Autorin: Marlene //
…eine Frage, die mir häufig gestellt wird, wenn ich meine Geschichte erzähle.
Aus der Prostitution kam ich dann meiner Schwester, der ich mich irgendwann, als es nicht mehr anders ging, anvertraute. Sie kam zu mir und holte mich ab. Ich war damals noch der Meinung, ich sollte noch ein paar Tage bleiben und arbeiten- das Geld hatte ja mein Zuhälter kassiert, der in diesem Moment nicht in der Stadt war. So wollte ich zumindest noch etwas für meine “Flucht” zusammen kriegen. Natürlich ließ sie mich das nicht durchziehen und kam sofort zu mir, was das Beste war, was sie hätte tun können.
Obwohl ich sie bat, nicht die Polizei einzuschalten, tat sie es. Wer den genaueren Verlauf vor Gericht nachlesen möchte, kann das gerne hier tun.
Worüber ich heute schreiben möchte, sind die Gründe, wieso ich das nicht wollte und auch lange Zeit damit gehadert habe- gerade, weil ich darauf auch oft angesprochen werde.
Ich hatte damals absolut kein Vertrauen in die Polizei. Zum Einen ist die im Milieu geradezu “der Feind”, mit dem man nicht spricht- was ich also getan habe, war Aus Sicht meines Zuhälters und seiner Leute Verrat. Durch diese indoktrinierte Denkweise war es das damals auch für much, weshalb ich auf der Wache nur Personalien angab, wie ich es eben musste, und dann ging. Mehr sagte ich zuerst nicht. Ich wollte weg, aber ich wollte ihn nicht “verraten”.
Ich saß damals auf dem Bett in der Wohnung, wo mich die Polizei abholte, und sagte ihnen, ich könnte nicht mit kommen, ich würde doch sonst das Leben meines Zuhälters zerstören. Einer der Beamten schaute mich an und meinte dann, wenn ich nicht mit käme, würde ich mein eigenes leben zerstören. So theatralisch das alles klingen mag, er hatte Recht.
Nachdem ich zurück bei meiner Familie war und etwas Abstand hatte, wurde ich auch immer wieder von der Polizei kontaktiert. Man bräuchte meine Aussage, denn da es auch um körperliche Gewalt ging, wäre das öffentliche Interesse da.
Also sagte ich irgendwann aus- Aber nicht, weil ich mich rächen wollte oder weil ich mir davon Gerechtigkeit oder irgendetwas anderes versprach, sondern weil ich das Gefühl hatte, dass mir sowieso keine andere Wahl bleibt.
In Gegenteil, ich hatte eher Angst, dass mir niemand glauben würde. Was konnte ich denn beweisen? Noch dazu wollen da wildfremde Menschen die intimsten Details von mir wissen. Ich fühlte mich so dumm, nackt und schämte mich.
Vor allem die Frage, wie ich denn überhaupt dazu kam, mich für meinen Zuhälter zu prostituieren- ich habe bis heute keine bessere Antwort darauf als “steter Tropfen Höhlt den Stein”.
Ich war ein Kind ohne Wurzeln in der Familie, mit einer manipulativen Mutter, das es gewohnt war, etwas zu leisten, um Aufmerksamkeit oder “Liebe” zu bekommen. Auf einmal war da jemand, der mir genau dieses Modell einer “Beziehung” bot, mit dem ich aufgewachsen war. Und irgendwann gab ich dann eben nach. Ob das der Polizeibeamte so gut nachvollziehen kann?
An sich zog sich das Verfahren über mehrere Jahre und ehrlich: mir war es egal, wie es ausging. Ich verzichtete auf Schmerzensgeld oder eine Nebenklage, weil ich 1. Zu stolz war, um von einem Menschen wie meinem Zuhälter Geld anzunehmen und 2. Offiziell mit Sicherheit bei ihm nichts zu holen gewesen wäre.
Änderte es irgendetwas für mich, ob er verurteilt wurde oder nicht? Es gab mir nicht die verlorene Zeit zurück, es machte nichts rückgängig. Kein Gerichtsurteil der Welt könnte mir Gerechtigkeit verschaffen.
Das Einzige, was ich hoffe: dass es andere Frauen ermutigen könnte, sich zu wehren und zu gehen. Mit den richtigen Polizisten, die einem glauben und das Gefühl geben, ernst genommen zu werden, mit Richtern und Staatsanwälten mit dem nötigen Feingefühl kommt man auch durch so einen Prozess. Nur weiß man das eben nicht vorher- und ich weiß, ich hatte auf diesem Weg wahnsinniges Glück.
Hinzu kam noch die Angst vor Konsequenzen. In der ersten Zeit, nachdem ich weg war, drohte mir mein Zuhälter mit allen möglichen Dingen, die passieren würden, wenn ich aussagen sollte.
Ich kannte ihn, ich kannte sein Umfeld, ich wusste, wozu er und seine Leute in der Lage waren. Abzuhauen und ihm damit seine Einnahmequelle zu nehmen war schon eine heftige Provokation und in seinen Augen auch Grund dafür, dass ich Schulden bei ihm hätte.
Es gab auch Drohungen gegen meine Familie- ein Grund, weshalb ich überhaupt so lange gewartet hatte, zu gehen. Ich wollte nicht verantwortlich dafür sein, dass jemandem, den ich liebe, etwas zu stößt, nur weil ich Scheiße gebaut hatte.
Daher verstehe ich jede Frau, die sagt, sie hat nicht die Kraft, zu viel Angst oder andere Gründe, nicht auszusagen und nicht anzuzeigen. Wäre es bei mir damals nicht so verlaufen, hätte ich es wahrscheinlich auch nicht gemacht.
So oder so hat niemand das Recht, zu urteilen, ob es richtig oder falsch ist. Die Dinge sind oft nicht so einfach, wie sie von außen erscheinen. Selten kennt jemand die ganze Geschichte und was es heißt, das Ganze gedanklich immer wieder zu durchleben.
Wäre es gut, wenn mehr Frauen auspacken würden und es mehr Verurteilungen gäbe? Mit Sicherheit, aber dafür bräuchten wir auch ein Rechtssystem, das den Frauen eben diese Sicherheiten, Schutz und vor allem Hilfen und Alternativen bietet, denn so, wie der Rechtsstaat momentan “hilft”, verstehe ich jede Prostituierte, die dem Ganzen misstraut.
Ich für meinen Teil habe heute damit abgeschlossen. Meiner Schwester bin ich nicht mehr böse, dass sie die Polizei eingeschaltet hat- sie hatte nur gute Absichten, auch wenn ich sie gebeten hatte, es nicht zu tun.
Vor meinem Zuhälter fühle ich mich heute nicht mehr schuldig, denn ich habe nichts getan, als die Wahrheit zu sagen.
Für mich hat dieser Prozess nichts verändert und ich bin froh, dass die Zeit der ewigen Verhöre und Verhandlungen vorbei ist.
Ich wünsche mir nur, dass sich in unserem Rechtssystem etwas ändert, damit sich mehr Frauen trauen, zu sprechen und Hilfe zu bekommen.
(c) Marlene