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stream of consciousness // DONA CARMEN und was sonst so schiefläuft

    Autorin: Sophie //

    Disclaimer: Netzwerk Ella besteht aus Frauen, die in der Prostitution waren oder noch sind. Bei uns ist weltanschaulich und religiös vieles vertreten – Atheistinnen, Sozialistinnen, Kommunistinnen, aber auch Christinnen. Wir verstehen uns als unabhängige Interessenvertretung für Frauen aus und in der Prostitution. Einzelmeinungen über Glauben, Politik usw. abseits der Abolition geben nicht die Meinung der ganzen Gruppe wider, weil wir dahingehend bunt gemischt sind. Uns eint das Ziel der Abschaffung der Prostitution.

     

    Feminismus ist, wie ich bereits festegestellt habe, ein schwer definierbarer Begriff. Auf einem meiner T-shirts steht “Feminism – the radical notion that women are people”. Für mich bedeutet das, dass Frauen Menschenrechte verdienen. Für alle Menschen soll es also dieselben Rechte geben. Dazu gehört auch das Recht auf ein menschenwürdiges Leben. Dieses ist sogar durch den allerersten Artikel unseres Grundgesetzes geschützt: “GG Art 1 §§ (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.” Das klingt toll und wird in Deutschland wahrscheinlich auch besser umgesetzt, als beispielsweise in der dritten Welt.

    Jedoch hat dieses Land wahnsinnige Defizite bezüglich Frauenrechten, die zwar faktisch gleichberechtigt sein sollen, aber nicht gleichbehandelt werden. Um auf die Würde des Menschen zurückzukommen, gibt es in hiesiger Politik und auch in großen Teilen der Gruppen, die eigentlich das Label “Feminismus” für sich beanspruchen, einen blinden Fleck : die Prostitution. Im Fernsehen sehen wir it-girls, die in ihrer Freizeit nebenbei Pornos drehen; webcamgirls, die ihr “Hobby endlich ausleben” und dabei gut verdienen; und glückliche Prostituierte, die erzählen, wie toll und mächtig sie sich fühlen, weil sie “sexuelle Macht” über Männer ausüben, die lieber zu ihnen, als zu deren “prüden Ehefrauen” gehen. Unsere Medien vermitteln uns also bereits, dass Prostitution das absolute Ultimo sexueller Selbstbestimmung sei. Ist das so? Warum habe ich das nie so wahrgenommen? Wie kann es sein, dass ich mich von 14 bis 22 Jahren prostituiert habe und mich nie sexuell selbstbestimmt und mächtig gefühlt habe? Wenn ich Freiern erzählt habe, mein Hobby zu Geld gemacht zu haben, habe ich gelogen, um mit dem Image des versauten Teens zu mehr Geld zu kommen. Es tut mir inzwischen sehr leid, das falsche Bild, das Männer von uns prostituierten Frauen haben, mit aufrecht erhalten zu haben. Frauen, die die Prostitution kennen, kennen diese Überlebensstrategie wahrscheinlich auch. Vielleicht in anderer Form, aber uns selbst verleugnet haben wir alle. Die Wahrheit ist aber: Ich brauchte das Geld und ich brauchte den Schmerz. Jeden Tag aufs Neue wollte ich mir selbst beweisen, nun endgültig tot zu sein und dass mich keiner mehr verletzen kann, weil jegliches Gefühl in mir ausgelöscht war. Ich wollte der kälteste und skrupelloseste fleischerne Geldautomat auf dieser Erde sein. Jede Beleidigung, jeder blaue Fleck, jeder Riss in meiner Haut, jedes Würgemal, die zerrissene Kleidung, jede Vergewaltigung und jedes Eindringen in die innersten Ecken meiner Psyche bewiesen mir immer mehr, dass ich kein Mensch aus Fleisch und Blut sein kann. Dass ich keine Rechte habe. Dass mich keiner beschützt, außer den Männern, die ich dafür bezahle. Damit meine ich Kumpels, Exfreunde oder die Chauffeure der Escortagenturen, die draußen warteten und Geld verlangten, weil sie für Gefahrensituationen potentiell verfügbar waren.

    Denn wäre wirklich etwas passiert, wäre es nur schwer möglich gewesen zu helfen, weil Freier damit rechnen, dass da wer ist. Außerdem wäre dann ja schon etwas passiert gewesen, also vor Gewalt ist man sowieso nicht wirklich geschützt. Der deutsche Staat hat mir gezeigt, dass er an “der Würde des Menschen” interessiert ist, nicht jedoch an meiner. Nicht an der Würde prostituierter Frauen. Denn an deren Entwürdigung verdient er nämlich Geld… Nach meinem Ausstieg wurde ich von der Agenturchefin, der ich das Strafgeld für Nichteinhaltung der dreimonatigen Kündigungsfrist nicht zahlen wollte (sie forderte 500€ Strafe, weil ich ihr nicht 3 Monate vorher Bescheid gesagt habe, dass ich aufhören möchte) bei Finanzamt (–>Steuernachzahlung) und Jobcenter (zum Glück erfolglos) angezeigt. Heißt also, statt dass der Staat mir hilft und mich unterstützt, werde ich dafür bestraft, dass ich nur Zuhälter und Exfreunde an meinen Narben verdienen ließ und den Staat dabei außenvorließ. Mein Antrag auf Ratenzahlung wurde abgelehnt, weil die Nachzahlung innerhalb von 6 Monaten komplett bezahlt sein muss und ich einfach zu wenig Geld dazu habe. Es folgten mehrere unangekündigte Besuche bei mir Zuhause und eine Kontopfändung. Gewünscht hätte ich mir jedoch, dass jemand anerkennt, dass ich nun vom Existenzminimum lebe und mein Abitur nachhole und dass mir jemand erklärt, wie man unter diesen Umständen eine plötzlich aufkommende Stromnachzahlung von 500€ behandelt.

    Um solche Fälle zu vermeiden, wollte meine letzte Chefin mit mir zu DONA CARMEN gehen, einer Beratungsstelle für Prostituierte im Frankfurter Bahnhofsviertel. Prostituierte wissen, dass man dort Beratung zum Thema Steuer einholen kann, über Ausstiegshilfe ist nichts bekannt. Die Frauen, die dort arbeiten, bezeichnen sich selbst als Feministinnen. Für sie ist Prostitution auch nicht schlimmer als die Ehe. Der Unterschied sei eigentlich nur, dass man in der Ehe ein Leben lang von einem Mann abhängig ist, in der Prostitution sei man aber selbstbestimmt und unabhängig. Juhu… Zwangsprostitution sei außerdem eher ein Mythos, weil so selten. Oookay… Ich lehnte damals ab, mich von DONA CARMEN beraten zu lassen, weil ich nicht einsah, den Staat an meinem Leid mitverdienen zu lassen und auch, wenn diese Entscheidung zu Ärger führte, bereue ich sie nicht. Anfang Juni hatte ich eine Begegnung mit Mitarbeiterinnen von DONA CARMEN, die mich etwas irritierte. Im Vorfeld muss ich wohl erklären, dass das, was mich zum Ausstieg bewegte, der christliche Glaube war.

    Ich weiß, viele empfinden Christentum und Feminismus als unvereinbar, aber wenn man die Bibel als historisches Werk betrachtet, in der eigentlich nur die bedingungslose Liebe Jesu Vorrang hat und sich dann Jesu Umgang mit Frauen und Prostituierten ansieht, halte ich sogar Jesu selbst für einen Feministen seiner Zeit. Mir persönlich gibt es Kraft, jemanden zu haben, der mich zu Zeiten liebt, in denen ich mich selbst nicht liebe, der mir vergibt, wenn ich mir selbst nicht vergeben kann und zu dem ich all mein Leid klagen kann. So beteiligte ich mich an einer Aktion einer amerikanischen Gemeinde, die einen “Pamper Day” für die Prostituierten der Stadt verantstalten wollte. Einen Tag lang gratis Maniküre, Massagen, Make Up und Frisuren, um den Frauen einen Tag Entspannung zu ermöglichen. Einen Tag zuvor gingen wir durch das Bahnhofsviertel und verteilten Flyer. Viele Frauen aus der ganzen Welt waren gekommen, um zu helfen und das zog Aufmerksamkeit auf sich. Als wir bei DONA CARMEN vorbeiliefen, standen drei Frauen vor der Tür und eine schrie: “Ihr seid Sklaven des Patriarchats! SKLAVEN DES PATRIARCHATS!!!” Das verwirrte mich. Mir ist bewusst, dass einiges in der Bibel bezüglich Frauenrechte sehr missverständlich ist, aber dass eine Beratungsstelle, die Prostitution als Akt sexueller Selbstbestimmung weiterempfiehlt, Frauen, die diesen Frauen aus ihrem Leid heraushelfen wollen, als “Sklaven des Patriarchats” bezeichnet, ist absurd. Ist es feministisch, Zwangsprostitution zu verleugnen und zu verharmlosen? Und warum liegt ihr eigentlich nicht selbst im Laufhaus, wenn es da so toll ist? Prostitution ist nicht selbstbestimmt. Das ist bezahlter Missbrauch. Was Ist daran selbstbestimmt, wenn der Mann mit 150€ bestimmt, dass ich mit ihm eine Stunde “Girlfriendsex” haben werde? Was ist daran selbstbestimmt, wenn ich für 100€ mehr einem Vergewaltigungsrollenspiel zustimme, weil ich verdammt nochmal das Geld brauche?

    Wo bleibt mein Gefühl von Macht, wenn er es absichtlich so hart angeht, dass das Kondom platzt und ich nun, bis ich einen HIV-Test machen kann, Angst vor einer unheilbaren Krankheit haben muss? Und wieso sollte ich mich fühlen, als würde ich ihn sexuell kontrollieren, wenn ich in zerrissener Wäsche, bespuckt und gewürgt daliege, den restlichen Tag gar nicht oder nur noch auf Koks und Schlaftabletten arbeiten kann und mich einfach nur schmutzig und leer fühle? Ich muss fast kotzen bei dem Geruch von irgendeinem Aftershave und sauren Schweiß und fühle mich nicht, als sei ich mächtig und toll. Wer ist hier nun also “Sklavin des Patriarchats”? Die, die den Missbrauch an Frauen unterstützt und verleugnet, oder die, die Frauen davor bewahren möchte? Und wo ist verdammt nochmal der deutsche Staat hier mit seinem Grundgesetz ??? “Die Würde des Menschen ist unantastbar” Außer wenn Deutschland an der Verletzung meiner Würde verdient, oder was ???

     

    (c) Sophie

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