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Warum sind Freier Arschlöcher? – Teil 2

    Autorin: Ronja

    Ich bin im Herbst 2017 aus der Prostitution ausgestiegen, doch erst jetzt habe ich die Kraft und auch den Rückhalt, meine Erfahrungen ehrlich zu reflektieren und mich für das Netzwerk Ella zu engagieren.

    Da ich diese Serie wichtig finde, möchte ich in meinem ersten Text an die von Huschke und Sophie bereits verschriftlichen Antworten darauf, warum Freier Arschlöcher sind, anknüpfen.

    Meinen allerersten und für lange Zeit einzigen Freier hatte ich im Jahr 2006. Aufgewachsen in einem von Alkoholmissbrauch, Gewalt und Morddrohungen geprägtem Elternhaus brach ich kurz vorher das Abitur und den Kontakt zu meinen Eltern ab.

    Ich hatte bereits eine Traumafolgestörung, die mir aber erst Jahre später bewusst werden sollte, und vor allem Bulimie, die auch finanziellen Druck mit sich brachte.

    Auch wenn ich im Jahr 2006 schon 20 Jahre alt war, lag auch mein erstes Mal noch nicht lange zurück, denn, vermutlich aus Angst vor Männern, die mein Vater mein ganzes bisheriges Leben lang schürte, war ich eine sogenannte Spätzünderin.

    Mein erstes Mal fand noch vor Abbruch des Abiturs statt – mit einem damaligen Lehrer. Das war kein Freier, aber dass ich das kaputt-verquere Machtverhältnis bei dieser Aktion nicht als solches erkennen konnte, spricht wohl auch schon Bände.

    Jedenfalls war ich bei meinem ersten Freier durch und durch noch ziemlich unerfahren und dass ich ein Anbahnen auf irgendeiner Kleinanzeigenplattform überhaupt zustande gebracht habe, war mehr „Glück“ als Verstand. So ließ ich mich auch von ihm im Auto in ein Waldstück mitnehmen und mich hinterher mit weniger Geld als ausgemacht abspeisen.
    Das vor allem weil er auf der Rückfahrt fast beiläufig aber doch sehr bewusst gewählt einfließen lies, dass er beim Zoll arbeitet. Er hatte meine Unerfahrenheit im Milieu natürlich längst durchschaut und so war ich einfach froh, lebend und immerhin mit einem Fuffi und nicht vom Zoll verhaftet (ja, das dachte ich bei dieser beiläufigen Erwähnung) wieder in meiner WG angekommen zu sein anstatt das ich mich noch getraut hätte, auf die eigentliche Abmachung zu bestehen.

    Er blieb für lange Zeit dann aber der einzige Freier, da ich in dieser WG meinen damaligen Freund kennenlernte, der einen SMS-Chat betrieb und ich dort eingestiegen bin und damit auch ziemlich schnell ein für mich ziemlich phänomenales Einkommen hatte. Durch diesen SMS-Chat (für alle, die sowas schon nicht mehr kennen: sogenannte Moderator*innen spielen dort den Kunden vor, dass sie eine Frau auf der Suche nach einem Sex-Kontakt wären und kassieren von den 1,99 Euro pro SMS, die der Kunde zahlt, meist nur wenige Cent. Da mein Ex-Freund aber seine eigene Plattform betrieben hat, blieben bei uns mehr als ein Euro pro generierter SMS hängen – allerdings logischerweise auch mehr Haftungsrisiko) lernte ich dann ziemlich schnell die Lingo der Branche kennen. Also einschlägige Abkürzungen. Und auch Plattformen für Annoncen, auf denen wir Werbung geschaltet haben.

    Die Gewaltphantasien, die ich in diesem Chat lesen musste, sind eine Story für sich und es erschüttert mich bis heute, dass ganz sicher nicht wenige dieser Männer auch im „echten Leben“ Freier waren und sind. Gar nicht mal selten war zum Beispiel die „Phantasie“, eine Frau so besinnungslos betrunken zu machen – also als Bedingung für ein Treffen – dass sie sich hinterher nicht mehr an die sexuellen (Gewalt)Handlungen, die ihr angetan würden, erinnern könnte.

    Anfang 2009 habe ich mich nach einem Gewaltausbruch von diesem Freund getrennt und war dann für ein halbes Jahr in einer psychiatrischen Tagesklinik. Leider war die sozialarbeiterische Betreuung dort ein Witz und so stand ich später in diesem Jahr allein und ziemlich perspektivlos da und alles, was ich wusste und „konnte“ – so redete ich mir zumindest ein – war irgendwas mit Sex-Business. Zu Ämtern habe ich mich teilweise nicht getraut oder habe mich viel zu schnell mit Ablehnungen abspeisen lassen, weil da mein altes Selbstbild von wegen „Du bist nichts wert und darfst keine Hilfe erwarten“ zu präsent war.
    Dass mich im Folgenden immer wieder Freier bezahlten, hat mir zeitweise sogar ein idiotisches, denn in seinem Fundament völlig falsches, Gefühl von „Stolz“ vermittelt.

    Von 2009 bis 2017 hatte ich also immer wieder unregelmäßig Freier. Meist, wenn ich an Behördentüren abgewiesen wurde und einfach nicht wusste, wie ich zwischenzeitlich Dinge wie Ausbildung oder dann zum Schluss das Nachholen des Abiturs anders finanzieren soll.

    Ich kannte die Plattformen, ich kannte die Lingo, und es war so verdammt „leicht“.

    Ich weiß, dass ich immer zu den Privilegiertesten unter den Prostituierten gehörte. Ich unterlag keinerlei äußeren Zwängen außer finanzieller Natur und ich war, wenn auch noch ohne Schulabschluss, gebildet genug um im vorherigen Mail-Kontakt einen Eindruck der Freier einzufordern und solche auszusortieren, die mir zu suspekt oder grenzüberschreitend erschienen – wobei das auch eine zweischneidige Sache ist. Die eigenen Grenzen verschieben sich leicht mit der Dauer im Milieu und dem Grad an akuter Geldnot. Bordell und Escort-Agentur habe ich beides probiert, aber da wurde mir meine Entscheidungsfreiheit doch zu beschnitten also bin ich immer wieder in die komplette „Selbstorganisation“ gefallen.

    Also habe ich jeden einzelnen meiner Freier selbst gewählt. Und trotzdem sind alle Arschlöcher.

    Warum?

    Aus vielerlei Gründen, die alle auf ihr Frauenbild und das vermeintliche Recht auf Sexkauf hinaus laufen.

    Es gibt die, die auf Teufel komm raus „handeln“ wollen. Also entweder hinsichtlich des Preises, oder aber sie wollten Praktiken, die ich nicht angeboten habe. Ich habe mich immer gefragt, warum sie dann nicht von vornherein auf andere Anzeigen antworten oder aber nach meiner ersten Mail mit dem Inhalt „Okay, dann kommen wir nicht zusammen.“ nicht locker gelassen haben.
    Aber inzwischen ist es mir klar: es war in deren Augen ein perfides „Spiel“. Prostituierte sind in deren Augen schwache Menschen, die sich immer wieder brechen lassen. Man muss die Bruchstelle nur ausfindig machen. So deren Denke. Abscheulich.

    Dummerweise war auch ich manchmal in diese Falle getappt, wenn der finanzielle Druck zu akut war. Und hab Freier wie diese damit sogar bestärkt in ihrer verachtungswürdigen „Strategie“.

    Mehr als einmal habe ich auch den Spruch „Also das, was du da machst, ist ganz schön gefährlich, das weißt du schon?“ gehört. Immer schon in Zweisamkeit, wenn man den sichereren Boden für den ersten Eindruck verlassen und ich das Pfefferspray nicht mehr in der Jackentaschen umklammert hatte. Das war keine ernstgemeinte Sorge, das war ein Aufgeilen an meiner Reaktion, da mir trotz aller Souveränität dabei wohl trotzdem immer für den Bruchteil einer Sekunde die Gesichtszüge entglitten sind, weil ich blitzschnell die gesamte Situation und vorherige Kommunikation auf mögliche Warnsignale, die ich vielleicht übersehen hatte, noch mal abklopft und mir Wehr- und Fluchtmöglichkeiten präsent gemacht habe.

    Dann gibt es die Ehemänner, die wirklich davon überzeugt sind, dass sie ihre Frau nicht betrügen solange es mit einer Prostituierten geschieht. Und/oder, die dir ein Ohr abkauen mit dem Gejammer, wie „böse“ ihre Frau sei weil sie ihn nicht ran lässt bis du dir Minuten später denkst: also bei der Rohheit gepaart mit dieser Arroganz ist das kein Wunder, Alter!

    Noch eine Kategorie waren die „Nörgler“. Wehe man kam fünf Minuten zu spät zum vereinbarten Treffpunkt, wehe man sah nicht ganz genauso aus wie erwartet (also in ihrem Empfinden), wehe, die Chemie stimmte sonst irgendwo nicht, wehe, der BJ war nicht tief genug, usw… . Die legen dir das Geld dann mit krass abwertender Mimik hin, die auf kurz oder lang auch etwas mit deinem Selbstbild macht. Beziehungsweise mit dem eh schon beschädigten Selbstbild, wegen dem du das überhaupt machst und machen kannst. Und das weiter anfeuert.

    Aber vor allem gab es in meiner „Laufbahn“ die „Möchtegern-Freunde“. Typen, die dir Bierchen oder Wein oder Joint anbieten oder auch mit dir Essen gehen und man irgendwann recht viele Einblicke in das eigene Leben gibt und von ihnen und ihren Leben bekommt.
    Genau die waren es, die mich so lange im „Job“ gehalten haben und wegen denen ich mir lange schöngeredet habe, dass das, was ich tue, doch nicht so schlimm wäre.

    Sie hätten ja ach so viel Verständnis für dich und deine Beweggründe.

    Aber auch: „Also zu einer, die das NUR wegen dem Geld macht, würde ich nicht gehen.“
    Hallo? Ich hab es auch „NUR“ wegen des Geldes gemacht, aber das wurde dann übersehen.

    Beziehungsweise hatte ich mal einen Freier, bei dem ich regelmäßig auf seinem Schreibtisch in einem Kindergartenträger(! echt unangebrachtes Setting…)-Büro lag, der mir weitere Treffen mit den Worten „Ich hatte das Gefühl, dass du das doch nicht so genießt.“ aufgekündigt hat.

    Ja, Pro-“Sexarbeit“-Aktivisten sagen dann gern, dass der eigene „Spaß“ dazu gehören muss und alle anderen einfach den falschen „Job“ hätten. Aber nein. Ich war eine gute Schauspielerin und ich kenne wirklich KEINE, die tatsächlich so drauf ist, dass sie andauernd Spaß mit jedem x-beliebig aussehenden und agierenden fremden Freier dabei hat.

    Das ist die große Mär, die es hierzu ja immer gibt.


    Und diese „Möchtegern-Freunde“ werden dann eben übergriffig (oder drehen den Einkommenshahn zu), wenn sie merken, dass du bestimmte Teile deines Privatlebens wirklich privat hältst und nicht immer auf Abruf zur Verfügung stehst oder nicht dauerhaft genug Spaß vorspielen kannst.

    Einer meiner letzten Stamm-Freier hat dann auch meine Gedanken, die zum Ausstieg geführt haben, angefeuert. Da war wirklich sowas, vermeintlich, wie eine Freundschaft. Er kannte irgendwann meinen Klarnamen und wusste, wo ich das Abi nachhole und all sowas und ich hab mir von ihm manchmal zwischen zwei Treffen Bücher und CDs ausgeliehen. So „nah“ waren wir uns.

    Bei den Treffen selbst saßen wir stundenlang auf seiner Dachterrasse und haben getrunken und gekifft und es fühlte sich fast wirklich an wie eine Freundschaft.
    Aber am Ende des Abends lief es natürlich auch immer auf den Akt der Prostitution hinaus und ich hab mich irgendwann gefragt, warum es weiter bei diesem Schema bleibt, wenn dieser Mann mich inzwischen doch angeblich als Mensch und „private“ Freundin so schätzt. Warum lief jedes Treffen weiterhin darauf hinaus als zum Beispiel auf das Angebot, mir bei der Suche nach echten Alternativen zu helfen?
    Das „Recht“, Freier zu sein und auch an unserem Abhängigkeitsverhältnis festzuhalten, wurde aber nicht von ihm in Frage gestellt und da ging mir endlich auf, dass wirklich ALLE Freier „misogyne Wichser“ (um Sophies Text zu zitieren) sind.
    Er war einen Scheiß daran interessiert, ob ich da je rauskomme oder nicht – denn, ja, er wusste, dass ich das zwar sogenannt „selbstbestimmt“ aber doch aus der Not heraus mache und mich schon länger nicht mehr wirklich wohl damit fühle.

    Einen anderen mit dem die Gespräche recht privat wurden, hatte ich auch mal, noch 2009. Der bot mir tatsächlich einen echten anderen Job an. Als Übersetzerin englischer Texte für seine Homepage. Aber mit dem Freier bin ich für BJs auf irgendwelche öffentlichen Toiletten verschwunden, sorry, nein, da kann ich nicht plötzlich in ein Chef-Angestellten-Verhältnis switchen. Zu absurd, zu potentiell gefährlich, dass es dann leicht kippt.

    Wieder ein anderer bot mir Jahre später an, zwei Mal die Woche für ihn zu putzen, zum Mindestlohn. Aber, so kam dann heraus als ich für einen kurzen Moment diesen kleinen Strohhalm doch fast erwogen hatte weil mich die Prostitution schon nur noch ankotzte, dabei doch bitte leicht bekleidet und weiterhin mit Sex verbunden. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen sollte, mich über dieses absurde Angebot aufzuregen.

    Es läuft darauf hinaus, dass auch die, die angeblich so an DIR, menschlich, interessiert seien, misogyne Arschlöcher sind.
    Zum Beispiel weil sie im gleichen Atemzug, in dem sie den „intellektuellen Austausch“ mit dir loben, dann Bashing gegen andere Frauen betreiben, die noch weniger Wahl haben.

    „Armutsprostitutierte? Würde ich niemals machen, weil…
    – die keinen Spaß dran hat / das NUR aus Not / für Drogen macht
    – ich das Elend nicht unterstützen will

    – man sich da bestimmt auf kurz oder lang was einfängt
    – ich keine will, mit der ich nicht reden kann
    … ich ja so ein GUTER Kerl bin, also nicht so ein ‘typischer’ Freier!“

    Alles gehört, und damals leider teilweise geglaubt.


    Fuck you, Typen, die so drauf sind! (Und die anderen natürlich auch)
    Ihr seid wirklich nicht besser als alle anderen Freier, von denen ihr euch ja ach so bemüht abzugrenzen versucht. Ihr seid teilweise solventer und perfider, na herzlichen Glückwunsch.
    Nicht.

    Schlussendlich weiß ich heute, dass meine Zeit in der Prostitution nie so selbstgewählt war, wie ich mir damals einredete. Das Selbstbild als minderwertige Person, das durch mein Elternhaus und meinen ersten langjährigen Partner aufgebaut und aufrecht erhalten wurde, die Traumafolgestörung, die Angst vor Behördengängen und das Pech, an falsche Sachbearbeiter geraten zu sein, der vermeintliche Kick als ich feststellte, dass ich mich auf diese Weise doch selbst und ohne Hilfe über Wasser halten kann und so „liebenswert“ bin, dass mich andere für Zeit mit mir bezahlen… ohne diese Grundvoraussetzungen wäre ich nie da rein geraten.

    Prostitution ist keine selbstgewählte Arbeit.

    Und Freier sind keine netten Typen.

    Niemals.

    (c) Ronja

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