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Solidarität und Unterstützung für offene Briefe und Proteste an Europarat

    Autorin: Pani K.

    Liebe Freundinnen und Freunde,
    Netzwerk Ella unterstützt Offene Briefe und Proteste von Frauen-Organisationen an Europarat. Bitte unterstützt auch ihr diesen Protest!

    Hier eine kurze Chronologie:

    1. am 01.12.2023 hat OHCHR zu Einreichungen zum Thema “Prostitution und Gewalt gegen Frauen und Mädchen” aufgerufen. Netzwerk Ella und viele andere Frauen-Organisationen haben darauf bis zum 31. Januar 2024 ihre Einreichungen bei OHCHR vorgelegt.

    Link: https://netzwerk-ella.de/index.php/2024/02/09/input-to-the-report-of-the-special-rapporteur-on-violence-against-women-and-girlsto-the-human-rights-council-on-prostitution-and-violence-against-women-and-girlssubmitted-by-netzwerk-ella/

    2. am 25.01.2024 haben mehrere Frauen-Organisationen aus Deutschland eine Eingabe an die UN abgeschickt, in der es um aktuelle Stellung der Frauen in Deutschland geht, und ab der Seite 11 – explizit um deutsche Prostitution und Gewalt gegen Frauen:
    “Das Dokumentationsprojekt Sex Industry Kills zeigt eine exorbitant hohe Anzahl an in der Prostitution verübten Femiziden (Registrierung oft mit einem Verzögerungseffekt von mehreren Jahren, da auf Presseberichterstattung angewiesen – eine offizielle Statistik existiert nicht).”
    Stand 01.12.2023: 112 Mordopfer seit dem Jahr 2000!

    Link: https://www.feministischepartei.de/wp-content/uploads/2024/03/202401_Vorlage-bei-der-UN-Kommission-zur-Stellung-der-Frau.pdf

    3. am 15.02.2024 veröffentlicht Dunja Mijatović (Kommissarin für Menschenrechte, Europarat) einen Kommentar zu den Menschenrechten mit dem Titel: “Schutz der Menschenrechte von Sexarbeitern.” Sie argumentiert unter anderem für vollständige Legalisierung der Sexindustrie sowie Zuhälterei und bezieht sich hierbei explizit auf einen menschenrechts-basierten Ansatz. Organisationen wie Netzwerk Ella kommen bei gleichem Ansatz zu entgegengesetzten Forderungen! Mijatović schreibt:
    “Nachdem ich mich mit Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern in ganz Europa, ihren Vertretungsorganisationen, einschlägigen internationalen Organisationen und Experten beraten habe, fordere ich einen Ansatz für die Sexarbeit[1], der sich fest auf die Menschenrechte stützt und sich auf den wirksamen Schutz der Rechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern konzentriert, wobei ihre Sicherheit, Handlungsfähigkeit und körperliche Autonomie Vorrang vor Stereotypen und falschen Vorstellungen haben.”
    (Original: “After having consulted with sex workers across Europe, their representative organisations, relevant international organisations and experts, I call for an approach to sex work[1] that is firmly based on human rights and focuses on the effective protection of sex workers’ rights, prioritising their safety, agency and bodily autonomy over stereotypes and misconceptions.”)

    Link: https://www.coe.int/en/web/commissioner/-/protecting-the-human-rights-of-sex-workers

    4. am 29.02.2024 protestieren 14 abolitionistische Organisationen in einem offenen Brief gegen den Kommentar von Mijatović. (Ich habe den kompletten Brief ins deutsche übersetzt und unten eingefügt.*) Sie fordern:
    “Wir, von Überlebenden geführte, feministische und basisdemokratische Organisationen, sind entsetzt über den Kommentar der Menschenrechtskommissarin des Europarates zum “Schutz der Menschenrechte von Sexarbeiterinnen”, sowohl was die Methodik als auch den Inhalt betrifft. Frauen und Mädchen in der Prostitution haben etwas Besseres verdient als ein unzusammenhängendes Stück Propaganda, das man nur als solches bezeichnen kann. […] In einer Zeit, in der Europa einen Paradigmenwechsel zugunsten des Gleichstellungsmodells erlebt, bedeutet der Kommentar der Kommissarin, der die Entkriminalisierung von Gewalttätern fordert, einen echten Rückschlag für die Rechte der Frauen. Der Weg nach vorn kann nur in der Abschaffung des sexistischen, rassistischen und klassenbasierten Systems der Prostitution bestehen, nicht in seiner “vollständigen Entkriminalisierung”. Wir fordern die Kommissarin daher auf, ihren Kommentar auf der Grundlage eines ethischen, objektiven und integrativen Konsultationsprozesses zu überdenken und zu ändern.”
    (Original: “We, survivors-led, feminist and grassroot’ organisations, are appalled by the Council of Europe Commissioner for Human Rights’ comment on “protecting the human rights of sex workers”, both in terms of the methodology used and of the content developed. Women and girls in prostitution deserve better that what can only be considered a disconnected piece of propaganda. […]
    At a time when Europe is experiencing a paradigm shift in support of the Equality Model, the Commissioner’s comment calling for the decriminalisation of perpetrators of violence marks a real backlash on women’s rights. The way forward can only be the abolition of the sexist, racist & class-based system of prostitution, not its “full decriminalisation”. We therefore call on the Commissioner to review and amend her comment based on an ethical, objective and inclusive consultation process.”)

    Link: https://www.cap-international.org/the-commissioner-for-human-rights-of-the-council-of-europe-does-not-understand-the-realities-of-the-prostitution-system/

    5. am 04.03.2024 protestieren 140 Organisationen, darunter auch Netzwerk Ella, in einem offenen Brief gegen die Forderungen von Mijatović. Sie appellieren:
    “Wir fordern daher den Europarat auf, die Aussage der Kommissarin zurückzuweisen und Besuche in Schweden, Frankreich und Irland zu arrangieren, um die Denkweise und die Ergebnisse der Systeme des Nordischen Modells zu untersuchen und mit der Realität in Deutschland zu vergleichen. Wir fordern den Rat außerdem auf, Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass der EGMR nicht durch die Erklärung der Kommissarin beeinflusst wurde und dass sich so etwas nicht wiederholen kann.”
    (Original: “We therefore urge the Council of Europe to repudiate the Commissioner’s statement and to arrange visits to Sweden, France and Ireland to investigate the thinking behind, and outcomes of, their Nordic Model systems and to compare that with the reality in Germany. We also urge the Council to take measures to ensure that the ECHR has not been influenced by the Commissioner’s statement and to ensure that such a thing cannot happen again.”)

    Link: https://nordicmodelnow.org/wp-content/uploads/2024/03/Letter-to-the-Council-of-Europe.pdf


    Danke für eure Solidarität!


    © Netzwerk Ella – 2024
    Titelbild: nordicmodelnow.org, Übersetzung: Pani K.

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    * “The Commissioner for Human Rights of the Council of Europe does not understand the realities of the prostitution system” – “Die Menschenrechtskommissarin des Europarates versteht die Realitäten des Prostitutionssystems nicht”,
    29 Februar 2024, Autor: zala, Übersetzung: Pani K.

    Offener Brief[1] von 14 Organisationen, die mehr als 2.000 feministische und von Überlebenden geführte Organisationen vertreten, als Reaktion auf den Kommentar der Menschenrechtskommissarin des Europarates zur Prostitution.[2]

    Wir, von Überlebenden geführte, feministische und Basisorganisationen, sind entsetzt über den Kommentar der Menschenrechtskommissarin des Europarates zum „Schutz der Menschenrechte von Sexarbeiterinnen“, sowohl was die Methodik als auch was den Inhalt betrifft. Frauen und Mädchen in der Prostitution haben etwas Besseres verdient als ein zusammenhangloses Stück Propaganda, das man nur als solches bezeichnen kann.

    Eine undurchsichtige Konsultation, die ausschließlich Organisationen offensteht, die sich für „Sexarbeit“ einsetzen?

    Unsere 14 Organisationen repräsentieren mehr als 2.000 von Überlebenden geführte, feministische und Basisorganisationen, die im vergangenen Jahr mehr als 18.000 prostituierte Personen in der ganzen Welt unterstützt haben, fast ausschließlich Frauen und Mädchen aus den am stärksten marginalisierten Gemeinschaften. Keine einzige unserer Organisationen wurde in die Konsultationen einbezogen, die zu dieser Stellungnahme führten, da die Kommissarin vorrangig Organisationen angesprochen hat, die keine ernsthafte Erfahrung mit der direkten und langfristigen Unterstützung von Prostituierten haben.

    Daher werden in der Stellungnahme die Perspektiven und Erfahrungen von prostituierten Personen, die von unseren Organisationen und Netzwerken unterstützt werden, nicht berücksichtigt. So verweist die Kommissarin beispielsweise auf Belgien als Referenz, obwohl das Land eine wichtige Drehscheibe für Prostitution und Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in Europa ist, obwohl lokale Organisationen wiederholt auf die katastrophalen Auswirkungen der belgischen Gesetzgebung auf prostituierte Personen hingewiesen haben.[3]

    Angesichts der offensichtlichen Unfähigkeit der Kommissarin, die Organisationen der Betroffenen und der Überlebenden zu erreichen, möchten wir ihr mit einem konkreten Vorschlag unter die Arme greifen: Frau Kommissarin, wir laden Sie ein, sich selbst ein Bild von der Realität der Prostitution zu machen, sei es in Belgien oder anderswo, indem Sie eine oder mehrere unserer Organisationen treffen, die in der ersten Reihe stehen und von Überlebenden geleitet werden. Die Realitäten, die Sie entdecken werden, werden sich wahrscheinlich sehr von dem in Ihrem Kommentar entwickelten Narrativ unterscheiden.

    Eine Explosion von Gewalt und Ausbeutung, wo die Empfehlungen der Kommissarin für Menschenrechte umgesetzt wurden.

    Unsere Organisationen erleben an der Basis die katastrophalen Auswirkungen der von Menschenrechtskommissarin empfohlenen Maßnahmen zur Entkriminalisierung von Zuhältern und Sexkäufern.

    In Deutschland, einem Land, das die Prostitution im Jahr 2002 legalisiert hat, sind die Ergebnisse unmissverständlich:

    ·        Die höchsten Schätzungen beziffern die Zahl der in der Prostitution tätigen Personen im Land auf 400.000,[4] von denen im Jahr 2021 nur 23.000 für den offiziellen Status „Sexarbeiter“ registriert waren.[5]

    ·        81 % der registrierten Frauen waren im Jahr 2021 Ausländerinnen.[6]

    ·        Zuhälter nutzen die Gesetzgebung als Fassade, um die Schwächsten auszubeuten: Seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat sich die Zahl der im Berliner Rotlichtmilieu registrierten ukrainischen Kriegsflüchtlinge verfünffacht.[7]

    ·        Die Entkriminalisierung des Kaufs von sexuellen Handlungen hat zu einer Explosion der Nachfrage geführt: In Deutschland gaben 26 % der Männer an, mindestens einmal in ihrem Leben Sex gekauft zu haben, in Schweden waren es nur 7 %.[8]

    ·        Um diese Nachfrage zu befriedigen, verkaufen Bordelle Frauen in industriellem Maßstab in „Megabordellen“, die Pakete für 70 € anbieten, die eine Frau, ein Bier und eine Wurst enthalten,[9] oder „all you can fuck“-Angebote.

    Die katastrophalen Ergebnisse des deutschen Ansatzes führen zu einem kollektiven Erwachen und einem Paradigmenwechsel in diesem Land: Sowohl die CDU/CSU-Bundestagsfraktion als auch der Bundeskanzler (SPD) haben sich kürzlich dafür ausgesprochen, dem „Sexarbeit“-Ansatz ein Ende zu setzen.[10]

    Die explosionsartige Zunahme und Normalisierung des Kaufs sexueller Handlungen hat Auswirkungen auf alle Frauen und Mädchen und erhöht den Druck auf die am stärksten ausgegrenzten unter ihnen. In den Niederlanden, einem Land, das im Jahr 2000 die Prostitution legalisiert hat, ist es jetzt legal, dass Fahrlehrer ihren Fahrschülern sexuelle Handlungen als Zahlungsmittel anbieten.[11] Diese Praxis wird gemeinhin als „eine Spritztour für eine Spritztour“ bezeichnet.

    In Belgien, in der Brüsseler Straße Aerschot, die für ihre Fensterprostitution bekannt ist, „zahlt jede in der Prostitution tätige Person durchschnittlich 250 € pro Tag an die Bordellbetreiber, um ein Fenster zu mieten. Diese Miete entspricht einem Betrag von 7.500 Euro pro Monat. Das bedeutet: die in der Prostitution tätige Person muss erst 150 sexuelle Handlungen „umsonst“ vollziehen, bevor sie auch nur einen einzigen Euro für sich selbst behalten kann“, so die Basis-NRO isala.[12]

    Unter dem Deckmantel der Verbesserung der Bedingungen für prostituierte Personen stärkt das Regulierungsmodell der Prostitution den Würgegriff der Zuhälter – von der Kommissarin höflich als „Dritte“ bezeichnet. Diese profitieren von diversen Rechtsstellungen, wie etwa „Unternehmer“ oder „Bordellbesitzer“, und setzen die sexuelle und wirtschaftliche Ausbeutung der Schwächsten völlig ungestraft fort.

    Wir stimmen zu, dass die Prostitution ein Schnittpunkt vielfältiger Diskriminierungen ist und dass die am stärksten marginalisierten Frauen und Mädchen in diesem System überrepräsentiert sind (70 % der in der Prostitution tätigen Personen in Europa sind beispielsweise Migrantinnen[13]). Anders als die Kommissarin setzen wir jedoch Opfer und Ausbeuter nicht auf eine Stufe, da letztere die Schwächen der ersteren ausnutzen und ihre Macht über sie missbrauchen.

    „Wir brauchen keine Gewerkschaften, Krankenversicherung oder Mindestlohn. Wir brauchen Trauma-Therapie, Ausstiegsprogramme, Schutz und finanzielle Hilfe. Wir brauchen keine Arbeitsrechte. Wir brauchen die Rechte, die sich aus der Anerkennung als Opfer von Gewalt ergeben“ , so von Überlebenden geführtes Kollektiv #Intedinhora (#NichtDeineHure) aus Schweden.

    Prostitution in der internationalen Menschenrechtsgesetzgebung: weder Arbeit noch Sex, sondern eine Verletzung der Menschenwürde!

    Es ist besonders beunruhigend zu sehen, dass die Kommissarin auf einen „menschenrechtsbasierten Ansatz“ in Bezug auf „Sexarbeit“ verweist, ohne ein einziges internationales Menschenrechtsinstrument zu zitieren oder zu erwähnen, das ihren Ansatz konkret unterstützt. Dafür gibt es einen Grund: Die universellen, verbindlichen Menschenrechtsverträge sind eindeutig in Bezug auf die Verpflichtung der Staaten, Zuhälterei unter Strafe zu stellen und der Nachfrage, die den Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung begünstigt, entgegenzuwirken:

    ·        In der UN-Konvention von 1949 wird die Prostitution als „unvereinbar mit der Menschenwürde“ bezeichnet.[14] Es ist daher unvorstellbar, dass eine Tätigkeit, die die Menschenwürde verletzt, plötzlich vom Europarat als Arbeit anerkannt wird, zumal der Europarat den Zugang zu „menschenwürdiger Arbeit“ fördert und verteidigt.

    In demselben Übereinkommen werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, jede Person unter Strafe zu stellen, die „die Prostitution einer anderen Person, auch mit deren Einverständnis, ausnutzt“ und die „ein Bordell unterhält oder leitet oder wissentlich ein Bordell finanziert oder sich an dessen Finanzierung beteiligt“ oder „wissentlich ein Gebäude oder einen anderen Ort oder einen Teil davon zum Zwecke der Prostitution anderer Personen vermietet oder verpachtet“.

    ·        Darüber hinaus verpflichtet Artikel 6 des CEDAW-Übereinkommens die Mitgliedstaaten, die Ausbeutung der Prostitution von Frauen und Mädchen, d. h. die Zuhälterei, zu unterbinden.[15]

    ·        Artikel 9.5 des Palermo-Protokolls verpflichtet die Mitgliedstaaten, „der Nachfrage entgegenzuwirken, die alle Formen der Ausbeutung von Menschen, insbesondere von Frauen und Kindern, die zum Menschenhandel führen, begünstigt“.[16]

    Die Kriminalisierung der Zuhälterei und des Kaufs sexueller Handlungen sind auch Maßnahmen, die von der OSZE[17], dem Europäischen Parlament[18], der Parlamentarischen Versammlung des Europarats[19] und der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für Gewalt gegen Frauen[20] einstimmig als beste Instrumente zur Bekämpfung des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung empfohlen wurden.

    „Die Argumente, dass die Entkriminalisierung der Nachfrage nach dem Kauf sexueller Handlungen die Sicherheit, die Würde und die Lebensbedingungen der prostituierten Frauen verbessert, scheinen nicht durch Fakten gestützt zu werden. Prostitution führt zu schweren Menschenrechtsverletzungen für die betroffenen Frauen und Mädchen.“  (UN-Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen, Reem Alsalem, 2023)[21]

    Die vereinbarte Sprache der Vereinten Nationen und der EU ist und bleibt „Prostitution“ und „Person in der Prostitution“. Wir bedauern die wiederholte Verwendung des Begriffs „Sexarbeit“ in dem Kommentar, der ein Propagandabegriff ist, der dazu dient, die dem Prostitutionssystem innewohnende Gewalt und die Muster sexistischer, rassistischer und klassenbedingter Unterdrückung, die es nähren, zu verschleiern und die Legalisierung von Prostitution zu fördern.

    „Unsere Grundüberzeugung als UN Women ist, dass alle Frauen, die in dieser Branche tätig sind, Opfer sind, unabhängig davon, ob sie sich selbst als Sexarbeiterinnen betrachten oder nicht, oder ob sie dies als einen Job ansehen, wir betrachten sie als Opfer und diejenigen, die die Dienstleistung kaufen, als Täter von Gewalt gegen Frauen.“  (Phumzile Mlambo-Ngcuka, ehemalige Exekutivdirektorin von UN Women, 2020).

    Es gibt einen (echten) menschenrechtsbasierten Ansatz zur Prostitution: Er schützt die Opfer und bekämpft die Straflosigkeit der Täter.

    Schweden, Norwegen, Island, Irland, Nordirland, Kanada und Frankreich sowie das EU-Parlament haben einen feministischen und menschenrechtsbasierten Ansatz zur Prostitution gewählt, indem sie die Prostitution als ein System von Gewalt und Ausbeutung anerkennen. Dieses „Gleichstellungs-Modell“ trennt zwischen den Opfern und ihren Ausbeutern: Es entkriminalisiert die Prostituierten, ermöglicht ihnen den Zugang zu Ausstiegsprogrammen und bestraft den Kauf von sexuellen Handlungen – die Wurzel des Prostitutionssystems – sowie die Zuhälterei.

    In Schweden, das 1999 ein Gleichstellungs-Modell (auch „abolitionistisches Modell“) eingeführt hat,

    ·        wurde die Nachfrage halbiert, infolge der Kriminalisierung des Kaufs von sexuellen Handlungen. 1996 gaben 13,6 % der Männer in Schweden[22] an, einmal in ihrem Leben eine sexuelle Handlung gekauft zu haben, im Vergleich zu 7 % im Jahr 2023.[23]

    ·        machte der Rückgang der Nachfrage das Land zu einem unattraktiven Gebiet für Netzwerke der Menschenhändler, die das Land verlassen haben.[24]

    ·        hatte das Gesetz eine normative Wirkung. 1996 waren 75 % der schwedischen Bevölkerung gegen die Bestrafung von Sexkäufern. Weniger als zehn Jahre später, im Jahr 2008, wurde diese Maßnahme von 70 % der Bevölkerung befürwortet.[25]

    ·        wurden seit Einführung des Gesetzes keine Prostituierte getötet, in Deutschland waren es mindestens 84.[26] [AdÜ: zum 01.12.2023 sind es in Deutschland mindestens 112 seit 2000.[27]]

    In Frankreich wird ein Gleichstellungs-Modell seit 2016 umgesetzt:

    ·        Keine prostituierte Person wurde seit der Einführung des Gesetzes bestraft.

    ·        1.247 Personen haben von einem Ausstiegsprogramm profitiert, das psychosoziale Unterstützung, eine Aufenthaltsgenehmigung für ausländische Opfer, eine Unterkunft, monatliche finanzielle Unterstützung und eine Berufsausbildung bietet, mit einer Erfolgsquote von 95 %.[28]

    ·        Mehr als 8.000 Sexkäufer wurden zu Geldstrafen verurteilt oder mussten an einem Sensibilisierungskurs über die Realitäten der Prostitution teilnehmen.[29]

    ·        Die Zahl der Verfahren gegen Zuhälter ist zwischen 2016 und 2019 um 54 % gestiegen, und die Entschädigung für die Opfer ist um das Siebenfache gestiegen.[30]

    Die Rechtskonformität des französischen Gesetzes wurde vom französischen Verfassungsgericht mit eindringlichen Worten anerkannt.[31] Der Hohe Rat für Gleichstellung in Frankreich hat diesen Ansatz als „Beitrag zum Aufbau einer Gesellschaft der formalen und realen Gleichstellung von Männern und Frauen“ anerkannt,[32] und Überlebende aus mehreren Ländern haben kürzlich ihre kollektive Unterstützung für die Gesetzgebung zum Ausdruck gebracht.[33] Die Kommissarin scheint sich dieser Elemente nicht bewusst zu sein und bezieht sich auf das französische Recht nur im Rahmen einer Zulässigkeitsentscheidung in einem laufenden Verfahren, was der Entscheidung des Gerichtshofs in keiner Weise vorgreift. Wir müssen darauf hinweisen, dass dieses Verfahren von denselben Organisationen unterstützt wird, auf die die Kommissarin den Konsultationsprozess bei der Abfassung dieser Stellungnahme beschränkt hat.

    Wir stimmen zu, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, dass ihre Gesetze im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention stehen. Um dies zu erreichen, sollten sie jedoch genau den gegenteiligen Ansatz verfolgen als den, den die Kommissarin propagiert.

    In einer Zeit, in der Europa einen Paradigmenwechsel zugunsten des Gleichstellungsmodells vollzieht, stellt die Bemerkung der Kommissarin, der die Entkriminalisierung von Gewalttätern fordert, einen echten Rückschlag für die Rechte der Frauen dar. Der Weg nach vorn kann nur in der Abschaffung des sexistischen, rassistischen und klassenbasierten Systems der Prostitution bestehen, nicht in seiner „vollständigen Entkriminalisierung“.

    Wir fordern daher die Kommissarin auf, ihren Kommentar auf der Grundlage eines ethischen, objektiven und integrativen Konsultationsprozesses zu überprüfen und zu ändern.

    Unterzeichner:

    ·        Die Koalition für die Abschaffung der Prostitution (CAP)[34] – ein Zusammenschluss von 35 Basisorganisationen und von Überlebenden geführten Organisationen in 28 Ländern, die 18.000 Opfer von Prostitution und Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung unterstützen.

    ·        Die Europäische Frauenlobby (EWL)[35] – die größte Dachorganisation von Frauenverbänden in Europa mit 32 nationalen Koordinierungsorganisationen und 17 europaweiten Mitgliedsorganisationen, die insgesamt mehr als 2 000 Frauenrechtsorganisationen vertreten. Die EWL hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine integrative, furchtlose, laute und unabhängige feministische Stimme zu vertreten und die Stimmen von Frauen und Mädchen in die europäische politische Arena einzubringen. Die EWL repräsentiert die Vielfalt der Frauenbewegung in ganz Europa und mobilisiert die kollektive Erfahrung und das Fachwissen ihrer Mitglieder, um an wichtigen Themen zu arbeiten, die Frauen und Mädchen betreffen.

    ·        Das Europäische Netzwerk der Migrantinnen[36] – eine von Migrantinnen geführte europäische Plattform, die über 50 Mitgliedsorganisationen in 23 EU-Staaten vereint. Seine Ziele sind der Schutz der Rechte von Migrantinnen und die Bekämpfung aller Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen.

    ·        SPACE International[37] – eine internationale Organisation von Überlebenden aus der ganzen Welt, die die Anerkennung von Prostitution als Verletzung der Menschenwürde und als grundlegendes Hindernis für die Gleichstellung der Geschlechter fordert.

    ·        Intedinhora[38] – das größte von Überlebenden geführte Netzwerk in Skandinavien für Menschen, die die Prostitution überlebt haben. Unsere Organisation besteht heute aus über 160 Mitgliedern, und wir alle sind der festen Überzeugung, dass Prostitution ein Teil der Gewalt von Männern gegen Frauen ist.

    ·        Die Koalition gegen Frauenhandel (CATW)[39] – eine der ältesten internationalen Organisationen, die sich für die Verhinderung und Beendigung des Frauenhandels und der sexuellen Ausbeutung von Frauen und Mädchen weltweit einsetzt, und zwar durch rechtliche Beratung, Sensibilisierung der Öffentlichkeit und Partnerschaften mit der weltweiten Bewegung der Überlebenden.

    ·        Die Initiative Féministe EuroMed[40] – eine politische Plattform, die Expertise im Bereich der Gleichberechtigung und der Rechte von Frauen bietet, die untrennbar mit dem Aufbau von Demokratie und Bürgerschaft verbunden sind, und die sich für politische Lösungen für alle Konflikte und für das Recht der Völker auf Selbstbestimmung einsetzt.

    ·        Der Brüsseler Aufruf[41] – ein partnerschaftlicher Zusammenschluss von über 120 Organisationen der Zivilgesellschaft sowie von Überlebenden und Experten, die sich auf internationaler, europäischer, mitgliedstaatlicher und lokaler Ebene für die Beendigung von Prostitution und sexueller Ausbeutung in Europa einsetzen.

    ·        Die Schwedische Frauenlobby[42] – ein politisch und religiös unabhängiger Dachverband der schwedischen Frauenbewegung, der 51 Organisationen umfasst und über 130.000 Frauen und Mädchen vertritt.

    ·        Die Französische Koordinierung der Europäischen Frauenlobby[43] – eine NRO, die fast 100 französische Organisationen leitet und koordiniert. Die Struktur setzt sich auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter ein.

    ·        Osez le féminisme![44] – eine nationale französische Frauenrechtsorganisation, die von allgemeinem Interesse ist. Sie setzt sich durch Sensibilisierung, Lobbyarbeit, Unterstützung der Opfer und strategische Rechtsstreitigkeiten für die Gleichstellung von Frauen und Männern ein.

    ·        Rights4Girls[45] – eine in den USA ansässige Menschenrechtsorganisation, die sich für die Beendigung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen marginalisierte junge Frauen und Mädchen einsetzt. Wir setzen uns dafür ein, die Geschichte und die Politik zu ändern, die diejenigen kriminalisieren, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind, und setzen uns für Lösungen ein, die Mädchen und Frauen Zugang zu Sicherheit, Gerechtigkeit und Unterstützung bieten.

    ·        Das Bündnis Nordisches Modell[46] – verbindet über 45 Frontline- und Basisorganisationen sowie zahlreiche Experten und Überlebende der Prostitution aus Deutschland, Österreich und der Schweiz und setzt sich für eine Änderung der Prostitutionspolitik in Deutschland zum „Nordischen Modell“ (Gleichstellungs-Modell).

    ·        Der spanische Landesverband der Abolitionistinnen[47] – besteht aus Expertinnen und Überlebenden des Prostitutionssystems, vertritt die Auffassung, dass Prostitution eine Form der Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist und dass Abschaffung der Prostitution eine Frage der Menschenrechte ist.


    [1] Zala: The Commissioner for Human Rights of the Council of Europe does not understand the realities of the prostitution system, in: CAP International, 29.02.2024, https://www.cap-international.org/the-commissioner-for-human-rights-of-the-council-of-europe-does-not-understand-the-realities-of-the-prostitution-system/ (abgerufen am 08.03.2024)

    [2] https://www.coe.int/en/web/commissioner/-/protecting-the-human-rights-of-sex-workers

    [3] https://www.isalaasbl.be/prostitution-associations-feministes-expriment-leur-profonde-inquietude-quand-a-lapproche-de-la-belgique/

    [4] https://www.bbc.com/news/world-europe-26261221

    [5] https://www.destatis.de/EN/Press/2022/07/PE22_277_228.html

    [6] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2019/11/PD19_451_228.html

    [7] https://cne.news/article/2857-war-in-ukraine-causes-spike-in-refugees-being-recruited-for-prostitution

    [8] https://sverigeskvinnoorganisationer.se/wp-content/uploads/2023/12/Sex-pruchase-in-Sweden-Germany-Fact-sheet.pdf

    [9] I. Kraus: Situation in Germany, 17 years after the decriminalisation of pimping, Trauma and Prostitution, 2018

    [10] https://www.cap-international.org/wp-content/uploads/2024/02/Joint-Statement_Paradigm-Shift-in-Germany_BNM_CAP_EWL_English.pdf

    [11] https://edition.cnn.com/2015/12/21/europe/driving-lessons-sex-netherlands/index.html

    [12] https://www.isalaasbl.be/prostitution-associations-feministes-expriment-leur-profonde-inquietude-quand-a-lapproche-de-la-belgique/

    [13] Brussels Call, Her Future is Equal, 2022.

    [14] The Convention of 2 December 1949 for the Suppression of the Traffic in Persons and of the Exploitation of the Prostitution of Others.

    [15] The United Nations Convention of 18 December 1979 on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women.

    [16] The United Nations Protocol to Prevent, Suppress and Punish Trafficking in Persons, Especially Women and Children.

    [17] https://www.osce.org/cthb/489388

    [18] Regulation of prostitution in the EU: its cross-border implications and impact on gender equality and women’s rights – Thursday, 14 September 2023. (europa.eu)

    [19] Resolution of the Parliamentary Assembly of the Council of Europe of 8 April 2014 on „Prostitution, trafficking and modern slavery in Europe.

    [20] https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/issues/women/sr/activities/2023-10-27-sr-vawg-commentary-france-law-prostiution.pdf

    [21] https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/issues/women/sr/activities/2023-10-27-sr-vawg-commentary-france-law-prostiution.pdf

    [22] Sweden Ban on the purchase of a sexual act, an assessment, 2008.

    [23] The Swedish Women’s Lobby: Sex purchase in Sweden and Germany, 2023.

    [24] Sweden Ban on the purchase of a sexual act, an assessment, 2008.

    [25] Sweden Ban on the purchase of a sexual act, an assessment, 2008.

    [26] https://prostitutionresearch.com/wp-content/uploads/2019/04/Murders-of-prostituted-women-in-Germany-since-legal-prostitution-in-2002.pdf

    [27] M. Schon, M. Barz, M. Kühn: Eingabe an die UN-Frauenrechtskommission, S.11, 25.01.2024, in: Feministische Partei: Frauenorganisationen informieren UN Frauenrechtskommission über besorgniserregende Entwicklungen in Deutschland, https://www.feministischepartei.de/wp-content/uploads/2024/03/202401_Vorlage-bei-der-UN-Kommission-zur-Stellung-der-Frau.pdf

    [28] AdÜ: Zwischen 04.2016 und 01.2023, https://www.causette.fr/societe/en-france/isabelle-lonvis-rome-je-souhaite-porter-une-nouvelle-strategie-nationale-de-lutte-contre-la-prostitution-a-la-rentree/

    [29] AdÜ: etwas weniger als 500 Verurteilungen pro Jahr, https://www.causette.fr/societe/en-france/isabelle-lonvis-rome-je-souhaite-porter-une-nouvelle-strategie-nationale-de-lutte-contre-la-prostitution-a-la-rentree/

    [30] Daten aus FACT-S, 2021: https://www.fact-s.fr/ & IGAS, Evaluation de la loi du 13 avril 2016 visant à renforcer la lutte contre le système prostitutionnel et à accompagner les personnes prostituées, 2020: https://www.igas.gouv.fr/IMG/pdf/2019-032r-prostitution-d.pdf

    [31] https://www.conseil-constitutionnel.fr/decision/2019/2018761QPC.htm

    [32] https://www.haut-conseil-egalite.gouv.fr/violences-faites-aux-femmes/travaux-du-hce/article/cp-qpc-prostitution-le-haut-conseil-a-l-egalite-salue-la-decision-du-conseil

    [33] https://m.youtube.com/watch?v=zvv-tn4w5cc&cbrd=1

    [34] https://www.cap-international.org/

    [35] https://womenlobby.org/?lang=en

    [36] https://www.migrantwomennetwork.org/

    [37] https://www.spaceintl.org/

    [38] https://intedinhora.se/

    [39] https://catwinternational.org/

    [40] https://www.efi-ife.org/en/

    [41] https://brusselscall.eu/

    [42] https://sverigeskvinnoorganisationer.se/in-english/

    [43] https://www.clef-femmes.fr/

    [44] https://osezlefeminisme.fr/

    [45] https://rights4girls.org/

    [46] https://www.bündnis-nordischesmodell.de/

    [47] https://www.femab.org/

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