Autorin: Ronja //
Ein Text an die Freier, die mir Sätze wie „Von deinem Stundenlohn können andere nur
träumen!“ an den Kopf warfen:
„Von deinem Stundenlohn können andere nur träumen!“ – ein Satz, der mir bis heute im Ohr
geblieben ist, weil ich ihn öfter von Männern deiner Sorte hörte.
Heute macht es mich so wütend.
Denn du hast mir diesen Satz an den Kopf geknallt, weil du etwas erreichen wolltest.
Du wolltest mich damit beleidigen oder verunsichern, mir ein schlechtes Gewissen machen
und so mehr Zeit herausholen oder weniger zahlen oder mich doch zu einem meiner Tabus
überreden.
Denn von meinem Stundenlohn könnten andere ja nur träumen!
Perfide daran ist auch, dass Typen wie du das wohl jeder an den Kopf knallen.
Einer, die tatsächlich einen dreistelligen Stundenlohn verlangt.
Aber auch denen, die sich auf der Straße für Zwanzig Euro oder noch weniger anbieten
müssen.
Und perfide ist auch, dass es wirklich in mir gewirkt hat.
Es hat mir ein schlechtes Gewissen gemacht.
Ich habe bald selbst geglaubt, dass ich die 80 oder 100 Euro, die ich für eine Stunde mit dir
genommen habe, nicht „verdiene“.
Ich hab damals nicht geblickt, wieso ich so einen Stundenlohn habe aber nichts „daraus
mache“, einfach nichts schaffe.
Wieso ich nicht zu so einem happy hooker aus den Medien werde, die nach Lust und Laune
mal eine Stunde „arbeitet“ und sich sonst ihre Zeit mit Wellness und Shopping und
Champagnerfrühstück vertreibt.
Wieso ich stattdessen immer tiefer in Verzweiflung, Betäubung und Schulden abrutsche und
schließlich völlig aus jedem Hilfssystem gefallen bin.
Wieso blieb von den 100 Euro Stundenlohn denn nichts übrig?
Nun, erst einmal ist der Begriff Stundenlohn schon völlig falsch.
Dieses Geld ist nicht in einer Stunde gemacht, denn für diese Stunde braucht es oft vorab
stundenlanges Warten.
Im Bordell, auf der Straße oder, wie in den meisten Jahren in meinem persönlichen Fall, auch
zuhause vor dem Rechner, wenn man Anzeigen über Online-Portale schaltet und dann die
Anfragen der Freier via Plattform oder Mail beantwortet.
Dieses Warten ist aber nirgendwo stressfrei, sondern mit Angst und Daueranspannung
verbunden:
Welche ernsthaft schockierenden „Angebote“ und Beleidigungen bekomme ich ab, bis es mit
dem nächsten halbwegs vernünftigen Freier klappt?
Klappt es heute überhaupt oder gehe ich hungrig ins Bett oder kann meine
Zimmermiete/Rechnung nicht zahlen oder muss auf Entzug und morgen geht der ganze Stress
in noch elenderem Zustand wieder von vorne los?
Geht meine „Glückssträhne“ heute wieder weiter oder gerate ich endlich an den
Psychopathen, der mich umbringt? (Falls ihr findet, dass das unrealistisch klingt: Genau diese
letzte Frage wurde in meinem eigenen Kopf in meinem letzten Jahr in der Prostitution immer
lauter und hat mich krank gemacht, zumal Morde durch Freier ja nun leider kein extrem
unwahrscheinliches Hirngespinst.)
Manchmal verbringt man so zwei, vier, sechs oder acht Stunden oder wenn es mal gar nicht
läuft sogar viele Tage mit Warten, Angst haben und gleichzeitig unter ungesunder
Hochspannung stehend. Wer sich da nur ansatzweise hineinversetzen kann, wird verstehen,
warum viele von uns an einer ähnlichen oder schlimmeren PTBS wie Soldaten nach dem
Kriegseinsatz leiden.
Und ich spreche hier nur von Ängsten und Spannungen derer, die nicht noch Fäuste oder
schlimmeres von ihrem Zuhälter befürchten müssen, wenn sie ihr Soll nicht erreichen…
Dann kommen, je nach Art und Ort der Prostitution, ganz verschiedene Posten dazu.
Gemeinsam ist ihnen aber, dass sie nötig sind um „im Geschäft“ zu bleiben und konstant
einen Teil der Einnahmen wieder auffressen. Dazu können zählen:
- Zimmer-/ Studiomiete / Provisionen an Agenturen,
- Kondome / Gleitgel / Sexspielzeuge,
- Dessous / Fetischwäsche / sonstige extra „Arbeitskleidung“ und High Heels,
- Kosmetik und Kosmetikbehandlungen
- professionelle Fotos und Kosten für Websites / geschaltete Werbung
- Steuerberater
Nun willst du vielleicht sagen, dass jeder selbstständige Mensch erst etwas investieren muss,
bevor er verdient.
Das ist für normale Berufe sicherlich der Fall.
Aber hier ist der Punkt: Prostitution ist das nicht, darf einfach nicht so angesehen werden!
Denn dass auch mir das eingeredet wurde und ich es selbst unbedingt glauben wollte, hat so
viel kaputt gemacht.
In welchem Beruf ist es denn so, dass Erfahrung bei der „Kundenakquise“ eher schadet als
nützt und die laufenden „Investitionen“ steigen statt sinken?
Die meisten deiner Sorte wollen keine Frau, die über 30, über 40, über 50 oder noch viel älter
ist und schon jahrelang tut oder tun muss, was du als dein gutes Recht ansiehst.
Die meisten deiner Sorte wollen dafür Frischfleisch, jung und unerfahren, straff, eng und noch mit „echten Emotionen“ (manche deiner Sorte meinen damit Angst und Ekel und Schmerz). Je verbrauchter wir werden, je mehr Geld braucht es für Wartungsarbeiten. Während wir auf der anderen Seite oft weniger Geld verlangen können von dir. Oder immer heftigere Nischen bedienen müssen, die den Verfall nur noch beschleunigen.
(*Worte, die ich selbst niemals verwenden würde, aber die ich auch alle mal von Typen wie
dir gehört habe)
Nicht wenige, die über Jahre und Jahrzehnte keinen Absprung finden und damit eine
„Berufserfahrung“ haben, die in normalen Berufen doch eher Ansehen und Absicherung
verspricht, werden im Alter ein Fall für das Sozialamt.
Verschuldet / insolvent, chronisch krank, einsam.
Wenn wir ein hohes Alter überhaupt erreichen.
Und nein, das liegt nicht daran, dass wir unfähig sind, mit Geld umzugehen oder vernünftig
zu planen.
Das liegt daran, dass dieses System niemals darauf ausgelegt ist, dass WIR in irgendeiner
Form, und sei es wenigstens nur die finanzielle, die Gewinnerinnen sind.
Die Villen, die dicken Uhren, die Spa-Behandlungen: das gönnt sich im Alter der ehemalige
Bordell-Betreiber. Das gönnte sich ein Hugh Hefner (schließlich auch ein Sinnbild von
männlichem „sex sells“-Profiteur). Das gönnen sich die gut betuchten Freier wie du, der sich
darüber aufregen kann, wie eine Frau dafür, sich von dir penetrieren lassen zu müssen, so
einen unverschämten Stundenlohn verlangt.
Und wie recht du hast. Unverschämt ist es allemal:
Ja, ich hatte mal einen Stundenlohn von 100 Euro.
Um wieder ein paar Tage zu überleben.
Um mich wieder für ein paar Tage zu betäuben.
Um wieder für ein paar Momente im Jetzt auszuhalten um nicht an gestern, dich und morgen
zu denken.
Ja, ich hatte mal einen Stundenlohn von 100 Euro.
Und habe in jeder dieser Stunden Schulden gemacht, die ich vielleicht nie wieder tilgen kann.
An meinem Körper, meiner Psyche, meiner Biografie, meinen Beziehungen, meiner Zukunft.
An meinem Urvertrauen, meinem Selbstwert und der Fähigkeit, mir selbst den Schutz, die
Fürsorge und die Sicherheiten im Leben zuzusprechen, die jedem Menschen zustehen sollten.
Aus der Prostitution raus wollen,
das auch wirklich schaffen,
schuldenfrei werden,
eine eigene kleine Wohnung finden,
die Ausbildung machen, die man sich erträumt,
ungesunde Beziehungsmuster überwinden,
bei Bedarf eine Traumatherapie bekommen,
keine körperlichen (Spät)Folgen entwickeln…
Egal, wie hoch unser Stundenlohn mal war.
Für viel zu viele bleiben diese Dinge unbezahlbar.
„Von deinem Stundenlohn können andere nur träumen!“
Bitte nicht!
Diesen Albtraum wünsche ich keinem!