahres …

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Die Basics Teil 3

Ursprünglich sollte dieser Text einen Überblick geben über die internationalen Abkommen und Menschenrechtskonventionen, die für Prostitution relevant sind. Aber um das Verhältnis von Menschenrechten und Prostitution zu verstehen, braucht es keine seitenlangen Abhandlungen. Denn es gibt da diesen einen Satz: Ein einzelner, kurzer Satz, der das exakte Gegenteil von Prostitution beschreibt. Und der reicht aus. Er beschreibt das Gegenteil davon, wenn einem nachts im Winter der Zuhälter die Jacke abnimmt. Davon, sich im Anschluss für 40€ gegen eine vereiste Mauer ficken zu lassen, um Essen auf den Tisch zu bekommen. Im Wissen, dass von diesen 40€ keine 40€ für Essen übrig bleiben. Das Gegenteil davon, von der Gnade des “Bordellbetreibenden” abhängig zu sein für jede Mahlzeit, jeden Arztbesuch. Weil man die Landessprache nicht spricht, die Gesetzeslage nicht kennt – womöglich nicht mal weiß, wo genau man sich befindet. Die Kunden scheinen es komischerweise nicht zu hinterfragen, wenn die “Sexarbeiterin” sie kaum versteht oder nur auf Englisch kommuniziert. Wenn sich Zuhälter “ihre” Frauen nehmen, wann immer sie Lust dazu haben, wird das im Milieu meist nicht …

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Die Basics, Teil 2

Sprache ist etwas Merkwürdiges. Sie hilft uns, Dinge klar zu benennen, Konzepte abzugrenzen und eine gemeinsame Diskussionsbasis zu finden. Richtig eingesetzt, kann sie Brücken schlagen selbst zwischen den abgelegensten, voneinander entferntesten Positionen. Aber sie kann auch das Gegenteil erreichen. Wenn Sprache zu reinen rhetorischen Kampfmitteln verkümmert und Argumente vorrangig dazu aufgeführt werden, um inhaltsleere Worte anstelle der eigentlichen Debatte mit Bedeutung zu füllen. Ad absurdum geführt wird es dann, wenn wir uns nur noch unterschiedliche Begrifflichkeiten entgegenschreien – die eine ruft „Es heißt Bordellbetreibende!“ die andere „Das sind aber Zuhälter!“. Als „Bordellbetreibenden“ kann ich mir den freundlichen Nachbarn Peter vorstellen, der mehr oder weniger selbstständigen Frauen Räumlichkeiten bietet, damit diese ihrer Tätigkeit nachgehen können. Wenn ich über Missstände nachdenke, frage ich mich, ob Peter die Räumlichkeiten in Ordnung hält und vielleicht ab und zu auch mit den Frauen spricht. Denke ich an den „Zuhälter“ Peter, habe ich ein ganz anderes Bild. Der „Zuhälter“ Peter heißt wahrscheinlich gar nicht Peter, das ist nur ein Pseudonym. Von diesem Peter erwarte ich unechten Charme, um Frauen um den …

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Die Basics, Teil 1

Jeder Mensch kennt es wahrscheinlich, wenn man im Chaos des Alltags das Wesentliche aus den Augen verliert. Wenn man sich über Dinge aufregt, die eigentlich gar nicht wichtig sind, oder in Streitereien gerät, bei denen keiner der Seiten mehr weiß, worum es überhaupt geht. Oder, die Trauma-Variante: Wenn man vergisst, was man schon alles geschafft hat und dass die Bilder und Gedanken im eigenen Kopf eigentlich zur Vergangenheit gehören. Im Alltag ist das menschlich und normal. Mit Routinen, Self-Care-Momenten oder einem warmen Kaffee am Morgen kann man versuchen, zur Ruhe zu kommen und wieder klarer zu sehen. In politischen Diskussionen passiert dasselbe, gerade in der heutigen algorithmen-gesteuerten und klick-finanzierten Zeit. Anstatt sich mit der Sache auseinanderzusetzen, wird der Konflikt über persönliche Attacken und Metadiskussionen auf Nebenschauplätze verschoben. Für alle, die neu auf uns gestoßen sind, und alle, die vielleicht dabei sind, sich in solchen Nebenschauplätzen zu verlieren, möchten wir uns in den nächsten Wochen regelmäßig die Zeit nehmen, um in Ruhe zu rekapitulieren: Wer sind wir, wofür kämpfen wir, warum und wie sind wir zu …

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Schöner Schein für Einschaltquoten

Autorin: Jara Anouk // Der Text einer anderen Ella hat mich dazu inspiriert oder besser ermutigt, mich mit der Verantwortung der Medien in Bezug auf Reportagen über das Rotlichtmilieu zu beschäftigen beziehungsweise zu äußern. Ich selbst war eine Akteurin in mehreren Reportagen mit verschiedenem Inhalt, aber in der Tat jedes Mal mit der Botschaft: „Alles ist freiwillig, alles ist Zucker, ein ganz normaler Job, mit dem sich gutes Geld verdienen und ein tolles Leben führen lässt.“ Fakt aber ist: Es war alles Fake. Anhand einer Reportage mit mir als Domina – als solche habe ich tatsächlich damals begonnen -, an dieser Stelle ein Beispiel zur Verdeutlichung: Gedreht wurde in einem Studio, das ich nicht kannte, mit einem Sklaven, der zuvor noch nie bei mir gewesen war. Darum gekümmert hatte sich die Fernsehproduktionsfirma. Immer gefragt in solchen Reportagen: Ein privater/persönlicher Einblick ins Leben einer Protagonistin. Ich gebe zu, um jenen habe ich mich bemüht, allerdings war der Produktionsfirma klar, dass jener private Einblick in mein Leben nur Show ist. Gedreht wurde in einer Wohnung, in der …

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Schein, Sein und Schuld – Do stop believin’!

Autorin: Ronja // Inspiriert durch zwei andere Ellas habe ich mich nochmal dem Bild der Prostitution gestellt, das ich einmal hatte – und dem, das aber im Gegensatz dazu meiner Realität entsprach. Als Teenagerin entdeckte ich meine Liebe zur Rock Poesie und insbesondere zu einem ganz bestimmten Literaten. Einer, der viel und gern über Rock’n’Roll und Boxen und, kurz und klischeetriefend gesagt, über ‘schwere Jungs’ und ‘leichte Mädchen’ geschrieben hat.Ganz besonders über Domenica [1].Erst nachdem ich viele Jahre später die Prostitution hinter mir lassen konnte, lernte ich, wie tragisch und traurig auch Domenicas Schicksal zuweilen war und dass im folgenden Absatz wohl genau der Rock Poet, der meine Teenagerjahre so prägte, gemeint ist: „Für einen namhaften Dichter, der sie einst als Muse schätzte, habe Domenica, so erzählen andere Freunde, nur noch Verachtung empfunden.“ [2] Damals, lange vor diesem Wissen, war der Samen aber gepflanzt.Durch ihn und sie und andere Frauen im Milieu wie Felicitas Schirow, in deren Café Pssst! ich auch mal anschaffen war und über das ich hier später noch schreiben werde. Und durch …

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