Autorin: Sophie //
Beim Gedanken an die Polizei stellen sich bei mir gemischte Gefühle ein. Ich habe einerseits die Erfahrung gemacht, dass es sehr empathische und auch in gewisser Weise fürsorgliche PolizistInnen gibt, andererseits habe ich als ehemals selbst in der Kriminalität Lebende auch sehr negative Erfahrungen gemacht und die Polizei somit nicht als meinen Freund und Helfer gesehen, sondern als eine Instanz mit der man besser nicht in Kontakt kommt. Da ich aus Bayern komme und schon in meiner Jugend Drogen nahm, die ich von viel Älteren bekam, wurde mir wegen des hohen Strafmaßes und der aggressiven Verfolgung von Rauschgiftdelikten, die dort betrieben wird, von meinen Dealern intensiv eingeschärft, dass man mit der Polizei nicht spricht.
Ich wurde regelrecht darauf abgerichtet, loyal zu sein, selbst wenn es mir selbst schadet. Somit war es sehr schwer für mich, mit 17 Jahren meinen damaligen Freund anzuzeigen, der mich regelmäßig einsperrte, vergewaltigte und teilweise auch versuchte, mich umzubringen. Um jeden Preis versuchte ich, das Problem selbst zu lösen, unter anderem damit, dass ich ihm selbst einmal ein Messer in die Brust rammte, das aber im Knochen steckenblieb und somit keinen großen Schaden anrichtete. Als der Leidensdruck und meine Panik davor zu sterben groß genug waren, ging ich zu meinem Heimleiter und ich präsentierte ihm einen Plan, meinen Ex anzuzeigen, ohne selbst aussagen zu müssen. In den Wochen zuvor habe ich meinem Ex größere Mengen Amphetamine zu einem Spottpreis vermittelt, um dafür zu sorgen, dass immer genug im Haus war, ihn mit einem anonymen Hinweis in U-Haft zu bugsieren. Das ist hinterlistig, aber meine Angst vor den Konsequenzen einer Aussage war so groß, dass ich an diesem Tag am kompletten Körper rote Flecken bekam und meine Hände permanent zitterten. Nun ging ich also zu meinem Heimleiter und bat ihn, dies der Polizei zu stecken. Der Mann am anderen Ende der Leitung dachte aber nicht daran, noch am selben Tag bei meinem Ex einzulaufen. Ich denke, ihm war völlig klar, dass ich im Hintergrund saß und Probleme hatte, weil mein Heimleiter sonst natürlich nicht von solchen Mengen Drogen bei einem ihm unbekannten Mann wüsste, und dass ich Bewohnerin dieses Kinderheims war, war der Polizei bekannt. Völlig aufgelöst fing mein Hirn an, Alternativen zu erörtern und mir fiel ein, dass in meinem Kühlschrank im Heim noch Speed war und ich nachweisen konnte keines konsumiert zu haben, aber auf der Kamera des Hauses zu sehen war, dass mein Ex bei mir war.
So hoffte ich, mit diesen Infos eine sofortige Hausdurchsuchung bewirken zu können, schließlich konnte mein Heimleiter behaupten, der Stoff sei zufällig gefunden worden und eindeutig auf meinen Ex zurückzuführen. So machten wir’s, jedoch musste ich mit zur Wache. Der Polizist der Rauschgiftfahndung nahm die Infos auf und wollte unbedingt eine Aussage von mir. Natürlich negierte ich das, woraufhin er anfing, dass mein Freund so ein lammfrommer Kerl sei, der keiner Fliege was zu leide tue und frug mich, wovor ich denn so Angst hätte. Für mich war das ein Schlag ins Gesicht und ich bin zusammen gebrochen , habe Rotz und Wasser geheult und angefangen herumzuschreien, dass dieser harmlose Kerl mich schlägt und einsperrt und dann jedes Mal mit mir gegen meinen Willen schläft. Dass es so schlimm ist, hat keiner in dem Raum erwartet und man hat mich einfach gezwungen, eine Aussage zu machen. Mir wurde erklärt, dass solche Verbrechen verfolgt werden müssten, egal ob ich Strafantrag stelle oder nicht. Völlig am Ende mit den Nerven packte ich aus und war erleichtert, als mir die Verhaftung bestätigt wurde. In diesem Moment empfand ich den Polizisten als unsensiblen Rüpel, heute bin ich ihm sehr dankbar. Das Verfahren bis zur Verhandlung war sehr anstrengend. Ich musste teilweise wöchentlich zum Polizeipräsidium, um bei der für Sexualdelikte zuständigen Kommission immer wieder meine Aussage zu wiederholen.
Bei manchen Polizisten hatte ich das Gefühl, dass sie mir nicht glaubten, weil ich knapp gekleidet war und offen mit meinen Erfahrungen als Prostituierte umging. Das tat sehr weh und weil ich all das Erlebte nicht aushielt, versuchte ich mich erst mit einer Überdosis Tabletten umzubringen und wurde dann heroinsüchtig. Im Nachhinein finde ich sowieso, dass die Art und Weise, wie das Verbrechen aufgedeckt worden war, einfach nur eine Tortur war. Ich musste ständig mit Männern sprechen, nur eine einzige Ermittlerin war weiblich. Männliche Richter, männliche Polizisten… Der Anwalt des Angeklagten verlangte zu guter letzt noch ein forensisches Gutachten, weil meine Mutter an paranoider Schizophrenie leidet und mein Ex behauptete, dass dies wohl auch bei mir der Fall sei. Der Gutachter schenkte mir Glauben und mein Ex bekam insgesamt 5 Jahre Haft, wovon nur 2,5 für das war, was er mir angetan hat und auch wenn mir die Justiz damals in gewisser Weise das Leben rettete, wusste ich, dass sie letztenendes nicht auf meiner Seite war. Ich wusste seit diesem Zeitpunkt einfach, dass man mich vor Gericht nicht ernst genug nahm, um den Täter angemessen zu bestrafen und das in Zukunft aufgrund der Tatsache, dass ich als drogensüchtige Prostituierte bekannt war, niemals passieren würde. Somit zeigte ich seit diesem Tag nie wieder eine Vergewaltigung an, so häufig es auch immer passierte.
Meine zweite Erfahrung als Prostituierte mit der Polizei war, als ich mich kurz nach meinem 19. Geburtstag wegen der Anmeldung im Laufhaus melden musste.
In Bayern muss man als unter 21-Jährige erstmal bei der Polizei vorsprechen, dass man das auch freiwillig mache, usw. Der zuständige Polizist von der Sitte war freundlich und sympathisch, wirkte auf mich irgendwie fürsorglich. Schon eine Woche nach meiner Anmeldung traf ich ihn wieder, weil ein Freier mich angezeigt hat. Dieser Freier war mein erster im Laufhaus und das hat er total ausgenutzt. Ich war vom Escort noch total daran gewöhnt, dass ein „diskreter“ Umschlag mit der passenden Geldsuumme auf den Tisch gelegt wurde und war deshalb überhaupt nicht verwundert darüber, dass dieser Typ das auch machte und es danach zur Sache ging. Es war genau wie der „Girlfriendsex“ beim Escort, außer dass er vor dem Abspritzen schnell den Gummi abzog. „Stealthing“ nennt man das heute, so weit ich weiß. Ich bin total aus der Haut gefahren, sah in den Umschlag und außer einer leeren Grußkarte war da nichts drin. Fuchsteufelswild verlangte ich seinen (leeren) Geldbeutel und nahm mir Perso und Führerschein und sagte, den bekäme er erst wieder, wenn er mir 150€ bringe. Nach zwei Stunden kam er und ich sagte ihm, er solle unten warten, weil ich wusste, dass mein Freund da war und auf mich wartete. Der Freier hatte einen zerknüllten 50er in der Hand, wollte mir weismachen, das seien die 150€ und forderte seine Papiere zurück. Ich schaltete schnell, rief meinen Freund, der Typ rannte zu seinem Auto und mein damaliger Freund stellte sich gerade noch in die Tür und schlug ihn, während ich ihm den 50€ Schein entriss. Bei der Polizei schilderte ich die Geschichte, auch das mit dem Stealthing und wollte das alles anzeigen, aber keiner nahm mich Ernst. Keiner wollte die Anzeige aufnehmen, weil ich selbst Schuld gewesen sei.
Ich fühlte mich erbärmlich. Mein Ex bekam einen Bewährungswiderruf, 4 Monate für die „Ohrfeige“, meine Anklage wurde fallengelassen und wir zierten die Rückseite der Tageszeitung. Wieder einmal fühlte ich mich bestätigt, dass die Polizei nicht auf meiner Seite war. Es war, als wäre ich als Prostituierte eine Art Opferlamm. Ein Auffangbecken für männliche Aggression. Als dächten sich manche: „Lieber trifft es sie, als unsere Töchter. Sie hat es sich ja ausgesucht.“ Keineswegs möchte ich hier die Polizei durch den Schmutz ziehen, aber ich hätte mir gewünscht, ernster genommen zu werden. Mindestens genauso ernst, wie ein biederes Mädchen aus der bayrischen Provinz, dem so etwas passiert. Warum war das nicht möglich?
(c) Sophie