Autorin: Mimi //
Jeden Morgen, wenn ich aufwache, stelle ich nach einer kurzen Zeit der Entspannung fest, dass sich all die guten und schlechten Geschehenisse wie Popups ins Gedächtnis drängen.
Ähnlich wie bei einem Computer, der hochfährt und alle Programme und Termine lädt, meldet auch mein Kopf zahlreiche Informationen. Viele von ihnen, so wünschte ich, würden niemals mehr auf meinen inneren Desktop springen, aber leider ist es nicht möglich, die Dinge einfach im Archiv zu belassen.
Als ich eine junges Mädchen war, so vorpubertär, da dachte ich vieles von Liebe und Leidenschaft und all diesen Dingen. Wie es wohl sein würde, wie es sich anfühlen würde.
Doch leider konnte ich diese Erfahrung niemals sammeln, wie es gewesen wäre, wenn ich mein eigenes Tempo hätte gehen können. Denn dazu kam es einfach nicht.
Schon als Kind wurde ich konditioniert auf Befehslgehorsam, stillsein, aushalten, unsichtbar sein und immer immer lieb und nett und brav. Ich befolgte. Mich selbst zu spüren kam kaum in Frage, denn mein Überleben hing von meinem Verstecken ab.
Das Verstecken gewohnt, war es gewalttätigen Menschen möglich, ihre Taten unentdeckt an mir vollziehen zu können.
Eine selbst und langsam entdeckte Sexualität? Nicht machbar. Zerstört von einem Mann, dessen Macht und Perversion wichtiger für ihn umzusetzen war, als meine eigene Unversehrtheit zu wahren. Dieses Ereignis zieht sich wie ein roter Faden durch mein sexuelles Erleben, wenn es das Wort überhaupt verdient, denn ich erlebe eigentlich kaum etwas, ich halte entweder aus oder ich bin gedanklich nicht mehr anwesend.
Meine Beziehungen zu Männern waren durchweg von Gewalt und Qual geprägt. Oftmals fand alles sehr subtil statt, ich wurde erpresst, bedroht, gegaslightet, missbraucht, alle Verantwortung übertragen und schlussendlich war ich nie mehr als eine Pornodarstellerin im Kopf der Männer.
“Tu dies, mach jenes, dreh dich um, guck mehr so als ob es geil ist, tut dir das weh? ja das ist geil, Gott ich wusste immer dass du eine verdorbene Hure bist”.
Wenn man sich diese Sätze in sensiblen Phasen des Lebens anhören muss, und man sich selbst nichts wert ist, weil das Leben nur aus Anpassung und Abducken besteht, dann fühlt man sich irgendwie auch dennoch nach einem Menschen, einem degradierten Menschen zwar, einem Stück Fleisch, einem Altherrentraum, aber immerhin, man IST jemand. Man ist eine verdorbene Hure, eine, die jegliche Wünsche erfüllt, eine, die einfach alles mitmacht. Als Kind denkt man, man ist irgendwie besonders, weil man so gelobt wird. Das ist ja scheinbar nicht allzuhäufig. Und später, wenn man weiß, dass man dich missbraucht hat, dann denkst du es immernoch, weil du als Prostituierte wirklich einen ähnlichen Status innehast, man hört die gleichen Sätze von anderen Männern, die dasselbe tun aber es ok finden, denn man ist ja erwachsen und es gab dafür auch Geld.
Ich habe viel zu spät und in der Prostitution entdeckt, dass meine eigens geglaubte Sexualität, gar nicht meine ist. Ich bin abhängig. Abhängig vom Urteil der Männer, abhängig vom Wollen der Männer, von ihren Wünschen, von ihren Phantasien.
Ohne sie bin ich nichts. Ich weiß nicht, wie sich Sexualität anfühlt, wenn man selbst bei sich ist, in einem guten Kontakt zur eigenen Person.
Die Frage, die mich sooft umtreibt, nämlich: “wer bin ich?” gilt ebenso für all meine sexuellen Bereiche. Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung.
Also warte ich auf Befehle, wie ich mich zu geben habe, was ich tun soll, ich warte mein ganzes Leben lang nur auf andere, was sie wollen, wünschen und träumen.
Nichts passt da besser, als der “Beruf” der Hure. Wo sonst kann man gleichzeitig sein und sterben? Sein, weil man erfüllt, ausfüllt, weil man jemand ist, der etwas gut macht. Und sterben, weil man mit jedem Freier, mit jeder weiteren Gewalt, soweit davon abrückt, jemals zu sein. Im eigentlichen wie auch sexuellen Sinne.
Es geht soweit, dass man sich selbst nicht mehr spüren kann. Wieoft habe ich gesehen, dass meine Hand über den Rücken eines Freiers glitt, und ich fragte mich, wessen Hand das wohl gerade sei, als ich merkte, dass diese zu mir gehörte.
Der Weg zu einer eigenen Sexualität führt demnach nur über ein eigenes Bewusstsein. Ohne eigenen Wert, ohne eigene Empfindungen, kann das niemals geschehen.
Und obwohl ich keine Ahnung habe, wie dieses Sein auszusehen hat, da lediglich Schmerz mein derzeitiges Leben bestimmt, so hoffe ich, dass ich, im guten Kontakt mit mir selbst, eines Tages dieses Wissen haben werde. Dass ich nicht mehr sein muss, um zu dienen, um anderen eine Projektionsfläche sein zu können. Nein, dass ich bin, wie ich bin, und dass es gut so ist.
(c) Mimi, 2017
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