Autorin: Sophie //
Bevor ich anfange möchte ich betonen, dass das Netzwerk Ella eine
UNABHÄNGIGE Interessensvertretung von Frauen aus der Prostitution ist.
Wenn ein Mitglied eine bestimmte religiöse oder politische
Weltanschauung hat, sagt das nichts über das Netzwerk Ella aus, weil
sich die Ansichten der Mitfrauen durchaus unterscheiden und von
Aktionen des Netzwerks Ella unabhängig sind.
Wie letztes Jahr im Juni fand auch dieses Jahr wieder der „Code Red“
statt, eine Veranstaltung einer internationalen Gemeinde aus den USA,
die sich zum Ziel gesetzt hat, sowohl die Rehabilitation von Süchtigen
und Obdachlosen, als auch praktische Ausstiegshilfe für Prostituierte
zu leisten .
Ich habe vor allem Interesse an der praktischen Ausstiegshilfe für
Prostituierte und nehme deshalb an Veranstaltungen teil, die sich
damit beschäftigen. Um Kritik vorwegzunehmen, muss ich erklären, dass
diese Gemeinde nicht darauf abzielt, die Prostitution der christlichen
Moral wegen zu verurteilen und zu verbieten. Viele Frauen der Gemeinde
waren in der Vergangenheit selbst Prostituierte und zudem oft auch
drogenabhängig. Da die einzige Institution, von der sie Hilfe bekamen,
die Kirche war, die ihnen in einer Zeit der vollkommenen
Zerbrochenheit von Jesu bedingungsloser Liebe erzählt hat und das ,
sowie der Halt, den das Kollektiv bot, dann auch das einzige waren,
das ihnen aus ihrer miserablen Situation herausgeholfen und ein neues
Leben ermöglicht hat, möchten diese Frauen diese Liebe auch
weitergeben. Weil die meisten dieser Frauen sexuelle Gewalt und
wirtschaftliche Nöte nur allzu gut kennen, fühlen sie mit den
Prostituierten Frauen mit. Sie wissen um ihre Lage, um die
Alternativlosigkeit und um den Verlust jeglichen Selbstwertgefühls.
Aus diesem Grund findet jährlich auf der ganzen Welt der „Code Red“
statt, bei dem alle prostituierten Frauen zu gratis Kosmetik,
Massagen, Maniküre, Frisieren etc. eingeladen werden. Bei diesem Event
geht es darum, dass die prostituierten Frauen sich für einen Tag
geliebt und wertgeschätzt fühlen und nebenbei davon erfahren können,
dass die Kirche ihnen eine Ausstiegshilfe bieten kann. Gleichzeitig
erzählen einige Frauen von ihren Erfahrungen in der Prostitution, von
den Süchten, denen sie erlagen und wie sie den Weg heraus geschafft
haben. Die Testimonials sind insgesamt ermutigend und sollen den
Frauen Hoffnung spenden.
Ich weiß, dass Evangelikale oder insgesamt Gläubige von Feministinnen
zwecks Pro-Life-Aktivisten und oft patriarchaler Strukturen als
Antifeministisch wahrgenommen werden. Jedoch wage ich zu behaupten, so
etwas in dieser Gemeinde noch nicht wahrgenommen zu haben. Viel mehr
besteht ein wertschätzender Umgang mit allen, egal wie sehr sich deren
Lebensmodell von der Bibel unterscheidet. Von mir wissen alle, dass
ich Feministin bin, von einem guten Freund weiß man, dass er
homosexuell ist, und dennoch sind wir akzeptiert. Man muss diesen
Glauben nicht teilen, aber ich finde solch ehrenamtliches Engagement
einfach rührend und möchte gern daran teilhaben. Ich war nämlich
selbst mehrmals für ein paar Wochen im Laufhaus und hätte damals
vielleicht gern tröstende Worte von Menschen gehört, die meine
Situation kennen, statt an totaler Vereinsamung zu leiden, weil Freier
und Zuhälter meine einzigen sozialen Kontakte waren. Für mich gilt der
Leitsatz: „Sei der Mensch, den du früher gebraucht hättest.“
Außerdem arbeiten in den Laufhäusern, in denen wir waren, zu 90%
Rumäninnen, Bulgarinnen und Lateinamerikanerinnen, von denen, wie sich
herausstellte, fast alle gläubig sind und somit sofort „common ground“
geschaffen war.
Eigentlich schreibe ich diesen Text hier aber nicht des christlichen
Engagements wegen, sondern um über die Erlebnisse zu berichten, die
ich in der ersten Juniwoche hatte. Es geht mir darum, öffentlich zu
machen, was ich in den Laufhäusern des Frankfurter Bahnhofsviertels
gesehen habe und wie es mir dabei ging.
Wie gesagt, war ich im Alter von 19 und 20 Jahren selbst ein paar Mal
für ein paar Wochen oder Wochenenden dort und obwohl ich nicht
dauerhaft blieb, hat mich die Zeit dort sehr geprägt. Die Geschichte,
wie ich in eines der Frankfurter Laufhäuser kam, möchte ich hier
erzählen…
Als ich an einem sommerlichen Tag im Frühjahr 2014 in den
Taunusanlagen Gassi ging, lernte ich eine Frau kennen, die ich
ansprach, weil sie einen Hund derselben Rasse wie meinem hatte. Zum
damaligen Zeitpunkt arbeitete ich gerade in einer der Animierbars,
weil ich mich nicht mehr prostituieren wollte. Mein Chef gab mir das
Geld für die ersten zwei Monatsmieten für ein WG-Zimmer direkt im
Bahnhofsviertel, aber als diese vorbei waren, vergaß ich, die nächste
Miete pünktlich zu zahlen und so wurde am selben Tag noch mein Schloss
ausgetauscht und das Zimmer war weg. Um der Obdachlosigkeit zu
entgehen, nahm ich das Angebot von Melania (Name anonymisiert) an, mir
ein „gutes“ Zimmer im einzigen Laufhaus, bei dem die unterste
Preisgrenze 30€ statt 25€ betrug, zu organisieren. Sie stellte mir
ihren Freund vor, einen „Wirtschafter“ (so nennt man die, die im
Laufhaus im Büro sitzen und für die „Sicherheit“ der Frauen sorgen und
die Tagesmiete eintreiben) von den Hell’s Angels, der mir die
Formalitäten erklärte. „Wirtschafter schreibe ich deshalb in
Anführungszeichen, weil meiner Meinung nach Profiteure der
Prostitution anderer Zuhälter sind, aber weil das unser deutscher
Staat nicht so sieht, wahre ich den offiziellen Begriff.
Immer wieder nahm sie mich mit zu ihm, vermittelte mir das Gefühl, ab
jetzt „dazuzugehören“ und sicher zu sein. Wir tranken zusammen,
lachten zusammen und sie erklärte mir, wie man Freier „rippt“ oder
mehr Geld für weniger Service bekommt und solche Sachen.
Einiges verband uns, wir teilten die Erfahrungen sexueller Gewalt in
der Kindheit und kamen beide aus dysfunktionalen Familien. Ich fühlte
mich verstanden und das Eintauchen in die „Unterwelt“ faszinierte
mich. Die Einsamkeit in der ich lebte, weil Menschen mich immer nur
wegen meinem Geld oder meinem Körper benutzten, ließ mich auf eine
tiefe Freundschaft mit Melania hoffen.
Nach wenigen Tagen kam jedoch das böse Erwachen, als sie plötzlich zu
den 140€ Tagesmiete, die ich an das Laufhaus abzuführen hatte, noch
50€ für sich verlangte. Für den „Schutz“ und dass sie mir gewisse
Techniken, mehr Geld zu verdienen beibrachte. Das verweigerte ich und
ich ahnte, dass sie es dabei nicht belassen würde. Am nächsten Tag
rief sie mich über das Haustelefon zu sich ins Zimmer, weil sie einen
Freier für mich hatte. Er vollzog den Sex an mir und Melania schob das
Geld in ihre Schublade. Sie hatte einen Preis ausgemacht, der mir
selbst viel zu niedrig gewesen wäre und rückte das Geld später auch
nicht raus. Kurze Zeit später ließ sie mich von ihrem Freund
rauswerfen, weil ich weiterhin verweigerte, ihr das Geld zu geben und
den Kontakt nach dieser Aktion auch unterbrach. Der offizielle Grund
war, dass ich einem anderen Mädchen im Haus Koks angeboten habe, aber
eigentlich ging es darum, dass ich nicht bereit war, für sie
mitanzuschaffen.
Denn Koks nahm sie auch selbst und das war bekannt. Auch einige andere
Frauen koksten, aber ich lernte nur wenige kennen. Zum einen konnten
die meisten der Frauen kein Deutsch, zum anderen bewegte ich mich nur
mit Tunnelblick und Scheuklappen durch das Haus. Zwar hat mich die
Atmosphäre dort fasziniert, weil es so anders war wie beim Escort oder
den Internettermine mit Pädophilen, die meinen Einstieg in die
Prostitution bedeuteten. Jedoch war das Arbeitspensum so viel heftiger
als je zuvor und ich befand mich permanent in heftigster Dissoziation.
In meiner ersten Nacht arbeitete ich von 19-4 Uhr und verdiente dabei
2000€, das brachte mich dazu zu glauben, dass die Laufhausprostitution
sogar rentabler als der Escort sei, was ein Trugschluss war. Wenn man
bedenkt, dass der Standardpreis für 20 Minuten Sex und Oralverkehr bei
30€ lag und die Tagesmiete 140€ betrug, kann man sich ausrechnen, wie
oft man für das Haus Sex hatte, bevor man zu seinem „täglich Brot“
kam. Frauen mit guten Deutschkenntnissen können da tricksen und durch
unehrliche Methoden dafür sorgen, dass entweder mehr Geld oder weniger
Sex dabei rumkommt, aber diese Möglichkeit blieb den Frauen, die kein
Deutsch konnten, leider nicht. Gleichzeitig hieß es aber auch, mehr
männlicher Aggression ausgesetzt zu sein, wenn man „rippte“ und
Beschiss. Wie oft wurde ich vergewaltigt, trug blaue Flecken davon,
nur weil ich 5 Minuten zu früh gesagt habe, dass nachgezahlt werden
müsse. Oder wie oft hat man mich zu Praktiken gezwungen, die so nicht
abgemacht waren. Wie oft haben Freier mir ihren Penis so brutal
reingerammt, dass das Kondom riss und wie oft hatte ich ab gewissen
Zeitpunkten einfach stundenlange Blackouts, weil ich das was in der
Zeit passierte, einfach nicht verkraftete. Zum „Glück“ hatte ich einen
Freier, den ich vom Heroinkauf auf der Straße kannte, der mir dafür,
dass er sich bei mir vor der Polizei verstecken durfte, regelmäßig
genug Heroin gab, um all das Elend auszuhalten. So war es ein bisschen
leichter zu ertragen.
Jedoch waren nicht nur die Freier und meine Kollegin feindselig und
ausbeuterisch. Auch der Rest des Viertels bereicherte sich an uns
prostituierten Frauen. Mehrmals am Tag kamen Männer, die Zigaretten,
Kaugummis, Energy Drinks, Süßigkeiten, Essen, Kleidung, Dessous,
Cremes und Make Up und geklaute Waren verkauften, die uns natürlich
viel teurer angeboten wurden, als wenn wir sie selbst außer Haus
besorgt hätten. Aber die meisten Frauen lebten im Haus und gingen auch
nicht gerne raus.
Da man in der Prostitution völlig den Bezug zu Geld verliert, ist es
einem auch völlig egal, ob die Waren teurer sind oder nicht.
Hauptsache man muss nicht raus, um dort von potentiellen Freiern dann
„privat“ angequatscht, oder von den „Normalen“ der Straße als Hure
identifiziert zu werden. Das ist unangenehm. Vor allem ist die
Konfrontation mit der Realität unangenehm, außer man geht shoppen. Die
Realität könnte die Dissoziation auflösen, shoppen befördert einen in
einen anderen, angenehmeren Trancezustand und man hat das Gefühl, all
die Qual würde sich lohnen. Shopping war mir unglaublich wichtig, es
war mir wichtig, mir selbst zu beweisen, dass ich es zu etwas gebracht
habe. Dass ich trotz Drogensucht besser aussah und mir teurere Sachen
leisten konnte, als die meisten Menschen aus der Mittelschicht. Es war
mir wichtig, wenigstens an Sachwerten meinen Selbstwert messen zu
können. Wenn ich schon kein Recht auf Schutz und körperliche
Unversehrtheit besaß, wenn meine Würde schon so antastbar war, dass
sie keinen interessierte, weder den Staat, noch irgendeinen Freier,
der meinen Körper behandelte, als wäre er längst tot und auspresste,
was nur irgendwie möglich war, dann wollte ich mir wenigstens ein paar
Gegenstände kaufen, die wertvoll waren. All die Euros, die ich in den
Einkaufsstraßen und -centern ließ, gaben mir das Gefühl, etwas ganz
besonderes zu sein. Bei jedem Augenzwinkern oder Kompliment, das mir
jemand machte, dachte ich, dass dieser Mensch gerade nicht den
Schmutz, den Ekel und die Hure in mir sah, sondern schlicht und
einfach nur fand, dass ich gut aussah. Das Geld war ein Trost. Balsam
für meine geschundene Seele. Zwar war ich allein, aber das Geld gab
mir Wärme. Es ließ mich mich anderen überlegen fühlen, von denen ich
sonst das Gefühl hatte, dass sie auf mich herabblickten. Am Anfang
brachte mich zwar mein Trauma dazu mich zu prostituieren, aber
irgendwann war das Geld auch einfach identitätsstiftend für mich. Auch
wenn es Zeiten gab, in denen ich nicht viel von meinem Geld hatte,
weil ich den ein oder anderen Exfreund mitunterhielt oder meinen
Freunden Geschenke machte, weil ich mich so wertlos fühlte, dass ich
dachte, für Zuneigung bezahlen zu müssen.
Von meinen eigenen Erfahrungen im Laufhaus komme ich jetzt zu meinen
Begegnungen der ersten Juniwoche. Schon Montag und Dienstag ging ich
mit, um Flyer an die Frauen zu verteilen und ihnen von dem
Gratis-Wellness-Event zu erzählen. Die Gemeinde geht auch sonst
mehrmals im Monat im Viertel umher, um sowohl mit den Drogensüchtigen,
als auch mit den Prostituierten zu sprechen und Hilfe anzubieten, also
kannte man uns schon.
So kam es dazu, dass ich mit der Tochter der Pastorin zuallererst das
Laufhaus betrat, in dem ich selbst auch gearbeitet habe. Der
„Wirtschafter“ im Büro, den es auch damals vor 4-5 Jahren schon gab,
erkannte mich nicht, obwohl ich mit ihm sprach. Die Frauen waren eher
verschlossen, ein paar kannte ich noch von damals, sie mich aber nicht
mehr und ich unterließ auch, sie daran zu erinnern. Die meisten
wirkten irgendwie weggetreten. Sie lächelten müde und eingefroren,
ihre Gesichter glichen Masken. Als ich durch die Gänge lief, fühlte
ich mich, als klebten Bleisäcke an mir, so schwer und drückend war die
Atmosphäre. Teilweise sah ich in die Türen und auf die Betten und sah
da mich selbst, völlig dissoziiert. Heute denke ich, sobald man als
Prostituierte einen Puff betritt, tauscht man seine Persönlichkeit
ein. Man ist dann jemand anders, eine Hülle, ein Roboter, man
funktioniert auf Autopilot. Die Fassade ist immer anders, so dass sie
halbwegs authentisch wirkt, aber letztenendes ist alles irgendwie
unecht und man ist von sich selbst total entfremdet.
All diese Gefühle, die ich damals überhaupt nicht in der Lage war zu
empfinden, kamen mir auf einen Schlag entgegen.
Mich hat das so traurig gemacht, Frauen wie mich in diesem Zustand zu
sehen. Am schlimmsten war für mich ein Zimmer, in dem eine Frau lag,
die aussah wie 14 und mit halb offener Tür regungslos mit halboffenen
Augen auf dem Bett lag. Als wir sie ansprachen, winkte sie ab. Nach
Drogen sah sie eher nicht aus, wobei man das nicht wissen kann, denn
das tat ich damals auch nicht, aber ich vermute, dass sie entweder
völlig in ihrer Dissoziation gefangen war, oder dass sie einen
Zuhälter hat, der bewacht, ob sie ihre Türe auch immer offen hat, wenn
sie gerade keinen Freier bedient, und deshalb in einer Situtation, in
der sie eigentlich nicht arbeiten konnte, trotzdem die Tür offen ließ.
So am Rande habe ich sowas auch damals, als ich selbst dort gearbeitet
habe, mitbekommen, aber wenn man selbst im Milieu ist, hebt man die
Werte „nichts hören, nichts sehen, nichts sagen“ sehr hoch. Die junge
Frau hat mich mit ihrem Anblick total erschreckt. Zum einen, weil ihr
Körper aussah, wie der einer 14-Jährigen und zum anderen, weil sie
dermaßen eindeutig und offensichtlich NICHT selbstbestimmt und frei
und glücklich war, dass ich mich wieder einmal frug, in was für einem
Land ich eigentlich lebe.
Wie kann es sein, dass nur 10m vom Eingang dieses Hauses das Büro von
Dona Carmen ist, welche da regelmäßig durch die Häuser patroullieren
und mit den Frauen spricht und dieser Verein trotz Begegnungen wie
diesen Menschenhandel, Zwangsprostitution und Armutsprostitution
verharmlosen und Prostitution als das Ausleben selbstbestimmter
Sexualität sehen? Wie ignorant kann man sein, dass man als Frau, die
noch nicht einmal selbst von der Prostitution betroffen ist, aber
dennoch regelmäßig solche Anblicke ertragen muss, das System
Prostitution verteidigt und fördert, dass Frauen darin einsteigen? Und
vor allem hat mich erschüttert, dass die Politik nichts tut. Gerne
würde ich eine Politikerin auf diese Aktionen mal mitnehmen, damit
diese sich ein Bild machen kann und endlich mal etwas bewegt im
Bundestag.
Dasselbe Mädchen haben wir am Freitag wiedergesehen, diesmal zwar
wach, aber wütend und sehr abwehrend. Sie sagte, dass sie nur mit
Kunden spreche, was auch wieder ganz typisch für Zwangsprostituierte
ist, weil deren Zuhälter ihnen jegliche Gespräche mit Menschen, die
sich für ihr Wohl interessieren, verbieten. Zum Einen muss die soziale
Isolation ja aufrechterhalten werden, zum Anderen darf keiner merken,
dass die Frau nicht freiwillig im Laufhaus ist.
Was mich als ich dann auch noch in den anderen Häusern war sehr
erschreckt hat, war dass die Häuser wohl nach Ethnien sortiert sind.
Manche sind halbwegs durchmischt, aber es gab zum Beispiel ein Haus,
in dem nur Lateinamerikanerinnen bis zu einem bestimmten alter waren.
Ein anderes war auch voll von Lateinamerikanerinnen, aber die meisten
waren schon etwas älter. Einige Häuser waren nur mit Rumäninnen oder
Bulgarinnen besetzt und in einem Haus waren zwei Stockwerke
thailändisch. Bilde ich mir das ein oder ist das nicht etwa total
rassistisch? Dem Kunden die Häuser nach „Rasse“ anzubieten und die
Frauen dementsprechend einzuordnen, halte ich für absolut
menschenverachtend. Unser Bildungswesen beinhaltet so viel
antirassistische Erziehung und in jeder Firma können rassistische
Kommentare zu einer sofortigen Entlassung führen, aber in der
Prostitution ist es vollkommen in Ordnung, dass spezielle Attribute
und spezieller Service einer Frau einer bestimmten Ethnie zugeordnet
werden. So gilt für die Thai-Frauen, dass sie Massagen anbieten, die
Latinas angeblich Analsex. Die Thaifrauen seien so klein und süß und
zierlich, die Latinas hätten so runde Hintern und seien
temperamentvoll. Dass so etwas unglaublich rassistisches in einem „Job
wie jedem anderen“ (Ironie off) erlaubt ist, macht mich einfach nur
sprachlos. Ein Freier kann sich eine Frau im Puff nach rassischen
Kriterien aussuchen, während derselbe eine Anzeige bekäme, wenn er
sich seine Putzfrau danach aussuchen würde. Angeblich sind beide
Dienstleisterinnen, warum also ist im Puff erlaubt, was eine Frau
außerhalb der Sexindustrie extremst diskriminiert? In den drei Tagen,
in denen ich die Treppen auf- und ablief, habe ich keine einzige
„Biodeutsche“ getroffen. Die meisten waren Migrantinnen und in jedem
Gespräch, das wir führten, wurde mindestens einmal erwähnt, dass die
ökonomische Situation die Frau dazu zwingt, sich zu prostituieren.
Allein das zeigt doch, dass da etwas nicht stimmt. Das zeigt doch,
dass Frauen eine Alternative ergreifen, sofern sie eine haben.
Deutsche Frauen verfügen nämlich von ihrer Kindheit an über die
notwendigen Sprachkenntnisse, die der Arbeitsmarkt erfordert und haben
auch eher ein bestehendes soziales Netz, das sie in einer prekären
Situation auffangen kann.
Manche Frauen fingen zu weinen an, viele hatten Kinder und wollten
sich ein neues Leben in der Heimat aufbauen. Dafür brauchten sie Geld.
Meistens waren die Kinder beim Vater, im Heim oder bei den eigenen
Eltern und sie mussten sowohl denjenigen Geld geben, die sich um die
Kinder kümmern, als auch die Tagesmiete bezahlen und oft auch noch für
den aktuellen „Freund“ aufkommen. Einige haben gesagt, dass sie
wirklich gern etwas anderes machen würden, aber es an mangelnden
Deutschkenntnissen oder fehlender Aufenthaltserlaubnis hapere.
Außerdem ist es für unausgebildete und oft auch mit mangelnden
Sprachkenntnissen ausgestattete Frauen schwierig, einen Beruf zu
finden, bei dem es möglich ist, für die finanziellen Notwendigkeiten ,
die anfallen, aufzukommen. Wir haben mit einer Frau gesprochen, die
weit über 60 war und sich beklagte, dass sie seit 20 Jahren in
Deutschland lebe, aber keinen Job finde und sich deshalb prostituieren
müsse, obwohl sie gesundheitlich völlig am Ende sei und eigentlich
überhaupt nicht mehr in der Lage überhaupt zu arbeiten.
All die weinenden Frauen und all die Geschichten dazu haben mich
unglaublich traurig gemacht und an unserem Rechtsstaat zweifeln
lassen. Nicht dass ich an diesem nicht auch schon vorher gezweifelt
hätte, aber die Verelendung nochmal so deutlich zu sehen, hat mich
extrem mitgenommen.
Mir ist außerdem aufgefallen, dass einige der Stockwerke geschlossen
wurden. Viele Häuser haben eigentlich fünf oder sechs Stockwerke, aber
in einigen waren ein oder zwei Stockwerke abgesperrt. Natürlich habe
ich mich gefragt, weshalb das so ist. Zuerst kam mir der Gedanke, dass
sich die Anmeldepflicht des ProstSchG bemerkbar machen könnte, wobei
ich jedoch nicht weiß, inwieweit die Häuser im Bahnhofsviertel
kontrollieren, ob eine Frau einen „Hurenpass“ besitzt, oder nicht.
Außerdem habe ich mich an Gespräche mit „Wirtschaftern“ erinnert, die
sagen, dass sich die Prostitution einfach nur verlagert habe. Da es im
Bahnhofsviertel massive Straßenkriminalität gibt, fühlen sich solvente
Freier dort nicht mehr sicher und weichen lieber auf FKK Clubs aus.
Somit seien die Freier der Laufhäuser des Bahnhofsviertels
hauptsächlich Perverse aller Nationen, die Fetische ausleben wollen,
die ihnen woanders keine Dame erfülle.
Taxifahrer würden dazu angehalten Messegästen einen Besuch im FKK Club
zu raten, statt sie ins Bahnhofsviertel zu bringen. Auch Freier in
Freierforen schreiben negativ über das Bahnhofsviertel, weil es
unsicher sei und erwähnen häufig, dass sie lieber
„Ausweichmöglichkeiten“ nutzen.
Das Ausbleiben solventer Freier führt eine Verschärfung der prekären
Situation der Prostituierten herbei. Es kommt zur Verschuldung mit der
Zimmermiete, die schließlich 140-150€ pro Tag beträgt und deshalb
müssen Frauen dann Freier annehmen, vor denen sie Angst haben oder
sich ekeln, sie müssen Praktiken ausüben, die ihre persönlichen
Grenzen deutlich überschreiten und gehen auf Angebote unterhalb der
untersten Preisgrenze ein, häufig auch ungeschützt. So hat mir meine
ehemalige Kollegin zum Beispiel erzählt, so verschuldet gewesen zu
sein, dass sie von einem Freier das Angebot annahm, 500€ zu erhalten,
wenn sie sich von ihrer Hündin vor seinen Augen lecken ließe. Mir
blutete mein Herz, zumal ich selbst Hundebesitzerin bin.
Ich denke, dass es sich auch einfach nicht mehr so für die Frauen
lohnt, im Bahnhofsviertel zu arbeiten. Da das Finanzamt den Frauen mit
der Anmeldepflicht nun Daumenschrauben angelegt hat, die das
„Geschäft“ nun noch weniger rentabel machen, kann ich mir vorstellen,
dass Frauen sich in illegale Wohnungsbordelle zurückziehen, weil sie
hoffen, dort durch eine geringere Tagesmiete und fehlendes Zahlen von
Steuern, mehr zu verdienen.
All dies spukt in meinem Kopf umher, seit ich an Code Red teilgenommen habe.
Ich fühle mich hilflos und machtlos, weil ich in einem Staat lebe, der
an Frauen verdient, die täglich misshandelt werden und sich vehement
weigert, diesen Frauen zu helfen.
Ich bin unglaublich wütend, dass es Menschen gibt, die dieses System
unterstützen. Freier, die Frauen regelmäßig VERGEWALTIGEN und denken,
wenn sie ihr 25€ geben, sei es einfach getan. Die denken, 25€ machen
Frauen zu wolllüstigen Nymphen, die nichts besseres zu tun haben, als
jeden Tag im Puff zu liegen, um einen Orgasmus nach dem anderen
beschert zu bekommen.
Mitschuld an dieser Illusion haben Pornos und die Medien, die bei
Fragen zur Prostitution immer die Falschen befragen. Nämlich die, die
davon profitieren, wenn Männer in dieser Blase leben. Zuhälter und
Meinungsmacher, die den Menschen erzählen, was sie hören wollen, damit
diese ihre Geldgier befriedigen, indem sie arme und traumatisierte
Frauen widerstandslos an sie ausliefern.
Es macht mich traurig, nicht helfen zu können und ich appelliere an
die Bevölkerung und an jeden einzelnen Politiker, sich mit dem Leid
der Frauen zu beschäftigen und endlich etwas zu tun.
Die linken Parteien, die angeblich so sehr gegen Armut und Rassismus
kämpfen, lassen Frauen, die von Armut und Rassismus betroffen sind,
völlig im Stich.
Die Konservativen, die so gerne regulieren und versuchen, mit allen
Mitteln gegen Verbrechen zu kämpfen, regulieren höchstens den
Geldhahn, als welcher die Frauen für sie fungieren und drehen ihn
weiter auf.
Menschenrechte sind in Deutschland wohl leider immernoch nur Männerrechte.
Na Danke…
(c) Sophie