Autorin: Anthonia //
Wenn die Tätigkeit Prostitution von Befürworter*innen derselben in der Öffentlichkeit dargestellt wird, wird sehr häufig der Vergleich zwischen Prostitution und professioneller Schauspielerei erklärend hinzugezogen.
Die Frage, wie eine Frau/ein Mensch den sexuellen Kontakt mit so vielen wechselnden Partnern bewältigt, wird damit beantwortet, dass im Umgang mit Freiern ja nur eine Illusion hergestellt werde, die Frau schlüpfe dabei gekonnt in verschiedene Rollen und spiele mit Identitäten. Dadurch entsteht der Eindruck, es handele sich dabei demnach “lediglich” um Schauspielerei, und die eigene Sexualität und Seele bliebe durch die dadurch hergestellte Distanz somit unberührt. Diese Vergleiche lassen Prostitution irgendwie harmlos, gar interessant erscheinen. “Ach so, ist ja nur Schauspielerei, und Schauspielerei ist ja eine Kunst, das ist ja dann nicht so schlimm für die Prostituierte, ist doch toll und kreativ, das macht bestimmt Spaß”, kann man(n) daraus schlussfolgern …
Deshalb möchte ich nun mit diesem Mythos aufräumen.
Während meiner Zeit als Prostituierte war mein gesamter “Auftritt” während des Treffens mit einem Freier zwar meist gespielt, dieser Akt war aber nicht mit der wundervollen Tätigkeit einer Schauspielerin zu vergleichen. Er handelte sich vielmehr um eine gefährliche Verleugnung meiner eigenen Bedürfnisse und die Abspaltung meiner Identität:
Bevor ich ein Hotel betrat, um einen Freier zu treffen, hatte ich mir bereits 3x das stärkste auf dem Markt verfügbare Deodorant unter die Achseln gesprüht, um den Angstschweiß zu hemmen. Ich hatte nämlich jedes Mal eine Scheißangst, die ich überspielen musste.
Beim Zusammentreffen mit dem Freier spielte ich dann entgegen dem glorifizierenden und vielseitig erscheindenden Vergleich mit “dem Schlüpfen in eine andere Rolle” und dem “Spiel mit Identitäten” – TROTZ wechselnder Oufits oder Attitüden – letztendlich immer nur EINE Rolle, und zwar die der (durch den Freier) aufgegeilten Frau.
Ohne diese eine Rolle hätte Prostitution nämlich bei den meisten meiner Kunden nicht funktioniert. Sie wollten nämlich, dass ich auch meinen Spaß habe…
Ich wiederum war auf eine schnelle Erregung und Entspannung des Freiers angewiesen, um einen Termin möglichst schnell und unkomliziert “über die Bühne” zu bringen – vor allem, um die psychische Belastung für mich in Grenzen zu halten. Ein befriedigter Kunde ist eine entschärfte Bombe, von der vorerst keine Gefahr mehr ausgeht. Das bisschen zeitschindende Blabla “danach” überlebte ich schließlich auch noch. Irgendwie.
Allerdings glaubten die Freier (die nicht immer, aber auch nicht selten deutlich über 50, mit starkem Bauchansatz, auch vom Charakter her häufig schwer vermittelbar waren) dieses Schauspiel nur allzu gern, sie WOLLTEN mir UNBEDINGT “abkaufen”, dass es sich bei unserem “Date” ausnahmsweise um echte Lust (meine) handelte. So gut konnte man das ihrer Ansicht nach nämlich gar nicht spielen…..Deshalb ließen mich manche Kunden auch am Ende eines Treffens etwas pikiert – gar vorwurfsvoll – wissen, dass SIE ja eigentlich diejenigen sein sollten, die Geld von MIR bekommen müssten, da “es” ja ganz offensichtlich so wahnsinnig lustvoll war für mich. Ein Schlag ins Gesicht nach dieser in Wahrheit qualvollen Begegnung.
Viel wichtiger als die geschauspierlerte Attitüde und Erregung war aber nicht das Spiel MIT-, sondern das Abspalten VON der eigenen Identität – als Überlebensstrategie, während ein fremder, für mein Emfinden trotz Dusche häufig unangenehm riechender Mann stundenlang meine Körperöffnungen mit Zunge oder anderen Körperteilen penetrierte, während sein Körperschweiß auf meinen gequälten Leib tropfte. Ohne dieses Dissoziieren hätte ich wahrscheinlich dem meine empfindlichsten Grenzen überschreitenden Freier längst schon einmal mit dem meist neben mir stehenden Nachttischlampe eins übergebraten. Stattdessen stöhnte ich dank Abspaltungsprozess ein bisschen, damit er bloß schnell fertig würde.
Auf den ersten Blick gibt es also Parallelen zwischen Prostitution und darstellender Kunst: Auch bei einem Bühnenschauspiel möchte der Zuschauer ein gutes Schauspiel sehen. Der Zuschauer will eine Illusion.
Aber: Am Ende des Theaterstücks schließt sich der Vorhang und das Licht geht an. Spätestens jetzt wird der Besucher wieder in die Realität zurückgeholt, es ist klar, dass das von ihm Erlebte nicht echt war.
Dieses Beenden der Illusion ist bei Prostitution meist nicht der Fall, denn am heute hart umkämpften Prostitutionsmarkt ist Kundenbindung sehr wichtig, um als Prostituierte überleben zu können.
Somit bleibt beim Kunden das nachhaltige Gefühl, attraktiv und potent zu sein und eine Frau damit beherrscht, bezwungen zu haben.
Was mir bis heute bleibt, ist die Qual, die auf dieses “Schauspiel” folgte, dieses schlimme Gefühl, das jeder Mensch kennt, wenn er immerzu – wieder, wieder und wieder – ja anstatt nein sagt.
(c) Anthonia