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Pornographie und Prostitution

    Autorin: Ronja //

    Es folgt ein langer Rundumschlag zum Thema Porno, der Verschränkung von Pornografie und Prostitution und vor allem der Problematik der „Teen“-suchenden Konsumenten und Freier. Ausgelöst wurde das Ganze durch eine private FB-Diskussion und ich möchte meinem lieben Freund ganz herzlich für seine unterstützende Haltung hinsichtlich dieses Postings danken. 🙂

    Triggerwarnung: Porno, Missbrauch von Minderjährigen, zum Teil explizite Sprache (die ich mir hier wirklich mal nicht verkneifen konnte)

    Neulich gab es in meinem privaten Umfeld eine Diskussion zur Porno-Kategorie „Teen“. Ein lieber Freund von mir hat dazu kritisch gepostet und zwei Männer kamen dann aber gleich mit Pseudo-Rechtfertigungen an. Von wegen: „Naja, aber das sind eh keine Teens und denen sieht man das ja eh auch an.“ (gleich noch diese Wertung reindrücken, gell, Mann kann’s ja…)

    Das hat mich auf die Palme gebracht, denn:
    Darum, ob die Darstellerin ja (bestenfalls!) gar kein Teenager mehr ist, geht es doch nicht mal nur!
    Sondern um die Kategorie!
    Wer „Teen“ sucht/schaut, sucht zumindest die Phantasie und die Szenen sind ja oft auch so konstruiert, dass diese Phantasie mehr als deutlich bedient werden soll (Babysitterin/Schülerin/Stieftocher usw.). Und das macht was mit dem Blick der Konsumenten auf Mädchen/Frauen, Sex, Grenzen/Grenzüberschreitungen und Machtmissbrauch.

    Und es macht auch was mit jungen Mädchen und Frauen, die sich der porn culture natürlich nicht gänzlich entziehen können.
    Peer pressure, weil alle mal sowas gucken und weil Schwarm xy ja bestimmt auch ein „ganz normaler Kerl“ ist, der dann ja wohl Porno-Performance und -Körper erwartet.

    Und nicht wenige Porno-Konsumenten sind ja auch irgendwann in ihrem Leben Freier. Oder andersrum: es gibt wohl auch keinen Freier, der Pornografie ablehnt.
    Auch in der Prostitution waren wir also diesem Schema ausgesetzt. Kaum eine Frau, außer sie wird sogar schon als Minderjährige gegen Geld missbraucht und auch davon haben wir im Netzwerk Ella leider nicht wenige Ex-Betroffene, gibt für Freier ihr echtes Alter an. Aus 20-25 wird 18, aus 26-28 wird vielleicht 21 und mit 29 hören wir eh alle auf zu altern bis es vielleicht in den „MILF“-Markt geht.
    Klar, da sagen dann Typen auch wieder: „Naja, aber ist doch nicht schlimm, die ist doch eh älter und eigentlich werde ICH doch hier betrogen!“
    NEIN!
    DU suchst explizit nach Teen / jungem Twen. Überlege mal, warum!
    Ebenso auch in der Prostitution die nachgefragten Szenarien von der wahlweise schüchternen oder slutty Schülerin usw.
    Dazu schaue man sich bitte auch, bei starken Nerven, sogenannte Freierforen an (die verlinke ich hier nicht, sind aber schnell gegoogelt, aber absolute TW an dieser Stelle) oder die Seite „die unsichtbaren Männer“ an (Link als Kommentar). Die Statistiken und Wortfrequenz-Auswertungen dort zeigen erschreckend deutlich, wie skrupellos Freier nach einer Gruppe der Vulnerabelsten unter allen Opfern des Systems Prostitution suchen und über sie denken.

    Und es kommt sicherlich nicht von ungefähr, dass eine sehr medienwirksame Prostituierte sich bis heute als „Kindfrau“ vermarktet…

    Und „Teen“ ist hier das eine. Es gibt ja auch die Porno-Kategorie „forced“ oder wie sie jeweils heißt. Und nein, hier meine ich nicht mal BDSM sondern wirklich r*pe-porn-Kategorien.
    Auch in der Prostitution wird sowas entsprechend nachgefragt, auch immer öfter, weil der Porno-Markt eben die Vorlagen liefert und die subjektive Empfindung, was denn „normaler“ Sex sei, beeinflusst.

    Es darf nicht sein, dass Typen immer noch sagen können: Ja, naja, aber wir wissen doch, dass die eigentlich alle keine Teenager mehr sind / die Gewalt nur „gespielt“ ist (entweder im Porno oder von ihnen selbst).
    Denn erstens ist das ganz und gar nicht sicher gegeben!
    Und zweitens sollten sich diese Männer lieber mal fragen, wieso sie, selbst in dieser naiven Ausredenannahme, Pornokategorien suchen/schauen, die Handlungen vorspielen (also, again: bestenfalls…), die irl schlichtweg und aus guten Gründen illegal sind und moralisch sofort und ohne nachzudenken geächtet gehören! Oder solche Szenrarien sogar höchstselbst einer Frau antun wollen – natürlich als „Spiel“.

    Für uns ist es kein „Spiel“! Denn wir werden damit nicht nur körperlich, sondern auch seelisch noch mehr als eh schon gegen unseren eigenen Wunsch und Willen gef*ckt, wenn wir uns z.B. mit Mitte 20 auf jung schminken und eine Schuluniform anziehen sollen um eine Schülerinnen-Phantasie zu bedienen. Auch solche Szenarien verschärfen die oft sowieso nötigen Dissoziationsmechanismen und reden uns zum Teil sogar „Blitzableitergedanken“, also Verantwortung ein. Nach dem Schema:„Wenigstens ging er zu mir und nicht zu einer echten Minderjährigen.“
    Obwohl nicht WIR hier die Verantwortung tragen müssen. Sondern die Männer und die Gesellschaft, die Männer hervorbringt, die genau diese Phantasien bedient haben wollen.

    Diese Porno-Bilder werden also auch in die Prostitution getragen und schaden allen Frauen dort. Aber eben auch jeder Frau darüber hinaus, die an einen Mann gerät, der vielleicht schon auf dem Grundschulhof als Mutprobe mit anderen Jungs den ersten Porno auf dem Handy sah und mit diesem verzerrten Bild von Sexualität aufwächst.

    Und zuletzt: Nicht wenige Frauen wechseln von Porno zu Prostitution oder andersherum. Und Aussteigerinnen aus dem Porn-Biz haben es oftmals noch schwerer, über ihre Vergangenheit eines Tages hinweg kommen zu können, weil diese Bilder eben in Internetzeiten kaum mehr endgültig aus der Welt zu schaffen sind.

    Pornografie ist gefilmte Prostitution.
    Und solche Verharmlosungen von Kategorien wie „Teen“ sprechen Bände über Konsumenten und Freier.
    Es braucht das Nordische Modell, mit seiner wichtigen Säule der antisexistischen gesellschaftlichen Aufklärung, damit echte Gleichstellung und Augenhöhe der Geschlechter in jedem Lebensbereich zu erreichen ist!

    (c) Ronja

    Warum hast du ihn nicht einfach angezeigt?!

      Autorin: Marlene //

      …eine Frage, die mir häufig gestellt wird, wenn ich meine Geschichte erzähle.
      Aus der Prostitution kam ich dann meiner Schwester, der ich mich irgendwann, als es nicht mehr anders ging, anvertraute. Sie kam zu mir und holte mich ab. Ich war damals noch der Meinung, ich sollte noch ein paar Tage bleiben und arbeiten- das Geld hatte ja mein Zuhälter kassiert, der in diesem Moment nicht in der Stadt war. So wollte ich zumindest noch etwas für meine „Flucht“ zusammen kriegen. Natürlich ließ sie mich das nicht durchziehen und kam sofort zu mir, was das Beste war, was sie hätte tun können.
      Obwohl ich sie bat, nicht die Polizei einzuschalten, tat sie es. Wer den genaueren Verlauf vor Gericht nachlesen möchte, kann das gerne hier tun.

      Worüber ich heute schreiben möchte, sind die Gründe, wieso ich das nicht wollte und auch lange Zeit damit gehadert habe- gerade, weil ich darauf auch oft angesprochen werde.
      Ich hatte damals absolut kein Vertrauen in die Polizei. Zum Einen ist die im Milieu geradezu „der Feind“, mit dem man nicht spricht- was ich also getan habe, war Aus Sicht meines Zuhälters und seiner Leute Verrat. Durch diese indoktrinierte Denkweise war es das damals auch für much, weshalb ich auf der Wache nur Personalien angab, wie ich es eben musste, und dann ging. Mehr sagte ich zuerst nicht. Ich wollte weg, aber ich wollte ihn nicht „verraten“.
      Ich saß damals auf dem Bett in der Wohnung, wo mich die Polizei abholte, und sagte ihnen, ich könnte nicht mit kommen, ich würde doch sonst das Leben meines Zuhälters zerstören. Einer der Beamten schaute mich an und meinte dann, wenn ich nicht mit käme, würde ich mein eigenes leben zerstören. So theatralisch das alles klingen mag, er hatte Recht.

      Nachdem ich zurück bei meiner Familie war und etwas Abstand hatte, wurde ich auch immer wieder von der Polizei kontaktiert. Man bräuchte meine Aussage, denn da es auch um körperliche Gewalt ging, wäre das öffentliche Interesse da.
      Also sagte ich irgendwann aus- Aber nicht, weil ich mich rächen wollte oder weil ich mir davon Gerechtigkeit oder irgendetwas anderes versprach, sondern weil ich das Gefühl hatte, dass mir sowieso keine andere Wahl bleibt.
      In Gegenteil, ich hatte eher Angst, dass mir niemand glauben würde. Was konnte ich denn beweisen? Noch dazu wollen da wildfremde Menschen die intimsten Details von mir wissen. Ich fühlte mich so dumm, nackt und schämte mich.
      Vor allem die Frage, wie ich denn überhaupt dazu kam, mich für meinen Zuhälter zu prostituieren- ich habe bis heute keine bessere Antwort darauf als „steter Tropfen Höhlt den Stein“.
      Ich war ein Kind ohne Wurzeln in der Familie, mit einer manipulativen Mutter, das es gewohnt war, etwas zu leisten, um Aufmerksamkeit oder „Liebe“ zu bekommen. Auf einmal war da jemand, der mir genau dieses Modell einer „Beziehung“ bot, mit dem ich aufgewachsen war. Und irgendwann gab ich dann eben nach. Ob das der Polizeibeamte so gut nachvollziehen kann?
      An sich zog sich das Verfahren über mehrere Jahre und ehrlich: mir war es egal, wie es ausging. Ich verzichtete auf Schmerzensgeld oder eine Nebenklage, weil ich 1. Zu stolz war, um von einem Menschen wie meinem Zuhälter Geld anzunehmen und 2. Offiziell mit Sicherheit bei ihm nichts zu holen gewesen wäre.
      Änderte es irgendetwas für mich, ob er verurteilt wurde oder nicht? Es gab mir nicht die verlorene Zeit zurück, es machte nichts rückgängig. Kein Gerichtsurteil der Welt könnte mir Gerechtigkeit verschaffen.
      Das Einzige, was ich hoffe: dass es andere Frauen ermutigen könnte, sich zu wehren und zu gehen. Mit den richtigen Polizisten, die einem glauben und das Gefühl geben, ernst genommen zu werden, mit Richtern und Staatsanwälten mit dem nötigen Feingefühl kommt man auch durch so einen Prozess. Nur weiß man das eben nicht vorher- und ich weiß, ich hatte auf diesem Weg wahnsinniges Glück.

      Hinzu kam noch die Angst vor Konsequenzen. In der ersten Zeit, nachdem ich weg war, drohte mir mein Zuhälter mit allen möglichen Dingen, die passieren würden, wenn ich aussagen sollte.
      Ich kannte ihn, ich kannte sein Umfeld, ich wusste, wozu er und seine Leute in der Lage waren. Abzuhauen und ihm damit seine Einnahmequelle zu nehmen war schon eine heftige Provokation und in seinen Augen auch Grund dafür, dass ich Schulden bei ihm hätte.
      Es gab auch Drohungen gegen meine Familie- ein Grund, weshalb ich überhaupt so lange gewartet hatte, zu gehen. Ich wollte nicht verantwortlich dafür sein, dass jemandem, den ich liebe, etwas zu stößt, nur weil ich Scheiße gebaut hatte.

      Daher verstehe ich jede Frau, die sagt, sie hat nicht die Kraft, zu viel Angst oder andere Gründe, nicht auszusagen und nicht anzuzeigen. Wäre es bei mir damals nicht so verlaufen, hätte ich es wahrscheinlich auch nicht gemacht.
      So oder so hat niemand das Recht, zu urteilen, ob es richtig oder falsch ist. Die Dinge sind oft nicht so einfach, wie sie von außen erscheinen. Selten kennt jemand die ganze Geschichte und was es heißt, das Ganze gedanklich immer wieder zu durchleben.
      Wäre es gut, wenn mehr Frauen auspacken würden und es mehr Verurteilungen gäbe? Mit Sicherheit, aber dafür bräuchten wir auch ein Rechtssystem, das den Frauen eben diese Sicherheiten, Schutz und vor allem Hilfen und Alternativen bietet, denn so, wie der Rechtsstaat momentan „hilft“, verstehe ich jede Prostituierte, die dem Ganzen misstraut.

      Ich für meinen Teil habe heute damit abgeschlossen. Meiner Schwester bin ich nicht mehr böse, dass sie die Polizei eingeschaltet hat- sie hatte nur gute Absichten, auch wenn ich sie gebeten hatte, es nicht zu tun.
      Vor meinem Zuhälter fühle ich mich heute nicht mehr schuldig, denn ich habe nichts getan, als die Wahrheit zu sagen.
      Für mich hat dieser Prozess nichts verändert und ich bin froh, dass die Zeit der ewigen Verhöre und Verhandlungen vorbei ist.
      Ich wünsche mir nur, dass sich in unserem Rechtssystem etwas ändert, damit sich mehr Frauen trauen, zu sprechen und Hilfe zu bekommen.

      (c) Marlene

      Eine normale Beziehung führen nach Prostitutionserfahrung?

        Autorin: Anna //

        Für mich kaum möglich. Ich bin seit 3 Jahren in der Prostitution. Immer wieder sage ich mir, dieses Mal ist es das letzte mal, wenn ich es mache. Und trotzdem kann ich heute immer noch nicht von mir behaupten, dass ich ausgestiegen bin. Die Prostitution war für mich zerstörend. Widerlich, primitiv, Abneigung – all das sind Wörter die ich mit ihr verbinde. Und trotzdem lerne ich hier etwas über Menschen. Während ich mich mit ihren Männern unterhalte, mit ihnen schlafe , lerne die Gründe wieso verheiratete Männer ihren Frauen fremdgehen – auch die von Männern die von sich behaupten sie wären glücklich verheiratet. Natürlich tun mir diese Frauen leid.

        Den Männern gegenüber empfinde ich Abneigung. Ich habe viele meiner Freier nach Gründen für ihren Betrug gefragt. Ich wollte es wissen, um es in meiner zukünftigen Beziehung zu verhindern. Sie nannten mir andere Gründe wie „meine Frau ist zu dick, ich finde sie unattraktiv.“ „wir sind uns beide zu alt, wie finden uns nicht mehr anziehend.“ „Hier kann ich junge attraktive Mädchen f*cken an die ich in meinem Alter niemals kommen würde.“

        Muss ich also schön sein um nicht betrogen zu werden? Versuchen für immer möglichst jung auszusehen, mich Diäten unterziehen damit ich schlank bleibe?

        Ein anderer Freier sagte: „meine Frau ist 20 Jahre jünger als ich und hat eine Top Figur, aber sie lässt sich einfach nicht in den Arsch f*cken.“

        Muss ich also sexuell extrem aufgeschlossen sein, vielleicht sogar Dinge machen die mir weh tun oder die ich nicht möchte, damit er es sich nicht woanders holt?
        Ein anderer Freier meinte zu mir: „ich bin glücklich mit meiner Frau aber ich brauche Abwechslung.“

        „Du willst also nicht betrogen werden? kannst du eine Asiatin sein? Eine Latina? Zwei Frauen gleichzeitig?“ Nein, kann ich nicht. Und deshalb muss ich mich dem Schicksal hingeben betrogen zu werden? Muss ich von meinem zukünftigen Mann Prostituiertenbesuche akzeptieren, denn sonst macht er sie eh heimlich?

        Was ich gelernt habe ist, ich kann es nicht jedem Recht machen. Selbst wenn ich mir im Alter Botox Spritze, Diäten unterziehe und in den Arsch vögeln lasse, dann kann ich immer noch nicht meine Nationalität wechseln. Ich kann für ihn keine Asiatin sein, keine Latina, keine 2 Frauen sein. Auch keine 5 Frauen. Ich kann nur ich sein, und wenn das nicht reicht, dann geh.
        Leider ist das leichter gesagt als getan. Ich habe zuviel gesehen und erlebt. Du siehst den netten freundlichen Nachbarn von nebenan, mit Frau und 2 Kindern, der dir nett zunickt wenn er dich Samstags (bloß nicht Sonntag, ist ja Ruhetag) sieht, während er den Rasen mäht.

        Ich sehe einen Mann mit dem ich nicht schlafen will. Der mir Geldscheine hinhält, um meine Einwilligung zu erkaufen. Der mich penetriert und abschmust, der meinen Körper benutzt um sich seine Wünsche zu erfüllen. Ich interessiere ihn nicht. Ich bin nicht als Mensch relevant, nur als Frauenkörper. Wie kannst du mich benutzen als wär ich eine leere Hülle? Nur ein Körper, deine Sexpuppe? Dann heim gehen und vor deiner Familie so tun als wärst du nur auf harmloser Geschäftsreise gewesen, oder bei deinem Freund? Oder du hättest die Zeit nur genutzt deine Eltern zu besuchen?

        Was du mir angetan hast war nicht harmlos. Es hat mich verletzt. Ich möchte nicht mit dir schlafen, ich brauche das Geld. Was würde deine Frau davon denken, wenn sie wüsste, dass du rumrennst und Frauen verletzt? Dass du sie dafür bezahlst ,den Sex den sie mit dir nicht wollen, hin zu nehmen? Dass du sie betrügst um mit Frauen zu schlafen die mit dir gar nicht schlafen wollen?

        Dass du deine Ehe und Familie aufs Spiel setzt, für Frauen die dich gar nicht wollen? Dass du mich bewertest in Foren wie ein Produkt, über meinen Körper öffentlich urteilst als wäre ich eine Ware.
        Wenn man mich fragt, möchte ich gerne eine glückliche Beziehung führen. Ich würde auch gern heiraten und Kinder kriegen. Aber ich habe Angst, denn ich kenne diese Männer… ich kenne eure Männer. Es sind soviele. Und es tut mir leid. Ich will sie gar nicht. Ich will gar nicht mit ihm schlafen. Ich will gar nicht, dass er zu mir kommt. Er soll bei dir bleiben, dir treu bleiben, damit auch ich wieder an Liebe glauben und Vertrauen kann.

        Aber die traurige Realität sieht anders aus. Schätzungsweise gehen 1,2 Mio Männer täglich (unter normalen Umständen, also nicht während Corona) zu Prostituierten.

        Das sind NICHT jeden Tag die gleichen Männer. Viele davon verheiratet oder in einer Beziehung. Untersuchungen dazu unterscheiden sich stark, man kann aber ungefähr davon ausgehen, dass die Hälfte der Freier vergeben sind. Wenn man die Zahlen also hoch rechnet, kommt man auf eine sehr hohe Zahl von Freiern die betrügen und auch auf eine sehr hohe Zahl von betrogenen Partnern. „Aber meiner ist ganz anders“ – sagen Frauen oft von ihren Partnern. In Freierkreisen wird das AMIGA-Typen (Anfangsbuchstaben von „aber meiner ist ganz anders“) genannt und belächelt. Natürlich ist deiner deren Meinung nach nicht anders, dass du das denkst finden sie oft witzig.

        Ach ja, manche Freier haben sogar 2. Handys. Ein normales und eins nur für Prostitution, damit sie es besser verstecken können.
        Und deshalb, kann ich leider nicht mehr an Liebe glauben. Der nette Familienvater von nebenan der nach dem ungewollten Sex mit mir meinen Körper und den Sex online bewertet. Da denke ich mir, das ist der Mann von irgendeiner Frau oder selbst wenn er single ist, der zukünftige Freund von irgendeiner. Und der macht sowas. Ich bin SO froh, dass er niemals mein Freund/Mann sein wird.

        (c) Anna

        Warum sind Freier Arschlöcher? -Teil 3:

          Autorin: Marlene //

          Bereits vor einem Jahr kamen andere Ellas auf die Idee, im Rahmen einer Serie über ihre Erlebnisse mit Freiern zu schreiben.
          Von Anfang an war ich von der Idee begeistert, aber habe erst jetzt geschafft, die Worte zu finden. Hier ist meine Geschichte.

          Mit 20 lernte ich meinen Zuhälter kennen und geriet durch ihn schnell in dieses menschenverachtende System.
          Ich kam aus einer zerrütteten Familie, war es von meiner Mutter gewohnt, nur „Liebe“ zu bekommen, wenn ich dafür etwas geleistet hatte, lebte seit einem guten Jahr alleine und fühlte mich genau so- ohne Familie, ohne Bindungen. Für ihn war ich also leichte Beute, gutgläubig und leicht zu manipulieren.

          In meinen fast zwei Jahren in der Prostitution wanderte ich durch Bordelle, Saunaclubs und „Privathäuser“, machte Haus- und Hotelbesuche.
          Widerliche Begegnungen hatte ich überall.
          Begonnen im Saunaclub, wo damals die WM übertragen wurde und die Männergruppen in Scharen kamen. Es war das normalste für diese Männer, mit Kumpels oder Kollegen einen Ausflug in den Puff zu machen, dort die Fußballspiele zu sehen und in den Pausen oder danach die Frauen durch zu nehmen. Ein lustiger Abend mit Freunden eben.
          Wenig später ging es für mich in den ersten „Nachtclub“, wo ich zwischen vielen anderen Frauen saß- wir hatten zwei Bereiche, in denen wir sitzen durften, durften die Männer aber nicht ansprechen, sondern mussten darauf warten, ausgesucht zu werden. Mein Selbstwertgefühl war so gering, dass ich mir kaum vorstellen konnte, dass mich jemand auswählen würde. Als würde es darauf ankommen- als könnte ich daran meinen „Wert“ messen.
          Tatsächlich wurde das Geld schnell zu dem Maß, das ich für meinen Wert nahm- denn umso mehr Geld und Freier, umso mehr Aufmerksamkeit bekam ich von meinem Zuhälter. Endlich war da jemand, der sich für mich zu interessieren schien. Dass dies kein echtes Interesse oder gar Liebe war, wusste ich- aber ich wurde gut darin, Dinge auszublenden. Sonst übersteht man die Prostitution nicht.

          Also nahm ich einen Freier nach dem anderen an- wer mich wollte, kriegte mich. Selbst wenn ich gerade erst vom Zimmer kam, wenn einer wollte, konnte es direkt weiter gehen. Selbst die Hausdame meine einmal zu mir, ich müsste nicht jeden Mann annehmen- aber da war ich schon gefangen in einem schrecklichen Sog.
          Als ich einmal zurück kam vom Zimmer forderten die Männer mich auf, noch einmal aufzustehen und mich umzudrehen- sie wollten noch einmal meinen Hintern sehen.

          Mit der Zeit begann ich mit Hausbesuchen. Da war ich dann bei Männern, deren schwangere Frau gerade außer Haus war- momentan könne man mit ihr ja nicht schlafen, das ginge einfach nicht.
          Da wurde mir allmählich die Unterteilung in die „heiligen Ehefrauen“ und „dreckigen Huren“ bewusst.
          Natürlich gibt es auch genau die umgekehrte Variante, bei der der Freier der Meinung ist, er müsste ja gerade wegen seiner Frau zu einer Prostituierten gehen- denn die Ehefrau würde seinen Fetisch nicht teilen. Hakt man nach, weiß die Ehefrau meistens nicht mal von diesem Fetisch- oder man kann komplett nachvollziehen, dass nicht jede Frau darauf steht, geschlagen, angespuckt, gewürgt oder voll gewinkelt zu werden, um nur einige Beispiele zu nennen.
          Bei einem anderen Hausbesuch wollte jemand Kaviar- also Spiele mit Kot. Ich konnte gar nicht genug duschen.
          Andere schütteten mir im Ehebett das Herz aus über die jüngere Frau, für die sie die erste Ehefrau verlassen hatten und mit der es jetzt nicht mehr so gut liefe. Die Lösung? Scheinbar eine Prostituierte, mit der man dann eben das eheliche Bett teilt.
          Das gleiche Prinzip funktioniert natürlich auch für Hotelbesuche. Ob man auf Geschäftsreise in einer fremden Stadt ist und sich „etwas gönnen“ will oder nach dem Streit mit der Frau beleidigt in ein Hotelzimmer flieht und sich ein Mädel hin bestellt, das die eigene Tochter sein könnte, man die Frau gerade zum Flughafen gebracht hat und danach in den Puff fährt- ich glaube, es gibt nichts, das Prostituierte noch nicht erlebt haben. Danach kehren genau diese Männer wieder in ihr Leben zurück und geben den seligen Ehemann.

          Besonders schlimm war ein Freier, der sich in mich verliebt hatte. Er war Anfang 80, ich Anfang 20. Anfangs hielt ich ihn für einen einsamen alten Mann, aber mit der Zeit wurde er mir immer mehr zuwider. Wie er roch, wie er sich anfühlte, wie er mit seinen zittrigen Händen meinen Körper berührte und Dinge tat, von denen er dachte, sie würden sich gut anfühlen- es war kaum auszuhalten.
          Jeden Sonntag zur gleichen Zeit sollte ich ihm seine Stunde frei halten und wir sahen uns. Wenn er mit bekam, dass vorher oder nachher jemand bei mir war, wurde er eifersüchtig und schrieb mir beleidigte Nachrichten.
          Eines Tages brachte er mir eine Perle mit und erzählte mir, er hätte die Perlenkette seiner verstorbenen Frau aufgetrennt, weil eine Perle wie ich doch auch so eine Perle haben sollte. Ich schämte mich so vor seiner Toten Ehefrau und was er mit ihren Dingen tat- in der Annahme, er würde mir damit eine Freude bereiten.
          Ein anderes Mal brachte er mir eine Mappe mit, in der er unseren Gesprächsverlauf abgetippt und mir ausgedruckt hatte. Hier muss ich betonen, dass es sich nur um Terminvereinbarungen handelte- niemals habe ich einem Freier Gefühle oder Liebe vorgespielt. Im Gegenteil, ich war froh über jeden, der keine emotionsgeladene Girlfriend-Nummer wollte. Dieses ständige schauspielern und Männer-Ego streicheln fand ich schlimmer, als jemanden auszupeitschen.
          Ich wusste, ich musste die Reißleine ziehen, aber wie- ich brauchte das Geld und wäre es nach meinem Zuhälter gegangen, hätte ich ihn richtig ausnehmen sollen.
          Das hätte ich nicht gekonnt. Es war schon schwer genug, jede Woche einen Termin mit diesem alten Mann durch zu ziehen. Irgendwann wollte er dann privat mit mir auf den Weihnachtsmarkt gehen- und ich weigerte mich fortan, ihn zu treffen. Trotzdem schickte er mir hin und wieder Nachrichten, aus denen sein verletzter Stolz sprach- er hätte jetzt eine andere, mit der er sich treffen würde. Als würde mich das verletzen.

          Aber auch die Männer in meinem Alter waren nicht besser. Es kamen Jungs, die nett waren, aber der Meinung, sie wären viel zu schüchtern, um eine Freundin zu bekommen. Und das ist Grund genug, zu einer Prostituierten zu gehen?
          Andere kamen in Gruppen, bevor sie feiern gingen. Einer nach dem anderen kam mit in mein Zimmer, die anderen warteten solange draußen. Stärkt das die Freundschaft, sich eine Prostituierte zu teilen?
          Es kamen junge Männer, denen der Wahnsinn ins Gesicht geschrieben stand, die eine Stunde lang aufs Brutalste alles mögliche mit mir machten. Irgendwann war ich ohnehin so wund, dass die ständigen Schmerzen schon selbstverständlich waren.
          Als Dank bekam ich eine Bewertung geschrieben, in der ich als „perfekte Drei-Loch-Stute“ bezeichnet wurde.
          Es kamen Männer, die mir ins Gesicht sagten, dass es sie geil machen würde, dass sie mich gerade gekauft hatten. Oder dass sie es viel besser fanden, mir für einen Blowjob 100 Euro zu zahlen (wie edelmütig), als erst mal mit einer Frau Essen gehen zu müssen und ihr Blumen zu kaufen.

          Aber auch die selbsternannten „Genießer“ waren nicht besser. Es wurde ein schönes Hotel gebucht, Blumen gestreut, Massageöl angewärmt, im ganzen Raum Kerzen aufgestellt, das Schauspiel konnte beginnen. Danach wurde ich dann im Bademantel durch das komplette Hotel geführt- denn ich war ja die heiße, junge Freundin.
          Danach erschien ein Seitenlanger Post im Freierforum über die „wundervolle leidenschaftliche“ Begegnung. Man liest solche Dinge und fragt sich, wie verblendet Freier eigentlich sind, solche Dinge glauben zu wollen. Genau sie sind der eine unter den vielen Schlimmen, der die Frauen gut behandelt, bei denen es der Frau wirklich Spaß macht, sie eine gute Zeit hat.
          Dass man genau das macht, was sie sich wünschen, wofür man bezahlt wird, dass man am liebsten nicht da wäre und sich nur mit ihnen trifft, weil man das Geld braucht, das wollen sie nicht sehen.

          Freier haben keinen Respekt vor Frauen, ob sie Prostituierte sind oder nicht. Den einen zeigen sie ihr wahres Gesicht, vor den anderen verstecken sie es- das ist der einzige Unterschied. Widerliche Arschlöcher sind sie alle.

          (c) Marlene

          DANKE

            Heute möchte ich euch mal kurz mit Liebe überschütten – und DANKE sagen. Ganz dick. Ihr seid einfach solche Schatzis. ❤ Denn ihr habt geholfen, dass eine Frau, die sich aus Armut prostituiert hat und die deswegen im Gefängnis sitzt, dieses bald verlassen kann.

            Ich fasse mich kurz: Ihr erinnert euch an mein Posting vor einiger Zeit, in der es um eine 31-jährige Bulgarin ging, die in München verhaftet worden ist? Sie hatte keine Wohnung. Aber zwei Kinder. Sie kann weder lesen noch schreiben, und sie spricht sehr schlecht deutsch. Sie hat im Sperrbezirk rund um den Münchner Hauptbahnhof angeschafft – und wurde erwischt. Sie bekam ein Bußgeld, das sie nicht zahlen konnte, denn es war sehr viel Geld für eine Frau, die auf den Strich geht, damit sie und ihre Kinder was zu essen haben… Außerdem hatte sie sich mit einem Freier um Geld gestritten. Er bezichtigte sie des Diebstahls, das Gericht glaubte ihm.

            Dann kam Corona. Ihre Notlage verschärfte sich. Also ging sie wieder anschaffen. Obwohl Prostitution in der Zeit verboten war. Sie wurde erwischt. Neues Bußgeld.

            Konnte sie nicht bezahlen – und kam ins Gefängnis.

            Der Fall hat mich so wütend gemacht. Wie kann es sein, dass es ok ist, dass hierzulande Männer die Notlagen von Frauen ausnutzen, um sie sexuell auszubeuten? Und wie kann es sein, dass Mütter in den Knast kommen, wenn sie so arm dran sind, dass sie keine andere Möglichkeit sehen, als das Essen für sich und ihre Kinder zu, Verzeihung, erficken?

            Also habe ich euch um Spenden gebeten – und zugleich mit einer Hilfestelle vor Ort Kontakt aufgenommen, um die Frau ausfindig zu machen.

            Und jetzt die Meganachrichten:

            Es gibt Kontakt zu dieser Frau, ihrem Anwalt und der Staatsanwaltschaft!

            Und dabei kam raus: Ihre Bußgelder belaufen sich auf mehr, als wir dachten (insgesamt über 5.000 Euro) – aber das macht nichts.

            Denn ihr habt unfassbare 3.000 (D-R-E-I-T-A-U-S-E-N-D) Euro gespendet – und wir vom Netzwerk Ella haben noch 2.000 von unserem eigenen Spendenkonto draufgehauen.

            Und jetzt können wir der Frau alle ihre Bußgelder bezahlen und damit ihre Haftzeit ganz erheblich verkürzen (die Haftstrafe wegen angeblichen „Diebstahls“ beim Freier können wir leider nicht wegbezahlen) – und sie wird mehrere Monate eher frei kommen und darf zurück zu ihren zwei Kindern – WEGEN EUCH. Weil ihr nicht weggeschaut habt, weil ihr gespendet habt, weil ihr empört ward und euch solidarisiert habt.

            Das ist für mich die beste Nachricht der Woche, und ich bin so froh und ergriffen, dass wir es gemeinsam geschafft haben, gegen so ein elendes Unrecht vorzugehen und zwei Kindern ihre Mama wiederzubringen.

            Ich danke euch. So sehr. ❤

            Danke auch an alle, die geholfen haben, die Frau zu finden. Und ich wünsche euch ein verdammt gutes Wochenende.

            Eure Huschke vom Netzwerk Ella

            Hier der Link zum Artikel, der mich auf den Fall aufmerksam machte: klick mich

            Freundschaft in der Prostitution

              Autorin: Marlene //

              Nach meiner Erfahrung gibt es wirkliche Freundschaft in der Prostitution kaum- denn man weiß nie, wem man wirklich vertrauen kann. Echten Zusammenhalt und Solidarität habe ich erst später nach meinem Ausstieg erfahren.


              Es kommt nicht selten vor, dass eine Frau von ihrem Zuhälter darauf angesetzt wird, eine andere auszuspionieren, sei es, um ihr selbst zu schaden, sie für ihn zu gewinnen, oder um dann an ihren Zuhälter zu berichten, ob sie ehrlich ist oder womöglich Geld unterschlägt- Gründe gibt es genug und kaum etwas ist im Milieu wichtiger, als Loyalität.
              Erschwerend kommt hinzu, dass man mit manchen Frauen gar nicht erst reden darf- etwa wenn man noch nicht weiß, wer „hinter ihr steht“ oder die jeweiligen Zuhälter verfeindet sind. Dass die Frauen dann beide in dem gleichen Bordell sind, ist ohnehin sehr unwahrscheinlich, denn in der Regel ist das Revier gut abgesteckt, aber es kam vor, dass ich solche Redeverbote (Ja, kein Witz- selbst darüber, mit wem du sprechen darfst, kann dein Zuhälter bestimmen) miterlebt habe.

              Trotz allem hatte ich in meiner Zeit in der Prostitution eine Frau kennen gelernt, mit der mich tatsächlich eine echte Freundschaft verband.
              Sie war nur zwei Jahre älter als ich und wir freuten uns jede Woche auf den einen Tag, an dem die Frau des Bordellbetreibers nicht selbst arbeitete- da waren wir zu zweit und machten uns schöne Tage. Klar, arbeiten mussten wir trotzdem, aber unter uns zu sein und offen reden zu können tat gut. An allen anderen Tagen mussten wir unsere Freundschaft verstecken, denn das hätte sonst zu Problemen im Bordell geführt.


              Mit der Zeit merkte ich, dass es ihr immer schlechter ging. Sie war immer unglücklicher und vertraute mir eines Abends an, dass sie vor hatte, abzuhauen. Ein Freund aus ihrer Heimatstadt wollte ihr dabei helfen.
              Jetzt war ich in einem Dilemma. Loyalität stand über allem- und den Regeln des Milieus nach hätte ich meinem Zuhälter davon erzählen müssen. Sie nicht mehr bei mir zu haben wäre schrecklich gewesen, aber sie länger in dieser Hölle zu sehen, wenn sich doch ein Ausweg bot, war nich schlimmer.
              Also schwieg ich, auch wenn ich wusste- wenn jemand davon erfährt, bin ich dran.
              Eines Abends verabschiedeten wir uns, und ich wusste, wenn alles gut geht, würde ich sie nicht mehr wieder sehen. Der Plan sollte in dieser Nacht durchgeführt werden.


              Als ich am nächsten Tag im Bordell ankam und sie am Tisch sitzen saß, brach mir fast das Herz. Ihr Zuhälter war nicht wie geplant nachts weg gewesen, es hatte nicht geklappt.
              Von da an zog sie sich immer mehr zurück. Sie war fast nur noch alleine in ihrem Zimmer, wir schrieben die meiste Zeit über das Handy, damit niemand anders Verdacht schöpfen könnte wegen unserer Verbindung. Wenige Wochen später wagte sie einen neuen Versuch- und dieses Mal war sie wirklich weg.


              Ich freute mich so sehr für sie, aber ich durfte es mir nicht anmerken lassen. Eine kurze Nachricht kam von ihr, dass es ihr gut ginge.
              Panik breitete sich aus im Bordell, als sie nicht mehr auftauchte- ich sollte versuchen, sie zu kontaktieren, vielleicht würde sie mir ja antworten. Vor den Augen der anderen musste ich ihr schreiben, dafür benutzte ich mein Arbeitshandy- und schrieb von meinem privaten Handy schnell und heimlich hinterher, dass sie mir keine ehrliche Antwort schicken sollte, ich war auf sie angesetzt worden, um sie zu finden.
              Danach habe ich nie wieder von ihr gehört. Anfangs war ich darüber sehr traurig, aber nachdem ich selbst davon gelaufen war, konnte ich sie verstehen. Man weiß nie, wem man trauen kann, und in diesem Fall ist der Preis zu hoch.


              Trotzdem denke ich auch heute noch oft an sie. Ich frage mich, ob es ihr gut geht, was sie heute so macht, wie ihr Leben heute aussieht- und würde ihr gerne erzählen, dass ich es ein Jahr später auch raus geschafft habe.

              (Marlene)

              Freiheit

                Autorin: Marlene //

                !!! Triggerwarnung – Sexuelle/körperliche Gewalt, explizite Sprache

                Du hast mich von Puff zu Puff geschickt. Du hast mir selbst das Geld, das ich eigentlich behalten durfte, weggenommen. Du hast mich körperlich und seelisch missbraucht, wie es dir gerade gepasst hat. Du hast mich in ein Wesen verwandelt, das ich selbst nicht mehr erkannte, das ich nicht sein wollte- nicht so sein wollte. Du hast mich belogen. Nie wusste ich, wo du bist, mit wem oder was du tust. Heute bin ich froh, dass ich nicht alles wusste, ich hatte schon so genug auszuhalten.

                Wegen dir musste ich es über mich ergehen lassen, dass mir ein Freier ins Gesicht kackt, immer wieder mit den widerlichsten Typen ins Bett zu gehen und ihre Fantasien zu erfüllen, ihren Schweiß und ihre Schuppen auf meinen Körper tropfen zu sehen, gegen AO-Freier anzukämpfen. Du selbst hast mich geschlagen, angespuckt, zu Sex gezwungen.

                Mehr als ein Jahr musste vergehen. Dann hast du mich eines Abends ausgelacht, weil du der Meinung warst, ich könnte sowieso nie von dir gehen. Wir haben so sehr gestritten, bis du irgendwann zugeschlagen hast. Wäre nicht einer deiner Freunde irgendwann dazwischen gegangen, wer weiß, wie weit du gegangen wärst. In meinem Mund hatte ich den Geschmack von Blut, denn meine Lippe war innen aufgeplatzt.Ich habe nur noch geheult wie selten zuvor und schnell Sachen in meinen Koffer geworfen. Eine Tasche mit den für mich wichtigsten Dingen hatte ich sowieso immer gepackt- dass der Zeitpunkt der Flucht irgendwann kommen würde, war mir immer klar gewesen.

                Damals habe ich in ständiger Alarmbereitschaft gelebt. Wobei leben vielleicht nicht das richtige Wort dafür ist, vor sich hin vegetieren trifft es eher.Dann habe ich meinen Koffer und die Tasche geschnappt und bin los, mitten in der Nacht, ohne einen Plan, wohin oder wen ich denn anrufen sollte. Weg. Einfach nur weg.

                Leider habe ich unterwegs einen kleinen Halt gemacht und ihr konntet mich mit dem Auto wieder einholen. Im Nachhinein habe ich mich oft gefragt, was gewesen wäre, wenn ich in die andere Richtung gegangen wäre oder mich rechtzeitig im Park versteckt hätte. So aber hattet ihr mich gefunden und du hast auf mich eingeredet. Wie leid dir doch alles tun würde, das übliche leere Gerede. Irgendwann stieg ich in den Wagen. Ich war absolut kaputt, der Kopf dröhnte mir nach den Schlägen, meinen Hals konnte ich nach deinem Würgegriff nur schwer bewegen, ich wusste sowieso nicht, wohin. So vergingen noch ein paar Tage. Ich fuhr zu meiner Familie und hatte Angst, dass sie das kleine Hämatom an meinem Auge bemerken könnten, aber es war schon so gut wie verschwunden.

                Vor ihnen tat ich, als wäre alles gut, die Fassade durfte nicht bröckeln – niemand durfte wissen, was ich wirklich machte. Während dieser Zeit schriebst du mir Nachrichten, dass du mich noch lieben würdest, ob es mir genauso ginge. Die Antwort war nein, aber niemals hätte ich dir das einfach so sagen können. Also fuhr ich zurück und war seltsamerweise sogar noch guter Dinge. Ich wusste ja, was mich zurück bei dir erwarten würde, ich kannte es, es war mir so gut vertraut, auch wenn es schrecklich war. Eine Alternative sah ich nicht im Geringsten.

                Kaum angekommen, verflog meine gute Laune. Du hast mich angeschrieen, wofür ich denn noch so lange brauchen würde. Dann wurde ich wieder ins Auto verfrachtet, mit mir habt ihr nicht geredet. In diesem Moment fühlte ich mich so richtig wie Vieh, das man einfach irgendwo hin schafft und seinem Schicksal überlässt. Ich saß auf der Rückbank und fühlte mich komplett willenlos. War das mein Leben? War es das, wie es jetzt für immer weiter gehen sollte? „Zu Hause“ angekommen hast du mir verkündet, dass ich ab jetzt jeden Monat zwei Wochen in einer anderen Stadt zu arbeiten hätte, das würde ja mehr Geld bringen. Das war sie also, deine „Liebe“.

                Dann seid ihr wieder gegangen, mich hattet ihr ja „abgestellt“. War das wirklich alles? Wenige Tage später bist du mit Kumpels weggeflogen. Klar, dafür war ja Geld da, wenn man „seine Frau“ jeden Tag in den Puff schickt. Die Nacht davor hast du mich kaum schlafen lassen, weil du selbst nicht schlafen konntest. Hast mir ins Ohr gepustet oder einen feuchten Finger ins Ohr gesteckt, das war ja so lustig. Im Vergleich zu den Dingen, die du sonst mit mir gemacht hast, war es tatsächlich noch nett.

                Ich bin wieder in den Puff gefahren und dort brachen alle Dämme. Ich konnte nicht mehr aufhören, zu weinen. Also vertraute ich mich meiner Schwester an. Ich packte alle Sachen in meinem Zimmer, gab meinen Schlüssel ab, fuhr „nach Hause“ und wartete darauf, dass ich geholt werden würde.

                So begann meine Flucht in die Freiheit. Heute bedeutet Freiheit für mich, nicht nur nicht mehr jeden Tag im Puff zu sitzen und kein soziales Leben außerhalb zu haben. Freiheit bedeutet vielmehr, meine Haare so tragen zu können, wie ich will – und nicht wie die Lieblingspornodarstellerin meines Zuhälters.Die Kleider zu tragen, auf die ich Lust habe.

                Meinen Körper zu lieben, statt mir anzuhören, dass ich mir die Brüste machen lassen soll, weil „meine Titten viel zu klein“ wären. Eine eigene Meinung haben zu dürfen und diese auch zu äußern – nicht zu schweigen, weil ich ja sowieso „nur eine Frau“ bin. So laut zu lachen, wie ich will, einfach weil ich es kann. Die Sonne auf der Haut zu spüren und sie nicht nur durch das Fenster im Bordell heraus strahlen zu sehen. Mich in den Jahren nach der Prostitution weitergebildet zu haben, heute eine Karriere zu haben. Mich nach der Prostitution mit zwei Jobs gleichzeitig abgeschuftet zu haben, aber heute schuldenfrei sein – ohne, dass mich jemals wieder jemand für Geld anfassen durfte. Jemand gefunden zu haben, der mir gezeigt hat, was Liebe wirklich bedeutet – Jemand, der mich nie ändern wollen würde.

                Dese Freiheit- oder was auch immer Freiheit für jede einzelne von uns bedeutet – will ich für jede einzelne Frau da draußen. Deshalb ist es vielleicht die größte Freiheit von allen, heute das Vergangene aufgearbeitet zu haben, mit dem Netzwerk Ella Verbündete gefunden zu haben, und dem System, das mich kaputt machen wollte, den Kampf angesagt zu haben. Wir hören nicht auf zu kämpfen, bis dieses widerwärtige System zerstört ist und jede einzelne Frau diese Freiheit hat.

                Erst, wenn jede einzelne von uns frei ist, erst dann sind wir wirklich frei.

                Vergewaltigung

                  Autorin: © Pani K. – Netzwerk Ella – Mai 2021

                  Alle wissen, was eine Vergewaltigung ist.

                  Der Gesetzgeber sagt dazu: „(1) Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung)…“ (2)

                  Das ist ein entscheidender Faktor: Eindringen in den Körper.

                  Was genau kommt hier in Betracht? Mund, Vagina, Anus, Harnröhre. Womit in den Körper eingedrungen wird, scheint zweitrangig – Finger, Faust, Penis, Dildo, Dilatator, Flasche – alles ist verwendbar.

                  Damit wäre die objektive oder sachliche Ebene geklärt.

                  Aber: Wie ist es mit der subjektiven Ebene?

                  Was bedeutet Vergewaltigung für die Opfer – wie erleben und überleben sie das, was ihnen angetan wird und wurde?

                  Ich kann nicht für andere sprechen – nur für mich. Und das will ich hier tun – subjektiv und persönlich. Denn eine Vergewaltigung ist immer persönlich – verdammt persönlich.

                  Zuerst Fakten: Ich wurde mehr als dreihundert Mal vergewaltigt. „Mehr als“ kommt daher, dass ich bei 300 aufgehört habe zu zählen. Ich könnte schätzen, aber mir wird dabei so übel, dass ich es lieber sein lasse.

                  Der ersten versuchten Vergewaltigung mit etwa 14 Jahren konnte ich entkommen. Die erste vollendete Vergewaltigung erfuhr ich mit 16 Jahren und wurde schwanger, danach hatte man mich der Schule verwiesen und zu einer Abtreibung gezwungen. In beiden Fällen waren Täter männliche Bekannte. Danach waren es meistens männliche Unbekannte, einmal eine Freundin.

                  Ich war nun ein „gefallenes Mädchen“ und damit wertlos. Das tat sehr weh und war so schwer zu ertragen, dass es mir Jahre später besser schien, einen Preis zu haben, als so wertlos zu leben…

                  Manchmal waren Messer oder Waffen dabei, meistens jedoch körperliche Einwirkung. Ich konnte kaum nein sagen und habe mich nur einmal gewehrt. Widerstand wurde mir schon lange vorher herausgeprügelt. Selbstverteidigung bedeutete in meinem Leben nur noch mehr Gewalt, größeren Schmerz, akute Lebensgefahr und eskalierende Wut der Täter. Das habe ich bereits als Kind gelernt und so habe ich später versucht zu überleben. Oft denke ich, es war einfach nur Zufall, das es geklappt hat…

                  Erleben: Eine Vergewaltigung bedeutet für mich Ohnmacht und Todesangst.

                  Ein anderer Mensch verfügt über meinen Körper, ergreift die Macht über meine intimen Stellen, wütet in meinem Innersten – es ist wie ein Erdbeben von innen. Ich bin in meinem Körper nicht sicher, bin schutzlos ausgeliefert, muss alles ertragen, verschlucke mich an meiner Stimme und verstumme – es ist wie ertrinken im Schmerz. Es gibt kein Versteck, keinen Fluchtweg, keine Rettung.

                  Die einzige Möglichkeit diesem Grauen zu entkommen ist „abschalten“ – man flüchtet aus sich selbst. Es ist wie sterben, der Körper wird schlaff und leblos, die Wahrnehmung wird heruntergefahren oder ganz ausgesetzt. Die Seele verlässt das gepeinigte Fleisch, das Bewusstsein spaltet sich ab und das Licht geht aus – im wörtlichen Sinne. Man ist wie tot, minuten- bis stundenlang.

                  Eine Nahtoderfahrung ist für viele Menschen nicht nur ein Trauma, sondern eine einzigartige Zäsur in ihrem Leben. Danach ist man ein anderer Mensch und oft wird es ein anderes Leben. Nichts ist mehr so, wie es davor war, nichts ist selbstverständlich.

                  Nach mehr als dreihundert Nahtoderfahrungen durch Vergewaltigung kann ich sagen – ich weiß nicht, ob ich lebe und ob ich noch ein Mensch bin. Die Verbindung zu meinem Körper ist sehr fragil. Die Verbindung zu anderen Menschen – kaum möglich und instabil. Ich fühle mich oft tot und wundere mich darüber, dass mein Körper sich bewegt und etwas spürt. Lebendig tot – so nenne ich das.

                  Überleben: Oft denke ich, es wäre besser nicht zu überleben.

                  Überleben bedeutet – sich erinnern müssen, an das Unerträgliche. Überleben bedeutet – mit dem Schmerz leben müssen, der im Körper gespeichert bleibt. Überleben bedeutet – die Angst aushalten müssen, dass Gewalt wieder angetan wird. Und Schuld – dafür, dass man überlebt hat und die anderen nicht.

                  All die Anderen, die neben mir vergewaltigt wurden, die geweint und sich gewehrt hatten, die bewusstlos wurden, die nie wieder zurück kamen. Sie hätten es verdient zu überleben, sie hätten dieses Glück haben sollen – aber sie hatten Pech. Ich hatte Glück, aber ich bin nicht glücklich darüber, es ist eine Bürde und eine Qual. Ich fühle mich schuldig – weil ich noch da bin. Ich schäme mich, dass ich mich nicht mal an die Namen der anderen Frauen erinnern kann, ich würde ihrer gerne gedenken – aber selbst das kann ich nicht…

                  Und dann noch der banale Alltag. Frauenarzt, Zahnarzt, Friseur, Handwerker – solche und viele andere Herausforderungen belasten das Leben danach und lösen Panik und Krisen aus. Ich fühle mich nie sicher, wenn Menschen in der Nähe sind…

                  Ich merke manchmal die Hilflosigkeit der Helfer – es ist für sie schwer zu ertragen, dass man nicht wirklich helfen kann. Dabei ist Respekt vor dem Schmerz auch eine Hilfe, oft die einzig mögliche. Behutsam sein – das hilft.

                  Eine einzige Vergewaltigung kann ausreichen, um einen Menschen für immer zu brechen. Man ist für sein Leben gezeichnet, das kann man den Überlebenden ansehen – tief in ihren Augen ist sie sichtbar – die Spur der Gewalt.

                  Nach mehr als dreihundert Vergewaltigungen bin ich in mehr als dreihundert Scherben zerbrochen, es ist mühsam, sie stets zusammenzuhalten und klappt nicht immer gut. Ich bin mehrfach gezeichnet, bin versehrt.

                  Narben, Risse, Scherben – das bin ich und das wird nie wieder ganz und heil. Die Zeit heilt nicht alle Wunden – damit muss man leben. Leben lernen bleibt für mich die größte Herausforderung…

                  Noch ein Aspekt: Geld ist ebenfalls ein Teil des Problems. 

                  Eine Vergewaltigung bleibt Gewalt – gratis genauso wie bezahlt. Täglich vergewaltigt zu werden ist Folter – kein Geld der Welt kann das ändern. Das Entgelt ist ein Knebel für mich und ein Persilschein für die Freier – sie werden damit reingewaschen, während mein „Nein!“ damit weggewischt und in meiner Kehle erstickt wird. 

                  Ich wollte kein Sex mit den Freiern, sondern Geld – Geld für den Zuhälter, den Vermittler, den Puffbetreiber, den Hotelbesitzer, den Polizisten, den Grenzbeamten, den Vermieter, den Arzt… Und für meine Familie. Ich wollte, dass meine Schwester das niemals ertragen muss, was ich ertrug. Und auch keine andere Frau sonst. Und ich wollte, dass auch ich es nicht mehr ertragen muss – nie wieder. Aber ich konnte mir ein „Nein!“ nicht leisten…

                  Eine bezahlte Vergewaltigung ist keine „sexuelle Dienstleistung“. Tägliche Vergewaltigung ist keine Arbeit. Und Einnahmen daraus – kein Lohn. Ich kann das beurteilen, ich kenne mich damit sehr gut aus – denn ich habe es mit und ohne Geld ertragen müssen, täglich über Wochen, Monate und Jahre…

                  Opfer: Ja, die Gewaltopfer sollen nicht auf ihre Opfer-Rolle reduziert werden. Klingt gut, ist jedoch nur die halbe Wahrheit. 

                  Mein Problem ist nicht, dass ich auf die Opfer-Rolle reduziert werde. Mein Problem ist, dass ich nicht als Gewaltopfer anerkannt werde. Denn ich habe nie eine Anzeige erstattet, es gab keine Zeugen oder sie leben nicht mehr, die Täter sind unbekannt, die Erinnerung ist durch das Trauma abgespalten, fragmentarisch und immer noch qualvoll – das reicht, um nicht als Opfer zu gelten und keine Hilfe oder Entschädigung zu bekommen. Gewalt wird keine und Unrecht wird zum Recht – so will es das Gesetz (2). Die aktuelle Gesetzgebung ist ein Teil des Problems, statt ein Teil der Lösung zu sein.

                  „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – das gilt nicht für mich. Für mich gibt es keine Gerechtigkeit. Das zu erfahren und zu ertragen ist entwürdigend. Die systemische Gewalt ist fast noch schmerzhafter als Gewalt durch Täter – sie kommt so sauber und selbstgerecht daher, ist gesichtslos und übermächtig…

                  Ich höre manchmal: Sexuelle Freiheit ist ein hohes Gut und ein Menschenrecht.

                  Und ich sage: Sexuelle Freiheit ist keine Freiheit zum Vergewaltigen. 

                  Kein Freier darf diese Freiheit haben, sich ein „Ja!“ zu kaufen.

                  Kein Freier darf das Recht haben, sich von seinem Verbrechen freizukaufen. 

                  Kein Schwanz ist es wert, dass Frauen dafür leiden müssen oder zerstört werden.

                  Kein Geld der Welt kann Gewalt aufwiegen oder umdefinieren. 

                  Solange Freier gegen Geld vergewaltigen dürfen, ist keine Frau oder Mädchen sicher und gleichwertig.

                  Solange man den Zugang zum Körper eines Menschen legal kaufen kann, ist jeder Mensch ein Handelsobjekt. 

                  Es betrifft uns alle – jeden Tag – und es ist verdammt persönlich!

                  Fußnoten:

                  (1) Strafgesetzbuch (StGB), § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung

                  (2) Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten

                  Freiwilligkeit und Folter

                    Autorin: Pani K.

                    Freiwilligkeit in der Sexualität bedeutet: Die Zustimmung wird ohne Einfluss von Außen, wie Druck oder Belohnung, aus eigenem Antrieb gegeben und kann jederzeit ohne negative Folgen widerrufen werden. Sind wirtschaftliche oder soziale negative Folgen zu befürchten oder zu erwarten, ist Freiwilligkeit nicht mehr gegeben.
                    Die Zustimmung muss vor der Handlung persönlich und ausdrücklich mitgeteilt und zur Kenntnis genommen werden. Sie muss während der Handlung fortbestehen und ist frei widerruflich. Die Zustimmung kann nicht nachträglich erteilt werden. Sie kann sowohl spezifisch (wer macht was und auf welche Weise) als auch bedingt sein (solange bestimmte Bedingungen nicht erfüllt sind, ist die Zustimmung unwirksam).
                    Eine Zustimmung ist ungültig wenn:


                    • die Person nicht einwilligungsfähig ist (Alkohol, Drogen, Schlaf etc),
                    • ein Willensmangel vorliegt (Irrtum, arglistige Täuschung, Bestechung, Sittenwidrigkeit etc),
                    • ein Wissensmangel vorliegt (Was wird passieren? Wie wird es passieren? Welche Folgen können eintreten?)
                    • eine Notlage ausgenutzt wird (Obdachlosigkeit, Hunger, Geldmangel, Krankheit etc),
                    • eine Nötigung vorliegt (Erpressung, Drohung, Einschüchterung etc – den Willen beugende Gewalt),
                    • unmittelbarer Zwang vorliegt (Überwältigen, Einsperren, Fixieren, Betäuben etc – den Widerstand brechende Gewalt),
                    • unveräußerliche Rechte verletzt sind (Recht auf Leben, Recht auf körperliche Unversehrtheit, Recht auf Freiheit etc)

                    Weiterlesen

                    Brief an die MinisterpräsidentInnen

                      Aktion Anker – Hilfe statt Strafen für Frauen in der Prostitution!


                      Wir vom Netzwerk Ella verteilen und verschicken gerade Lebensmittelgutscheine an Frauen aus der Prostitution und haben darüber in den letzten Beiträgen berichtet. Diese Aktion läuft weiter und ist unglaublich wichtig, denn viele Betroffene werden derzeit nicht nur vom Staat im Stich gelassen, sondern ihre Notlage wird durch Bußgelder bis hin zu Haftstrafen aufgrund des coronabedingten Prostitutionsverbots noch weiter verschärft!Doch viele Frauen haben gar keine andere Wahl als weiter anzuschaffen um zu überleben. Oder, seit inzwischen gut einem Jahr, zusätzlich auch noch Bußgelder „abzuarbeiten“.


                      Mit unserer Aktion Anker wollen wir nicht nur ganz direkt dort helfen, wo die Politik versagt, sondern auch dafür sorgen, dass sie nicht länger wegschaut und die Opfer des Systems Prostitution bestraft – statt die Täter und Profiteure.Deshalb versendeten wir heute Briefe an alle MinisterpräsidentInnen und fordern:Aufhebung der Strafen für Ausübung der Prostitution!Zumindest Berlin geht dort seit dem 30.05.2020 mit gutem Beispiel voran. Dort sind Menschen in der Prostitution seitdem entkriminalisiert und Bußgelder erhalten Freier und Betreiber. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber noch nicht genug. Deshalb fordern wir desweiteren echte Ausstiegshilfen nach dem Nordischen Modell.
                      Auch Ihr könnt uns bei diesem Anliegen unterstützen: verschafft Euch, wenn möglich, Gehör in der Politik, zum Beispiel auf kommunaler Ebene. Oder unterstützt uns weiterhin mit Spenden. Denn nicht nur die Lebensmittelgutscheine müssen finanziert werden, sondern auch Materialien für Aktionen wie diese.


                      Zur Transparenz folgt unser Brief. Antworten werden wir ebenfalls veröffentlichen.Wir fordern: Hilfe statt Strafen! Solange, bis wir gehört werden!
                      Eure Ellas
                      Spendenkonto:

                      Empfänger: ALARM Gegen Sexkauf und Menschenhandel e.V.

                      IBAN: DE10 5135 0025 0205 0583 37

                      BIC: SKGIDE5FXXX (Sparkasse Gießen)

                      Bitte unbedingt unter dem Betreff: “ELLA”

                      „Sehr geehrte/r Ministerpräsident/in …,


                      Wir schreiben Ihnen als Aktivistinnen des Netzwerks Ella, einem Zusammenschluss von Frauen, die in der Prostitution waren oder noch sind. Seit etwa einem Jahr ist laut Erlass Ihrer Landesregierung die Ausübung der Prostitution untersagt und Verstöße dagegen werden bestraft. Am 13. März 2020 machte Stuttgart den Anfang: „Prostitution jeder Art ist untersagt.“ (1)

                      Kurz darauf hatten alle Bundesländer entsprechende Verordnungen erlassen, so zum Beispiel NRW: “§10 Freizeit- und Vergnügungsstätten: […] [D]ie folgenden Angebote sind untersagt: […] 2. sexuelle Dienstleistungen in und außerhalb von Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen.“ (2)


                      Die Strafen sind erschreckend hoch: 5.000 Euro, bei Wiederholung bis 25.000 Euro Bußgeld oder Haftstrafen, wie auch in der Presse zu lesen ist:“Auch eine Prostituierte hatte sich über das Verbot hinweggesetzt, sie wurde, wie eine Berufskollegin wenige Tage zuvor, zu 5000 Euro Strafe verdonnert. Der Betreiber eines Lokals, das unerlaubt geöffnet hatte, wird zwischen 2000 und 2500 Euro berappen müssen.“ (3)

                      Diese Bußgelder und Haftstrafen wurden in den letzten 12 Monaten in mehreren Städten verhängt: Düsseldorf, Bonn, Krefeld, Bremen, München und anderen. Hier nur drei Berichte:

                      1. München: „Die 19-Jährige kam dagegen nicht so glimpflich davon. Sie war bereits einige Male wegen illegaler Prostitution erwischt worden. Die Staatsanwaltschaft beantragte beim Ermittlungsrichter einen Haftbefehl. Die junge Frau sitzt inzwischen in der JVA in Stadelheim. Für die beiden Freier hat das erotische Abenteuer keinerlei juristische Konsequenzen.“ (4)

                      2. Duisburg: „Polizisten trauten ihren Augen nicht. In der Wohnung trafen sie tatsächlich auf drei Frauen im Alter zwischen 21 und 28 Jahren und einen Mann (57). Die Beamten fanden zahlreiche Utensilien, die auf gewerbliche Prostitutionsausübung hinwiesen. Da die Frauen aus Albanien kommen und der Verdacht des illegalen Aufenthalts besteht, nahmen die Polizisten sie vorläufig fest. Zusätzlich leiteten die Beamten ein Strafverfahren wegen des Verdachts der verbotenen Prostitution ein.“ (5)

                      3. Dortmund: „Seit dem Beginn der Corona-Pandemie zählte die Polizei Dortmund 18 Hinweise auf Orte, an denen illegale Prostitution stattfand. ‚Prostituierte, die sonst in Bordellbetrieben arbeiteten, [waren] in diese Wohnungen ausgewichen‘, berichtet Bandermann. Im Jahr 2020 leitete die Polizei rund 200 Strafverfahren wegen des Verdachts der verbotenen Prostitutionsausübung in der Nordstadt ein.“ (6)

                      Es ist unbestritten, dass Prostitution während der Corona-Pandemie nicht stattfinden sollte, am Besten auch danach nicht mehr. Dies funktioniert jedoch nur, wenn den Frauen akzeptable Alternativen zur Prostitution und Ausstiegshilfen angeboten werden, keinesfalls durch weitere Kriminalisierung. Die Notlage der Frauen in der Prostitution wird damit nicht nur ignoriert, sondern verschlimmert. Diese Vorgehensweise ist grausam und inakzeptabel!


                      Zahlreiche Prostituierte sind momentan ohne Einkommen, zum Teil sogar ohne eine Wohn- und Schlafmöglichkeit. Vielen Frauen fehlt aktuell ihre meist einzige Einkommensquelle. Ob sie ein Recht auf staatliche Unterstützung als Soloselbstständige haben, ist in vielen Fällen unsicher. Die meisten Frauen in der Prostitution waren nicht angemeldet und bekommen daher keine Hilfe. Sie haben keine Wahl oder stehen unter Zwang. Freier haben die Wahl und sind dennoch nicht bereit, „Vernunft und Herz“ zu zeigen. Mehr als eine Million Männer gehen oder gingen jeden Tag zu einer Prostituierten, schätzte das Bundesfamilienministerium vor einiger Zeit. Wir beobachten derzeit, dass Freier die Not der Frauen, die selbst zu Pandemiezeiten noch anschaffen müssen, ausnutzen, indem sie vermehrt auf Verkehr ohne Kondom bestehen, was ungewollte Schwangerschaften und Geschlechtskrankheiten zur Folge hat. Umgerechnet auf die aktuelle Preislage, etwa 10 bis 30 Euro für Sex, werden zahlreiche Freier kräftig davon profitieren, während die betroffenen Frauen ihre Bußgelder „abarbeiten“ – indem sie weiter anschaffen, denn sie haben keine Alternative. Wenn jemand bestraft werden sollte, dann ist das der Freier, der mit seiner Nachfrage die Macht und die Wahl hat, und nicht eine Frau in Not.


                      Ihre Vorgehensweise ignoriert die Position und die Forderungen des Europäischen Parlaments vom Februar 2021:“Das Europäische Parlament, […] 21. hebt hervor, dass der Menschenhandel durch die hohen Gewinne der Menschenhändler und die Nachfrage, die jegliche Form der Ausbeutung begünstigt, gefördert wird; weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten rechtlich verpflichtet sind, der Nachfrage nach allen Formen der Ausbeutung entgegenzuwirken und diese zu verringern, was ein zentrales Ziel der Präventions- und Strafverfolgungsbemühungen sein sollte;“ (7)


                      Der Berliner Senat hat bereits am 30. Mai 2020 die Entkriminalisierung für Menschen in der Prostitution beschlossen, nur die Freier und Betreiber werden mit Bußgeldern belegt. Wir begrüßen diese Entscheidung und hoffen, dass auch Ihr Bundesland diese Position einnimmt und entsprechende Verordnungen ändert! Die Freier gehören zu den Profiteuren der Prostitution und sind diejenigen, die die existenzielle Notlage und Verletzlichkeit der Frauen in der Prostitution rücksichtslos ausnutzen. Daher ist es richtig, Freier zu kriminalisieren. Nur so können sexuelle Ausbeutung und Nachfrage nach Sexkauf effektiv bekämpft werden. Aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie haben Sie weiterhin die Kompetenzen für Maßnahmen in diesem Bereich, zum notwendigen Schutz der Bevölkerung. Auch wenn es keine Pandemie mehr gibt, haben Sie alle Möglichkeiten, das Gleichstellungs-Modell auf kommunaler Ebene einzuführen. Beispielsweise indem in Sperrbezirken die Bußgelder den Freiern und nicht den Prostituierten auferlegt werden.


                      Wir vom Netzwerk Ella fordern Sie daher auf:

                      1. Bestrafen Sie bei Verstößen gegen das Prostitutionsverbot Freier, Zuhälter und Betreiber!

                      2. Keine Strafen gegen Prostituierte, keine Bußgelder oder Haftstrafen! Bereits verhängte Bußgelder und Strafen müssen aufgehoben werden.

                      3. Steuerschulden müssen erlassen werden, denn auch das hält Frauen weiterhin in der Prostitution.

                      4. Bieten Sie besondere Unterstützung für Mütter in der Prostitution, sowie für obdachlose und drogenabhängige Frauen.

                      5. Bieten Sie akzeptable Alternativen zur Existenzsicherung für Prostituierte.


                      Hilfe statt Strafen! Frauen in der Prostitution benötigen Ihre Solidarität und Unterstützung mehr denn je. Wir ziehen es aus Gründen der Transparenz in Erwägung, Ihre Antwort zu veröffentlichen.

                      Freundliche Grüße Netzwerk Ella

                      • Netzwerk Ella – Aktionsgruppe von Frauen aus der Prostitution • E-Mail-Adresse: post@netzwerk-ella.de • Internet: https://netzwerk-ella.de

                      Quellenangaben:

                      (1) Pressekonferenz der Stadt Stuttgart, 13.03.2020 https://katholisches.info/2020/03/14/prostitutionsverbot-in-stuttgart/, 14.03.2020

                      (2) Coronaschutzverordnung NRW, 16.03.2020

                      (3) https://www.express.de/bonn/corona-ticker-bonn-drei-patienten-liegen-auf-intensiv–zwei-werden-beatmet-36360502?cb=1616108115940, 31.03.2020

                      (4) https://www.abendzeitung-muenchen.de/muenchen/stadtviertel/illegale-prostitution-19jaehrige-landet-in-stadelheim-art-679125, 25.10.2020

                      (5) https://www.derwesten.de/staedte/duisburg/duisburg-nachbar-mann-laute-sexgeraeuschewohnung-polizei-fassungslos-kontrolle-id231465313.html, 02.02.2021

                      (6) https://www.derwesten.de/staedte/dortmund/dortmund-polizei-sex-prostitution-stadt-coronalockdown-arbeit-prostituierte-ein-kommen-und-gehen-id231420827.html, 27.01.2021 (7) Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. Februar 2021 zur Umsetzung derRichtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutzseiner Opfer (2020/2029(INI))