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Die Stille brechen oder warum Freier Arschlöcher sind Teil 4

    Autorin: Lou //

    Bevor ihr weiterlest, möchte ich euch die tollen Texte meiner 3 Vorgängerinnen ans Herz legen, diese findet ihr in der Textecke auf der Homepage vom Netzwerk Ella.

    Ich bin seit 2020 Mitglied im Netzwerk, aber aus verschiedenen Gründen hat es mich weitere vier Jahre gekostet, meine Stimme zu finden. Aber heute, heute möchte ich euch meine Geschichte erzählen und gleichzeitig nochmal beleuchten, warum Freier immer noch Arschlöcher sind.

    Ich schreibe unter dem Pseudonym Lou und war insgesamt rund 14 Jahre in der Sex-Industrie unterwegs. Ich habe hauptsächlich Haus/Hotel-, aber auch Bürobesuche getätigt, war einige Jahre an der Seite einer in der BDSM Szene recht bekannten Domina und habe (maskiert) als Sklavin in ihren Sessions und Filmen mitgewirkt. Die DVDs werden heute glücklicherweise nicht mehr vertrieben, sind teilweise mit etwas Sucharbeit aber noch online zu finden. Zwischenzeitlich war ich immer mal als wieder Camgirl auf verschiedenen Plattformen unterwegs. Zudem habe ich Custom Videos gedreht, was nichts anderes heißt, als dass man gegen Summe X ein Video ganz nach den Wünschen des Käufers dreht, was ausschließlich ihm zur Verfügung gestellt wird. Natürlich werden selbst diese früher oder später von den meisten Käufern geteilt, meiner Meinung nach oft, um zu protzen, wie viel ihm diese oder jene Handlung eines bestimmten Mädchens wert war.

    Klingt jetzt alles erstmal irgendwie gar nicht so schlimm, eher frei und selbstbestimmt, ganz im Sinne von selbstbestimmt und total progressiv und „Sex Work is Work“ ABER:

    Mein Einstieg in die Prostitution erfolgte nur wenige Wochen nach meinem vierzehnten Geburtstag. Ich habe schon früh schwere sexuelle Gewalt durch ein Familienmitglied erfahrenen. Ich bin kurz vor dem Grundschulalter mit Pornografie gegroomt worden. Und während diese sich erst im legalen Bereich bewegte, folgte relativ schnell Material, das den realen sexuellen Missbrauch von Kindern zeigt, um mir zu vermitteln, das eben auch das „normal“ sei. So manches, was in diese Kategorie fällt, war für mich so gewöhnlich, dass ich drei Jahrzehnte und drei Jahre Traumatherapie brauchte, um zu realisieren, dass die Konditionierung, die für die Prostitution maßgeblich war, schon deutlich früher begann. Wäre ich ohne diese Konditionierung mit vierzehn auf die Idee gekommenen, mich zwei-, drei- oder auch vier- bis fünfmal älteren Männern sexuell gegen Geld auszuliefern? Vermutlich nicht. Und doch war es für mich die erste Erfahrung, dass mein Körper mir gehört und ich bestimmte, wer was damit machen darf. Hinter der Bezahlschranke. Ist das progressiv? Ist das woke? Ist das Sex Work Is Work?

    Falls jetzt das Einzelfallargument kommt: Nein. Ich war häufig nicht alleine unterwegs und während ich minderjährig war, waren es die meisten meiner Begleiterinnen auch. Mehrere Studien aus den USA belegen, dass das Einstiegsalter für Mädchen zwischen dreizehn und vierzehn Jahre liegt.

    Warum sind Freier also Arschlöcher? Davon abgesehen, dass gekaufter Konsens kein echter Konsens ist und es nur Arschlöchern egal ist, ob sie gerade eine potenzielle Vergewaltigung begehen, hier ein paar Beispiele aus vierzehn Jahren gelebter Realität:

    Viele Freier sind schon im Vorfeld äußerst einnehmend, immerhin bezahlen sie, eventuell, für dich. Demnach hast du gefälligst zeitnah zu reagieren und dich im Idealfall zeitmäßig ihrem Kalender anzupassen. Ich habe größtenteils auf eine Anzeige zweihundert und mehr Antworten innerhalb weniger Stunden bekommen, viele Freier leiden also zusätzlich an erheblicher Selbstüberschätzung.

    Ich bin mittlerweile Mitte 30, höre aber immer wieder, dass ich für Anfang, maximal Mitte 20 durchgehe und darf bei der ein oder anderen Gelegenheit nochmal den Ausweis vorzeigen. Das war mit vierzehn natürlich nicht anders. WENN ein Freier nach meinem Alter gefragt hat, dann um den Preis zu erhöhen, damit ich mich ja für ihn entscheide.

    Die frühe sexuelle Gewalt sowie die Prostitution haben bei mir erhebliche psychische Schäden hinterlassen. Ich hatte von Beginn an ganz offensichtliche Narben von Verletzungen, die ich mir selbst zugefügt habe, beziehungsweise habe frische Wunden – mehr oder weniger gut kaschiert. Von einigen Freiern gab es ein paar Worte des Mitleids, andere haben es ignoriert und dann gab es da noch die, die sich vermutlich dachten: »Na, die kann aber besonders viel ab.«

    Ein Freier hat für dich bezahlt, also hast du gefälligst seiner Meinung zu sein. Er hat recht, egal welchen Unsinn er erzählt, schließlich bezahlt er hier nicht für eine politische Diskussion, sondern, um deinen Körper zu benutzen. Nicken und lächeln.

    Freier denken nicht darüber nach, ob du sie attraktiv findest und wenn sie doch verbale Bestätigung wollen, musst du natürlich ja sagen, denn alles andere verletzt ihr Ego und endet im schlimmsten Fall gewalttätig. Er riecht unangenehm, sieht vollkommen anders aus wie auf dem Foto (wenn du überhaupt eins gesehen hast, während sie mindestens 10 von dir wollen), oder ist dir schlichtweg unsympathisch? Doof gelaufen, die Tür ist oft schon zu und die meisten von uns, sind Männern physisch unterlegen.

    Gibt es genügend Beispiele für zig Fortsetzungen? Absolut, aber braucht es mehr Gründe, um den legalen und sozial akzeptierten Sexkauf nicht endlich zu unterbinden? Jedes Mal, wenn wieder ein Aufschrei über einen Kindesmissbrauchsskandal durch die Medien geht, ihr euch wütend und hilflos, betroffen und berührt fühlt, möchte ich, dass ihr daran denkt: 55 bis 90% der Prostituierten haben in einer Studie angegeben, schon in ihrer Kindheit/Jugend sexuelle Gewalt erfahren zu haben. Freier sind demnach oft Täter, die den Missbrauch und die entsprechende Konditionierung ihrer Vorgänger nutzen.

    If sex work is work …

    … in welchem Beruf sind dann schwere psychische Schäden ein Pluspunkt bei der Einstellung?

    Zum Schluss noch etwas Persönliches: Ich dachte viele Jahre lang, besser ertrage ICH es, anstatt eine andere Frau. Ich bin eh schon kaputt, nichts wert. Aber offensichtlich so zumindest für irgendetwas gut und erfülle so irgendeinen Sinn mit meiner Existenz. Mein Ausstieg ist Jahre her, doch dieses Gefühl wohnt nach wie vor in mir. Je nach Tagesform nimmt es mal mehr, mal weniger Raum in Anspruch. Manchmal ist es nur wie ein Flüstern im Halbschlaf, aber zu oft noch laut genug, dass es mich kilometerweit zurückwirft und ich wieder Wunden flicken muss, die eigentlich schon verheilt waren.

    Fazit: Prostitution lebt und ernährt sich von Gewalt an Frauen und hat nichts, aber auch gar nichts, mit Feminismus zu tun.

    (c) Lou

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