Autorin: Stephanie //
Ich ertrug den Ekel nicht mehr, die Freier nicht mehr, ihre unmöglichen und teilweise sehr dreisten Forderungen nicht mehr und überhaupt war mir beim Gedanken ans Anschaffen schon ganz anders.
Ich versuchte meinen Schritt ins bürgerliche Leben und muss nun heute feststellen, dass dieser Weg ein langer wird und von vielen, sehr vielen Fallstricken begleitet wird.
Zu Beginn versuchte ich es mit einem kleinen Job, eine einfache Tätigkeit. Das war gut, denn aufgrund meiner traumatischen Vergangenheit und meinen zeitweise depressiven Schüben bin ich nicht in der Lage, einen hochverantwortungsvollen Job anzunehmen und der Aufgabe entsprechend gerecht zu werden. Ich wollte also niedrig ansetzen und mich dann steigern, so der Plan.
Einziger Wermutstropfen: die Bezahlung ist miserabel. Aber das wird schon, dachte ich.
Frohen Mutes und unendlich dankbar nichtmehr 10 fremde Männer pro Tag sabbernd über meinen Körper verfügen lassen zu müssen, stürzte ich mich in die Arbeit und fand dort gut Anschluss, arbeitete auch viel und ohne zu murren weit über mein Stundensoll.
Doch das Geld reichte nicht. Was also tun? Monatelang lebte ich unter der Bedarfsdeckung, ich sparte an allem, an Essen, an Kleidung, an Luxusgüter kann ich mich nicht erinnern. Als der Frühling nahte besaß ich nicht mal mehr Strümpfe ohne Loch. Ich litt unter Depressionen und war froh, dass mein Job eine gewisse Flexibilität zuließ, sodass ich kaum Krankentage hatte.
Ich wohnte in prekären Verhältnissen, das Zimmer auf befristete Zeit, es musste etwas gefunden werden was auf Dauer hält. Und ich hatte Glück, ich fand etwas.
Nun kamen die Probleme auf mich zu. Ich habe nichts, gar nichts. Ich war eine Zeit lang wohnungslos, wohnte bei Freunden, Bekannten, in WGs oder in vormöblierten Wohnungen auf Zeit. Nie hatte ich etwas Eigenes besessen oder mir kaufen können.
Nun war es soweit, meine erste eigene Wohnung war zum Greifen nah. Doch woher sollte all das Geld für Möbel und Küchengeräte kommen? Ich suchte wie verrückt auf allen Portalen, die einen günstigen Kauf versprachen, aber selbst dort war alles so teuer, dass es mein Budget zu sprengen drohte. Und eine Wohnung ohne Küche, Stuhl, Tisch und Lampen ist einfach nicht wirklich bewohnbar.
Ich suchte Hilfen auf. Ich wollte den umständlichen und ewig langen Weg über das Arbeitsamt vermeiden – waren meine Einkünfte doch vorher über die Prostitution gewonnen worden, und ich wollte nicht dass ich mich beschämt vor einem Sachbearbeiter darüber äußern muss. Ich habe Angst dass sie sagen „ach dann gehen sie eben in die Massage oder den Escort, wenn sie es nicht mehr aushalten, aber wir können nichts für sie tun“. Es ist wie „Hose runterlassen“, demütigend. Hinzu kommt das Gefühl, dass man ein Mensch zweiter Klasse ist. Zu arm, schmarotzend gar, dem Steuerzahler auf der Tasche liegend. Das wollte ich mir und meinem angeknacksten Selbstwertgefühl ersparen.
Ich versuchte es über einen örtlichen Verein, der Menschen in Notlagen hilft, der leider auch nichts für mich tun konnte. Ich empfand dieses sich outen und um Hilfe bitten absolut unerträglich. Es gibt keine einfachen Hilfen, alles ist mit vielen Zetteln, Formularen und Bescheinigungen verbunden, deren Bearbeitung am Ende nicht selten folgende Aussage beinhaltet: „es tut uns leid, sie haben keinen Anspruch auf irgendwas.“
Keinen Anspruch auf Hilfe, keine Unterstützung, nicht mal hilfreiche Angebote. Man ist auf sich allein gestellt und kämpft sich irgendwie durch.
Meine Armut werde ich nun wieder in der Prostitution versuchen zu bekämpfen. Diese Entscheidung, zurückzugehen, ist für mich ein herber Rückschritt. Ich fühle mich nicht gut damit und habe sehr große Bauchschmerzen, doch hier habe ich das Gefühl, ich kann etwas tun. Und ich bekomme Geld, am Ende des Tages bin ich endlich handlungsfähig und kann teilhaben an der Gesellschaft.
Es ist auch demütigend, aber niemand bekommt es mit. Und man erhält sich einen Handlungsspielraum. Warum gibt es den nicht im bürgerlichen Leben? Wenn man arm ist, hat man keine Chance. Und wenn man allein und arm ist, ist es noch viel schwerer. Prostitution ist daher ein Weg, diesem Dilemma scheinbar zu entfliehen, auch, wenn es große Überwindung kostet und es ein Weg ist, den ich nie mehr gehen wollte.
Armut lähmt und macht einen krank und noch einsamer. Man ist ausgeschlossen vom Leben, ausgeschlossen in einem Land, indem es eigentlich keine Armut gibt. Ich wünsche mir, dass es zukünftig für keine prostituierte Frau mehr nötig sein muss, zurück zur Prostitution zu gehen, weil es ihnen als einzige Option erscheint. Es muss mehr Optionen geben. Ich rede hier nicht vom Leben im Luxus, sondern von einfachen Bedürfnisbefriedigungen. Einen Start ermöglichen, in ein neues, selbstbestimmtes Leben. Ohne Hilfe ist dies derzeit nicht absehbar
(c) Stephanie
Spendenaufruf für praktische Hilfe:
Das Netzwerk Ella möchte auch konkrete Direkthilfe für Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen, vermitteln. Ella versteht sich als Netzwerk sowohl von Frauen, die in der Prostitution tätig sind, als auch von Frauen, die aus der Prostitution ausgestiegen sind. Eine Verbesserung für Frauen in der Prostitution wird es nur geben, wenn Ausstiegshilfen, auch finanzielle, vorhanden sind. Wir bitten daher um Spenden mit dem Betreff „ELLA Ausstieg“ auf folgendes Konto <Kontodaten auf der Homepage von Ella>. Egal ob 10 Euro oder 100, wir danken für jede Unterstützung.