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Presseerklärung zu den Gesprächen über das Nordische Modell im Bundestag und zur Demonstration gegen das Nordische Modell am 15. Oktober 2019


    Wir sind das Netzwerk Ella, ein Zusammenschluss von Frauen, die in der Prostitution waren oder noch sind. Wir alle haben Erfahrungen gemacht in der hiesigen Prostitutionsgesetzgebung, die Prostitution legalisiert und wir finden diese Gesetzgebung nicht hilfreich. Wir distanzieren uns von „Sexworkerinnenverbänden“, die eine weitere Legalisierung fordern und begrüßen die Vorstöße einiger PolitikerInnen mehrerer Parteien, die sich für das Nordische Modell aussprechen.
    Wir begründen das wie folgt:
    Prostitution ist Gewalt. Sich über finanzielle Mittel sexuellen Zugang zu Frauen und Mädchen zu verschaffen, die diesem Sex sonst nicht zustimmen würden, kann nicht die Art von Sex sein, die wir uns im Jahr 2019 in dieser Gesellschaft noch wünschen. In der Prostitution ist alles auf die Bedürfnisse des Mannes ausgerichtet. Das ist nicht mehr zeitgemäß und war es nie. Weiterhin kann Prostitution de facto kaum von Zwangsprostitution unterschieden werden, weil es viel zu viele Graustufen gibt. Kein Freier kann mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit sagen, ob er gerade eine Zwangsprostituierte besucht hat oder nicht. Das bedeutet auch: es handelt sich hier um Sex, bei dem der Mann nachher nicht sagen kann, ob er gerade vergewaltigt hat oder nicht. Konsens kann in der Prostitution also nie sicher hergestellt werden!
    Prostitution zu legalisieren bedeutet, Freiern das Signal zu geben, dass das, was sie tun, okay und kein sexueller Missbrauch ist. Da Gesetze normativ sind, erhöht sich also auch in Deutschland seit Jahr und Tag die Nachfrage. Mittlerweile wird die Zahl der Freier auf 1,2 Milionen geschätzt – täglich. Diese Freier tragen das abgründige Frauenbild, das sie in der Prostitution erlernen, zurück in die Gesellschaft. Es betrifft alle Frauen.
    Legalisierung bedeutet für uns, dass wir keine Hilfe mehr bekommen, weil Prostitution als ein Job wie jeder andere behandelt wird. Steuern nimmt der Staat gerne, mit den Schäden aber werden wir alleingelassen. Traumatherapien, Ausstiegshilfen – es klafft da eine riesige Lücke.
    Prostitution zu legalisieren, macht nichts sicherer. Denn wo Freier vom Gesetzgeber das Signal bekommen, dass es okay sei, mit einer Frau zu schlafen, die eigentlich nicht will, nur weil Geld fliesst, da fallen auch andere Hemmungen. Weitere Übergriffe kommen hinzu. Schläge, Morde. Sind 80 ermordete Prostituierte seit 2002 nicht genug?
    Es wird nie genug Frauen geben, die diesen Job „freiwillig“ machen. Der größte Teil wird immer gezwungen werden müssen, oder Notlagen ausgenutzt. Wer Prostitution legalisiert, nimmt Menschenhandel und Zwangsprostitution also in Kauf.
    In jeder legalisierten Prostitutionsgesetzgebung explodiert der Markt. Wenn Freiertum okay ist, gibt es mehr Freier. Wo es mehr Freier gibt, gibt es mehr Nachfrage, und Zuhälter und Menschenhändler werden das Angebot ranschaffen, dass die große Nachfrage befriedigt. Das Angebot besteht aus Frauen, die sexuell traumatisiert sind, die sehr arm sind, die rassistisch diskriminierten Minderheiten aus Südosteuropa angehören. Wann wird sich Deutschland dafür endlich schämen, hier Frauen und Mädchen sexuell auszubeuten, statt ihnen eine andere Option zu verschaffen?
    Mit jedem Versuch, den explodierten Prostitutionsmarkt in Deutschland einzudämmen, werden mehr Sonderreglungen für uns prostituierte Frauen verschaffen. Es ist unmöglich, als Frau in der Prostitution alle Regeln einzuhalten. Sperrbezirke sorgen z.B. dafür, dass wir Bußgelder zahlen müssen. Um sie zu zahlen, müssen wir uns weiter prostituieren.
    Legalisierung bei gleichzeitiger Kriminalisierung von uns Frauen in der Prostitution hat dafür gesorgt, dass es ist, wie es ist, und dass der Prostitutionstourismus nach Deutschland boomt!
    Wir wollen heute deutlich machen, dass nicht alle Frauen aus der Prostitution den Forderungen der „Sexworkerinnen“verbände zustimmen. Und wir fordern für Deutschland die Einführung des Nordischen Modells. Das Nordische Modell erkennt an, dass Prostitution sexuelle Gewalt ist. Es beinhaltet Praventivprogramme, in denen über Prostitution aufgeklärt wird. Es schafft alle Sonderregelungen für Frauen in der Prostitution ab und entkriminalisiert sie, denn sich zu prostituieren, ist erlaubt. Gleichzeitg bestraft es die Freier, denn sie sind die, die den Missbrauch an uns ausüben. Und es sichert uns Ausstiegshilfen zu.
    Schweden, Norwegen, Kanada, Island, Irland, Frankreich und Israel haben es vorgemacht und das Nordische Modell eingeführt.
    Und Prostitution hat sich dort massiv verringert. Prostitution ist nicht in „dunkle Ecken verschwunden – kann sie gar nicht, denn sie muss ja immer auffindbar sein, sonst könnten Freier und prostituierte Frau sich nicht finden. Dass Gewalt gegen Prostituierte durch Freier zugenommen hätte, haben die Evaluationen der Gesetze aus Schweden und Norwegen nicht ergeben. Menschenhandel und Zwangsprostitution haben abgenommen. Im Nordischen Modell wird Prostitution als die Gewalt behandelt, die sie ist, und als Hemmstein auf dem Weg zur Gleichberechtigung.
    Gewalt ist immer Gewalt, auch wenn das Individuum sie als solche nicht erkennt. Individuelle Narrative machen aber eine Klassenanalyse nicht obsolet. Wir erkennen an, dass es auch Prostituierte gibt, die freiwillig arbeiten, die auch zumindest temporär die Prostitution einer anderen Arbeit vorziehen. Dies trifft auch auf einige Mitglieder des Netzwerks Ella zu. Dies ändert aber trotzdem nichts an der Grundwahrheit, dass in der Prostitution sexistische Verhältnisse innerhalb eines Systems der Gewalt reproduziert werden. Es gibt mannigfaltige Gründe, sich zu prostituieren, das wissen wir aus eigener Erfahrung. Wir fordern aber, dass der Fokus von den Frauen weg hin zu den Männern gerichtet wird und endlich ein Umdenken stattfindet, das die angebliche Unvermeidlichkeit der Prostitution infrage stellt. Wer ist so naiv zu glauben, dass die Prostitution nicht ein Symptom des Patriarchats ist?
    Momentan erleben wir ein globales Umdenken was sexuelle Gewalt und die Machtlosigkeit der Frauen betrifft, das sich nicht nur in Phänomenen wie der #metoo-Bewegung geäußert hat. Das ist erfreulich. Jetzt ist die Zeit, den Status Quo nicht mehr als unveränderlich zu akzeptieren sondern aktiv handelnd einzuschreiten.
    Wir fordern alle PolitikerInnen und Politiker auf: Informiert euch! Entwickelt einen Standpunkt zu Prostitution! Es ist schon lange an der Zeit, hinzusehen und zu handeln!


    Huschke Mau

    Sophie

    Mimi

    Katharina

    Lena

    Ann-Kathrin

    Im Namen des Netzwerks Ella, der unabhängigen Interessenvertretung für Frauen aus der Prostitution

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