Autorin: Malina //
Ich bin Malina, Anfang 20 und komme aus Wien. Ich möchte hier meine
Erfahrungen mit Prostitution schildern, sowie meinen Ausstieg.
Ursprünglich kommt meine Familie aus diversen Ecken Osteuropas und ich
selbst habe in einem osteuropäischen Land die Kindheit und Jugend
verbracht. Meine Familie war schwierig, Mein Vater hatte Probleme mit
Alkohol und Aggression, meine Mutter war (auch deswegen) psychisch
krank. Ich war ein ungeplantes Kind und meine biologischen Eltern hatten
nicht wirklich die Ressourcen, sich um mich zu kümmern, an der
emotionalen Bindung mangelte es bei uns auch. Ich wanderte vom
Verwandten zu einer anderen Verwandten, Gewalt war bei uns Teil der
familiären Struktur, psychisch, körperlich, intim. Bis zu meiner
Pubertät war ich gebrochen. Jetzt weiß ich, dass wir keine Gläser sind
und doch nicht so einfach zu brechen, aber ich habe mich auf jeden Fall
so gefühlt: Ich war depressiv, fühlte mich wertlos, sah alles Schlechte
als meine Fehler an. Große Teile meiner Jugend habe ich in einem
Internat für Schülerinnen verbracht und musste die Herausforderungen des
Alltags als Teenagerin irgendwie meistern.
Nach Österreich bin
ich über eine alte Schulfreundin mit 16 gekommen, die nach ihrem
Austauschjahr in Wien geblieben ist und mich über Sommer eingeladen hat.
Da Sommer bei mir die schwierigsten Zeitspannen waren – kein Internat,
kein nix – habe ich selbstverständlich zugesagt. Dann bin ich bis heute
in Wien geblieben. Es wurde mir unter anderem eine Person vorgestellt,
mit der ich eine Beziehung begonnen habe; oder zumindest hat sich das
für mich so angefühlt. Mir war so so gut dabei, da es meine
Minderwertigkeitskomplexe für eine Weile verstummt hat, ich eine
Bezugsperson hatte, die mich angeschaut hat, wenn ich geredet habe, mit
mir Zärtlichkeiten ausgetauscht hat, in mir (dachte ich) eine Erwachsene
gesehen hat. Meine Beziehung gab mir Wert, den ich sonst nicht finden
konnte. Ich habe damals etwas in Richtung Glück gefühlt und das nie
loslassen wollen.
Auch dann nicht loslassen wollen, wenn der Sex
in die Richtung BDSM kippte. Ich habe mich mit allem anvertraut, mit den
Gewalterfahrungen, mit Schmerz, mit Depressionen, Selbstmordgedanken,
einem nicht existenten Selbstwert und habe alle Lügen erzählt bekommen,
die es in die Richtung gibt: Dass die Submissive die Kontrolle in der
Begegnung hat, dass ich meinen Schmerz in sicherer Umgebung
wiedererleben kann, aber diesmal heilen, dass sich schlagen und
zusammenbinden und brennen lassen mich emanzipieren könnte. Das Blöde
daran ist, das war dann erfolgte, stimmte mit diesem Narrativ überein.
In der Dissonanz von Schmerz und Verliebtheit, da ja reichlich vorhanden
war, zwischen Gewalt und Bindung kann der Hirn ja nicht weiter, frau
fällt in den berüchtigten „subspace“ (nur deswegen kann ich mit
Sicherheit behaupten, dass das mit „Kontrolle der Submissiven“ nicht
stimmt, frau kann in dem Zustand nämlich so ziemlich gar nix), irgendwo
voll entfremdet von der Welt herum und dem *anderen* Schmerz und wenn
frau da rauskommt, ist wer da und streichelt und erzählt, wie
wunderhübsch und gut und sexy ich nicht wäre. Nie hab ich so viel Gutes
über mich gehört wie wenn ich Gewalt an mir ausüben ließe. So kam es
dann, dass ich es selbst wollte, selbst initiiert habe.
Die
Veränderungen, die zu meinen „Arbeitserfahrungen“ geführt haben, haben
sehr langsam angefangen, wenn klar war, dass meine Schullaufbahn im
Herkunftsland nun endgültig abgebrochen war und ich in einer Sackgasse
steckte. Zuerst kam nur der Wunsch, gemeinsam Pornos anzuschauen, an
denen „Freund*innen“ beteiligt waren –BDSM & Fetisch-Pornos, wo am
Anfang die Darsteller_innen Konsens etabliert haben und am Ende zusammen
gelacht. Als hätte das den offensichtlichen Schmerz weggenommen, als
würden sich alle großartig unterhalten. Irgendwann habe ich mitgemacht,
zuerst ohne Gesicht und dann mit. Gerne würde ich sagen, dass ich die
Grenze gespürt habe und dass ich mir da wehtue, aber das war nicht so.
Alles kam erst, wenn ich mich gewöhnt habe, wenn etwas die neue
Normalität wurde. Ich hatte kein soziales Leben außerhalb meiner
Beziehung und dem „Freund*innenkreis“, keine Kontrollinstanz.
Prostitution kam später dazu, in Form von Escorting (zuerst Bekannte,
dann auch Unbekannte, zuerst vermittelt und als alle Überreste von
meiner „Beziehung“ schon vergangen sind (und damit die Wohnmöglichkeit)
auf eigene Faust) und Prostitution in Wohnungen am Rande von Wien. Das
habe ich dann irgendwie auch geil gefunden, das sexuelle Interesse an
mir, wie viele Menschen ich an einem einzigen Tag dazu bringen konnte
mich zu wollen, mich mit allen meinen Unsicherheiten sexy zu finden und
mir noch Geld zu geben. Vor allem nach dem Sex hatte ich oft ein kleines
High, eine Kombination aus Erleichterung und Stolz, Stolz auf das
Einzige, wovon ich dachte, dass ich es kann. Ich bin geblieben, bin in
der Prostitution erwachsen geworden und verdrängte alles, aber wirklich
alles. In meinem Kopf war es so, als könnte ich eh nie was anderes
machen: Ich wusste nicht wie, praktisch und emotional. Die Welt um mich
habe ich nicht verstanden, klassische Erfahrungen der Adoleszenz habe
ich nie gemacht. Ich hatte keine Alternative im Kopf und zu viel Angst,
eine zu suchen. Obwohl klar war, dass nix lange halten wird. Frauen um
mich waren kaum älter als 30, es war klar, dass ich mal ausgedient habe.
Ich hatte ständige Blasenentzündungen, ständige Pilzinfektionen,
ständige Analfissuren, sehr oft Muskelkater, gerade nach BDSM Sex. Ich
hatte keine richtige Krankenversicherung, meine Zähne waren kaputt. Ich
habe nichts mehr gespürt, ich hatte Freizeit, aber konnte mit ihr nichts
anfangen. Sämtliche Reize haben mich erschreckt und überfordert, sogar
Regen macht mich bis heute fertig. Aber ich habe lieber verdrängt,
getrunken, gekifft, geschlafen, im ewigen Kreis.
Eine „Kollegin“
hat mich mal auf ihr Abendgymansium mitgenommen, ich habe mich
angemeldet, und zuerst für einen Tag, dann für zwei, dann für drei in
der Woche die Schule besucht. Langfristig hat es mir gutgetan, aber
anfangs war es furchtbar. Ich hatte keine Konzentration, keine
Motivation, ständige Angst, einen Freier anzutreffen. Der Austausch mit
Menschen außerhalb der Prostitution hat mich aber gehalten und manchmal
gab es kleine Erfolge, die mich aber ungemein glücklich gemacht haben.
In der Prostitution bin ich fast bis zu meiner Matura geblieben, fünf
Jahre ungefähr insgesamt. In meinem letzten Jahr habe ich oft eine
Beratungsstelle für Sexarbeiter*innen besucht. Inzwischen finde ich
ihren Zugang eine Verhöhnung, aber es hat mir dennoch war gegeben: Ich
wurde registriert, hatte etwas in Richtung einer Krankenversicherung,
holte mir vom Tageszentrum Kleidung und Essen, wodurch mein Bedarf an
Finanzen kleiner wurde und die Arbeitszeit weniger.
Ausstieg
probierte ich zweimal. Zum ersten Mal habe ich bei der Stadt eine
Ausbildung zur Hortasssistentin gemacht, eine sehr kurze Ausbildung,
gesponsert von der Stadt. Aber es ist nicht wirklich gelungen. Ich
konnte nicht schlafen, bekam beim Schrei Flashbacks, war vom Alltag und
Zahlungen überfordert, wurde stellenweise rückfällig. Eine neue Reform
hat dann meine Ausbildung abgeschafft, es wurde eine längere notwendig.
Da wurde ich nochmals für einige Monate rückfällig, dann einen Job als
Obdachlosenbetreuerin gefunden, hauptsächlich Nachtdienste, die nicht
viel außer meiner Anwesenheit erforderten. Das war vor einem Jahr. Meine
Matura habe ich geschafft (und bei der Übergabe schrecklich geweint),
habe ein Studium aufgenommen (und es nicht glauben können).
Jetzt
bin ich für die Außenstehende irgendwie normal. Meine Existenz hält
sich für Betrachter*innen so ziemlich im Rahmen der Existenzen von
Frauen Anfang 20, mit Beigeschmack der Migration. Meinen letzten Job
habe ich vor Kurzem verloren, aber habe mittlerweile Anspruch aufs
Arbeitslosengeld. Ich bin in der Hochschüler_innenschaft, engagiere mich
für Geflüchtete, habe eine kleine Wohnung, gehe im Park spazieren. Auf
meinem Tische steht eine künstliche Blume vom Ikea, in meinem
Dokumentendepot liegt ein gültiger Aufenthaltstitel, in meinem Laptop
eine begonnene Bachelorarbeit.
Aber ich bin nicht normal. Ich
kann nicht schlafen, weine so gut wie jeden Tag, erschrecke bei jedem
lauten Geräusch. Soziale Bindung fällt mir schwer, bzw. existiert nicht.
Ich fühle mich wertlos, machtlos und leer, denke oft an Suizid wegen
dieser *Leere*, wegen dem Verletztsein. Bin von alltäglichen
Kleinigkeiten überfordert und irgendwie alt und kindlich zugleich – das
Leben ist schwer geworden und das Geschehene lässt mich nicht los, aber
das Bewältigen von den Sachen, die Erwachsene halt tun, ist immer noch
so so schwierig. Auf intime Beziehungen lasse ich mich nicht ein. Meine
Zähne sind immer noch kaputt. Ich bin inkontinent, mit Anfang 20,
Blasenentzündung, der Stress, beides – ich weiß es nicht. Sachen, die
Menschen in meinem Alter „so tun“, tue ich nicht. Partys meide ich wegen
Geräuschen und Lichtern, wegen Typen, die Sätze sagen, die ich von
Freiern gehört habe und weil es mir einfach keinen Spaß mehr macht. Ins
Kino gehen geht wohl nur bei Kinderfilmen, weil auch Sexszenen manchmal
voll unerwartet Flashbacks auslösen. Zukunft sehen fällt mir so schwer.
Ich kenne Leben ohne Gewalt nicht. Ich kenne Sex ohne Gewalt nicht. Ich
kenne echte, bedingungslose Zuneigung nicht. Ich kenne so wenige
Alternativen zum patriarchalen Modell, wenn es zB darum geht, mal eine
Familie zu haben. Ich weiß nicht, ob ich daran glaube, dass ich diese
Zukunft mal finde.
Ich möchte alles dafür tun, dass anderen
jungen Frauen mein Schicksal nicht zustoßt. Da hilft keine
Dekriminalisierung, schließlich war so ziemlich alles, was ich getan
habe, legal. Das Einzige, was uns nachhaltig schützen wird, ist ein
radikales Umdenken. Ein Denken, das Sexkauf zu etwas Verwerflichem
macht, was es ist. Was die Hemmschwelle für Freier enorm erhöht. Was zu
Resultat hat, dass Zuhälter in jungen Frauen wie mir mit 16 keine Ware
sehen. Und solange sich Frauen prostituieren, wird jede von uns
verdinglicht, wird jede von uns zum potenziellen Produkt. Das ganze
System in unseren Köpfen muss weg. Ich möchte, dass jedes Mädchen mit
meiner Kindheit unabhängig davon eine Chance auf eine gute, erfüllte
Zukunft hat, auf Selbstbestimmtheit und Wertschätzung. Ich weiß nicht,
was mit mir weiter wird und manchmal ist überleben genug. Aber
irgendwann wäre ich gerne die Person, die ich gebraucht habe, als ich
jünger war. So richte ich auch mein politisches Engagement aus.
(c) Malina