Autorin: Pani K.
1. Frage: Was ist Netzwerk Ella?
Pani K.: Netzwerk Ella ist ein Zusammenschluss von Frauen, die in Prostitution waren oder sind. [1] Huschke Mau hat es im Januar 2018 gegründet, um Frauen aus Prostitution eine Plattform und eine Stimme zu geben. Unsere Survivor-Organisation ist einzigartig in Deutschland und verdient eine besondere Würdigung, weil es für Frauen in oder nach Prostitution immer noch sehr schwierig ist, passende Hilfe und Unterstützung zu finden. Mittlerweile haben sich mehr als 60 Frauen im Netzwerk Ella zusammen gefunden und die Resonanz ist positiv. Unser Schwerpunkt ist Hilfe zur Selbsthilfe. Wir profitieren nicht von Prostitution Dritter und kooperieren nicht mit Profiteuren der Sex-Industrie oder deren VertreterInnen. Als unabhängige Interessenvertretung von Frauen aus Prostitution ist Netzwerk Ella das Sprachrohr für diejenigen, die keine Stimme haben, kein Gehör finden oder von Organisationen, die Prostitution und Pornografie befürworten, nicht repräsentiert werden. Unser Fokus liegt auf der Situation der Frauen in und nach der Prostitution, daher ist unsere Arbeit geschlechts-spezifisch und frauen-zentriert.
Aktivistinnen des Netzwerks Ella engagieren sich ehrenamtlich im In- und Ausland für eine Welt, in der Sexkauf und Freiertum geächtet werden, wohingegen prostituierte Menschen umfassende Unterstützung und Alternativen für ein Leben außerhalb der Prostitution bekommen, nach dem Vorbild anderer Länder, wie Schweden, Frankreich oder Israel.
Wir setzen uns konsequent dafür ein, dass Prostitution als ein System geschlechts-spezifischer Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung, das primär Frauen und Mädchen trifft, erkannt und abgeschafft wird. Netzwerk Ella fordert seit seiner Gründung die Einführung und Umsetzung des Nordischen Modells in Deutschland, so wie vom Europäischen Parlament im Jahr 2014 [2] und erneut im Jahr 2023 [3] empfohlen:
1. Entkriminalisierung von Prostituierten und garantierte staatliche Unterstützung, um Prostitution verlassen zu können.
2. Kriminalisierung aller Profiteure aus Prostitution Dritter.
3. Aufklärung der Gesellschaft mit Fokus auf junge Menschen sowie Schulung aller zuständigen Behörden.
4. Prävention der Prostitution und sexueller Ausbeutung durch Bekämpfung der Nachfrage, einschließlich des Sexkauf-Verbots und der Freier-Bestrafung.
2. Frage: Warum ist das nordische Modell notwendig?
Pani K.: Weil Deutschland Blut an den Händen hat. Seit der Legalisierung im Jahr 2002 sind mindestens 110 Frauen in der deutschen Prostitution gewaltsam gestorben und alle schauen weg. [4] Der Staat macht sich daran mitschuldig, da Gefahren für Leib und Leben prostituierter Menschen hingenommen werden, trotz der Pflicht die Grundrechte in der Prostitution zu schützen. [5] Doch stattdessen wird seit 22 Jahren immer noch über Freiwilligkeit und Berufs-Risiko debattiert. Befürworter der Prostitution sagen, es gäbe kein Problem: Nur 1% aller Prostituierten wurden Opfer der Gewalt. [6] Wir sagen: es sind mehr Tote als bei der Polizei oder Bundeswehr – im gleichen Zeitraum. Jede prostituierte Frau, die ermordet wird, ist eine zu viel! Da hauptsächlich ausländische Frauen als Prostituierte in Deutschland tätig sind, sind viele von ihnen Mütter. Wenn diese Frauen sterben, bleiben ihre verzweifelten Kinder allein zurück… Nach 22 Jahren liberaler Gesetzgebung ist Eins klar: Prostitution produziert Tote und Waisen. Je länger diese akzeptierende Haltung gegenüber Freiertum und Prostitution anhält, desto mehr Schaden tragen Prostituierte davon, desto mehr Leben und Familien werden zerstört – in Deutschland und im Ausland. Die Ergebnisse der Evaluation des Prostituierten-Schutzgesetzes im Sommer 2025 werden daran auch nichts ändern.
Das Prostituierten-Schutzgesetz von 2017 hat versagt. Einerseits werden Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung in der Prostitution erkannt, andererseits wird die Annahme, Prostitution sei eine Dienst-leistung nicht hinterfragt. Die frauen-verachtenden Strukturen der Sex-Industrie bestehen nach wie vor und wurden sogar gestärkt. Wir sehen, dass Sexkauf normalisiert wurde. Dass laut beteuerte Freiwilligkeit sowohl die Freier-Gewalt als auch die Sanktionen gegen Prostituierte letztlich nur legitimieren sollte. Dass Bordelle, Zuhälter und sogar Menschen-Händler staatliche Subventionen bekommen. [7] Dass Polizei und Justiz machtlos sind. [8] Prostituierten wurden zudem Pflichten, Vorschriften und Sanktionen auferlegt, die kaum zu bewältigen sind und Betroffene in noch größere Not und Verzweiflung bringen. Die Notlagen und Leid prostituierter Frauen werden ignoriert, sie werden allein gelassen und vergessen. Die allgegenwärtige Verharmlosung des Sexhandels spottet jeder Realität und steigert noch die Zahl der Opfer sexueller Ausbeutung und Gewalt.
Das Nordische Modell ist notwendig, weil einfache Lösungen nicht funktionieren, wenn es darum geht ein System der Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung abzuschaffen. Ein System, das eine ganze Sex-Industrie mit geschätzten 15 Milliarden Euro Umsatz jährlich am laufen hält. [9] Diese Industrie geht über Leichen und gibt eigene Profite nicht kampflos auf – diesen Geldhahn müssen wir zudrehen. Und das kann nur mit einer systemischen Lösung gelingen: dem Nordischem Modell. Die Nachfrage nach Prostitution sowie Gewalt, Ausbeutung und Profite aus Prostitution Dritter werden bekämpft. Schutz und Hilfe für prostituierte Menschen sind garantiert. Prävention sowie Aufklärung beginnen bereits in der Schule und sind ein wesentlicher Faktor für ein nachhaltiges Umdenken in der Gesellschaft, insbesondere bei Jugendlichen. Es ist das einzige erprobte Modell, das effektiv und umfassend die Wurzel des Problems der sexuellen Ausbeutung beseitigen kann. [10]
Die aktuelle Gesetzgebung nimmt es in Kauf, dass deutsche Prostitution weitere Gewaltopfer und Waisenkinder zur Folge hat – das muss aufhören! Das darf ein Rechts-Staat nicht zulassen, denn es geht hier um unveräußerliche Menschen-Rechte, die schwer verletzt werden. Diese Situation erfordert schnelles Handeln auf allen Ebenen, für die gesamte Bundesrepublik, und zwar jetzt, statt in zwei Jahren. Denn es gibt einen Ausweg aus der aktuellen Misere – es gibt bereits erprobte Lösungen und Deutschland ist in der glücklichen Lage, von Erfahrungen anderer europäischer Länder, wie Schweden oder Frankreich, profitieren zu können. Auch das israelische Beispiel ist bemerkenswert.
Deutschland braucht eine Gesetzgebung, die sowohl Menschen-Rechte als auch die Gleichstellung der Geschlechter achtet und gewährleistet. Zugleich ist es eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft: Deutschland muss aussteigen – endlich aussteigen aus dem System Prostitution!
3. Frage: Wird dadurch nicht verdeckte Prostitution gefördert?
Pani K.: Prostitution, ob verdeckt oder offen, wird allein durch steigende Nachfrage und legale Strukturen für Sexhandel sowie für Sex-Industrie insgesamt gefördert.
Statt einer solchen Förderung benötigen Prostituierte Schutz, Entkriminalisierung und akzeptable Alternativen zur Existenz-Sicherung, um dem Sexhandel entkommen zu können. Denn seine Türen gehen nur in eine Richtung auf – hinein. Es ist mehr ein „escape“ als ein „exit“. Doch ohne Prävention und Aufklärung werden immer neue Menschen, vor allem Frauen und Mädchen, der Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung in der Sex-Industrie ausgeliefert.
So wichtig Schutz und Unterstützung für Prostituierte auch sind, so ist eine erfolgreiche Einstiegs-Prävention auf lange Sicht strategisch entscheidend – bevor der Schaden angerichtet wurde.
Die beste Prävention der Prostitution lautet daher: Nachfrage konsequent bekämpfen, denn ohne das Geld der Freier kann das System Prostitution nicht existieren und wird unweigerlich zusammen-brechen. Ohne das Geld der Freier gibt es keine finanziellen Anreize für das „Geschäfts-Modell“ der Zuhälter, Bordellbetreiber, Menschen-Händler und anderer Profiteure aus Prostitution Dritter.
Die effizienteste Lösung ist immer diejenige, welche die Wurzel des Problems erkennt und beseitigt: Ohne entschlossene Bekämpfung der Nachfrage kann Prostitution nicht abgeschafft werden. Ohne Abschaffung der Prostitution können Menschen-Handel und Sklaverei nicht überwunden werden.
Prostitution ist keine Arbeit, genauso wie Sklaverei – keine Freiheit. In der Arbeitswelt wird das Können vermarktet, in der Prostitution – das nackte Sein eines Menschen. Es zählt vor allem, was man ist: weiblich, jung, unerfahren, frisch, neu, unverbraucht, eng, gehorsam, wehrlos… Daher werden junge und unerfahrene Frauen von Freiern stark nachgefragt und höher bezahlt. Betrunkene oder drogen-abhängige Prostituierte werden bevorzugt, denn sie sind wehrlos. Die erste typische Frage eines Freiers lautet: „Was kann man mit dir machen?“ und nicht wie bei anderen Dienstleistungen: „Was kannst du machen?“ Die zweite typische Frage ist: „Was kostest du?“
Freier erkaufen sich ein Ja, weil sie ein Nein nicht akzeptieren. Der Freier will Sex, die Prostituierte will Geld – das ist kein Konsens. Prostitution, oder wie es heute heißt „Sexarbeit“, ist weder Sex noch Arbeit, sondern bezahlte Vergewaltigung, Misshandlung und Folter; Ein System der Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung, das primär Frauen und Mädchen trifft.
Dieses System ist extrem geschlechts-spezifisch und menschen-verachtend, seine Wurzeln sind Sklaverei und Sexismus – das hat in einer demokratischen, aufgeklärten und gleichberechtigten Gesellschaft keinen Platz! Das System Prostitution muss abgeschafft werden.
4. Frage: Welche persönliche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Pani K.: Im System der Prostitution wird man wie ein Objekt behandelt – wie ein Sex-Automat – ohne Würde oder Rechte, man ist Ware und Währung in einem. Freier sagen gerne: „Einmal Hure – immer Hure“, oder dass man als Hure geboren sei – ein Urteil und ein Schicksal zugleich. Die Hure ist für Freier sowohl eine Dienerin als auch eine Sklavin. Diese anhaltende Entmenschlichung und Stigmatisierung sind der Prostitution immanent, als Voraussetzung dafür, dass Freier Prostituierte sexuell ausbeuten können – ohne Mitgefühl oder schlechtes Gewissen…
Zudem ist Prostitution der Ort, wo das nachgeahmt wird, was Pornografie vorführt. Freier bekommen durch ihr Porno-Konsum spezifische fixe Ideen und verlangen, dass alles exakt so gemacht wird – sie wollen ihre pornografischen Vorbilder selbst nacherleben können.
Frauen in Prostitution müssen ihr Angebot entsprechend diesen Vorbildern anpassen, auch körperlich: Permanent Make-Up, künstliche Fingernägel, Brust-Vergrößerung, Waxing, Intim-Bleiche, Vaginal-Straffung, Labien-Verkleinerung etc. Denn ihre Körper müssen konkurrenzfähig und profitabel bleiben – um jeden Preis.
Diese neue Porno-Welt, die wie Prostitution kein Nein kennt, funktioniert nach dem gleichen Prinzip: „Er genießt, sie hat zu liefern“. Ihre „geile“ Botschaft ist omnipräsent und stets verfügbar – Pornografie ist Propaganda des Sexismus, speziell heterosexuelle Mainstream-Videos.
Viele Freier halten prinzipiell jede Frau für käuflich und Männern unterlegen – nicht gleichwertig.
Von der übrigen Gesellschaft wird man wie eine Ausgestoßene behandelt, mit Ignoranz und Verachtung. Oder wie eine verdorbene, unanständige Frau, die Männer verführt, Familien zerstört und sexuelle Erkrankungen verbreitet. Es wird gesagt, dass eine Prostituierte entweder gerne in der Prostitution sei oder, dass es ihr nichts ausmache. Oder man unterstellt ihr, sie tauge bloß zum Sex, nach dem Motto: „Dumm fickt gut“. Oft hört man: Prostituierte seien selbst schuld und verdienen es nicht besser. Es gibt kaum Solidarität oder Mitgefühl seitens „solider“ Menschen und das hat einen Grund – so fällt es leichter, die bitter nötige Hilfe zu unterlassen, nichts tun ist bequem und kostet nichts.
Ich werde oft nach meinem „Ausstieg“ gefragt, so als ob man aus der Gewalt oder Armut einfach aussteigen könne… Diesen selbstbestimmten Ausstieg gab es bei mir nicht. Ich war einfach nicht mehr „vermarktbar“ – konnte es nicht mehr ertragen, von Freiern angefasst zu werden – man sagt dazu auch „kaputtgefickt“. Ich habe lange nicht darüber sprechen können, es war zu schmerzhaft.
Ich wusste damals auch nicht, dass es Hilfe oder Unterstützung für Prostituierte gibt. Es war allein mein Problem, wie und ob ich überlebe. Doch Überleben ist nur der erste Schritt auf dem Weg zurück ins Leben…
© Pani K. – 2024
Quellen:
[1] Netzwerk Ella – Unabhängige Interessenvertretung von Frauen aus Prostitution, https://netzwerk-ella.de/
[2] Entschließung des Europäischen Parlaments 2013/2103(INI), 26.02.2014, https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-7-2014-0162_DE.html, Kurz-URL: https://t1p.de/s11nh
[3] Entschließung des Europäischen Parlaments 2022/2139(INI), 14.09.2023, https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2023-0328_DE.html, Kurz-URL: https://t1p.de/8siee
[4] Schon: Ausverkauft! Prostitution im Spiegel von Wissenschaft und Politik, 2021, S. 348-349.
[5] Mack, Rommelfanger: Sexkauf. Eine rechtliche und rechtsethische Untersuchung der Prostitution, 2023, S. 187.
[6] Henning: „1% aller Frauen, die in der Prostitution arbeiten, sind von Gewalt betroffen. 99% sind nicht von Gewalt betroffen.“, 12.05.2022, Bayerischer Landtag, Protokoll der Anhörung „Situation der Prostituierten in Bayern“, S. 50, https://www.bayern.landtag.de/fileadmin/Internet_Dokumente/Sonstiges_P/PII/Anhoerungen/SO/065_SO_120522_Anh_Prostitution_Protokoll.pdf, Kurz-URL: https://t1p.de/jsrrf
[7] Sieben Bordelle mit Zwangsprostituierten – Die Anklage gegen die Puff-Patin: „Offiziell betrieb sie ein Nagelstudio. Tatsächlich soll sie Chefin von einem Callgirl-Ring mit Zwangsprostituierten gewesen sein – und 7500 Euro Corona-Überbrückungshilfe erhalten haben!“, 03.01.2022, BZ, https://www.bz-berlin.de/polizei/menschen-vor-gericht/sieben-bordelle-mit-zwangsprostituierten-die-schock-anklage-gegen-die-puff-patin, Kurz-URL: https://t1p.de/rf8yh
[8] Sporer: „Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen kommt zum Ergebnis, dass durch die 2017 reformierten Straftatbestände keine Verbesserung erkennbar ist und dass mindestens 90% der Menschenhandels- delikte im Dunkeln verbleiben und 83% der Ermittlungsverfahren eingestellt werden mussten.“, 12.05.2022, Bayerischer Landtag, Protokoll der Anhörung „Situation der Prostituierten in Bayern“, S. 34, https://www.bayern.landtag.de/fileadmin/Internet_Dokumente/Sonstiges_P/PII/Anhoerungen/SO/065_SO_120522_Anh_Prostitution_Protokoll.pdf, Kurz-URL: https://t1p.de/jsrrf
[9] Doll: Zahlen und Fakten zur Milliardenbranche Prostitution, 29.09.2020, WirtschaftsWoche, https://www.wiwo.de/unternehmen/dienstleister/infografik-zahlen-und-fakten-zur-milliardenbranche-prostitutio/26224354.html, Kurz-URL: https://t1p.de/6nb3
„Bordell Deutschland“ – neue ZDFinfo-Doku: „Laut Bundeskriminalamt bringt allein eine Prostituierte ihrem Zuhälter bis zu 100.000 Euro pro Jahr. Wenn Menschenhandel im Spiel ist, wird das Geschäft für die Täter noch lukrativer – der jährliche Ertrag inner-halb der EU wird auf 25 Milliarden Euro geschätzt. […] für Berlin sollen die Steuereinnahmen durch Prostituierte geschätzt rund 14 Millionen Euro pro Jahr betragen – hinzu kommen noch die der Bordellbetreiber.“, 2017, ZDF Presseportal, https://presseportal.zdf.de/pressemappe/bordell-deutschland-%E2%80%93-neue-zdfinfo-doku, Kurz-URL: https://t1p.de/cifwq
[10] Frauenzentrale Zürich: Prostitution in der Schweiz, 2023, S. 22, https://frauenzentrale-zh.ch/wp-content/ uploads/2023/08/Frauenzentrale_Zuerich_Whitepaper_Prostitution.pdf, Kurz-URL: https://t1p.de/xnjuz
Veröffentlicht am 26. Januar 2024
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