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Wie ich in die Prostitution eingestiegen bin – und wie ich meine Illusionen verloren habe

    Autorin: Mimi //

     

    Meinen ersten Freier hatte ich mit Anfang 20. Ich hatte seit Jahren massive Probleme meine Sexualität auszuleben, aber fand keinen Zusammenhang zu den sexuellen Übergriffen in der Vergangenheit.

    Sex war für mich immer ein Leistungsfach, etwas, was ich zu erfüllen hatte, nicht nur ein bisschen, sondern ganz hervorragend. Das war mein eigener Anspruch gewesen. Mein erster Freund erpresste mich mit Liebesentzug, wenn ich mal keine Lust hatte. Also hatte ich immer Lust. Er wusste, dass ich es nicht aushalte, wenn er mich ignorierte und tagelang links liegen lies, wenn ich mal wieder nicht mit ihm schlafen wollte. Warum ich ihn nicht verließ? Diese Logik war mir einfach nicht vorhanden. Er kümmerte sich doch um mich, er kochte mir Kaffee, er nahm mich mit zu Freunden, er schien sich irgendwie für mich zu interessieren. Vorausgesetzt, ich war mit ihm vorher im Bett gewesen. Ich war abhängig von ihm und nicht in der Lage mein eigenes Leid zu beenden.
    Als ich fortzog von zuhaus, zum Studium, war mein Leben schon ein viel besseres geworden. Ich schöpfte neuen Mut, freute mich am Lernen und versuchte sogar, ein wenig eine normale Studentin zu werden, mit WG- Zimmer und BaföG. Ich arbeitete auch, doch für Sonderausgaben wie beispielsweise für die geforderten Exkursionsfahrten, schaffte ich es trotz Nebenjob nicht, derartige Summen aufzubringen. Da mein Sexleben brach lag, und ich nichts anrüchiges daran fand, beschloss ich, meinen Körper zu verkaufen. Geld stinkt schließlich nicht, und so schlimm kann es auch nicht sein. Dachte ich.

    Über die sozialen Netzwerke traf ich auf einen jungen Mann, nicht viel älter als ich, erfolgreich im Beruf, aber nicht wirklich mein Typ. Er fand mich sexy und bot mir an, gegen eine kleine Gefälligkeit meine Geldsorgen zu minimieren. Wir verabredeten uns und ich ging zu ihm. Ich war ja so naiv. Ich hatte weder jemandem vorher bescheid gegeben,  noch eine Ahnung wie man sich bei Hausbesuchen schützt, noch wie man vorher richtig verhandelt. Was ich erlebte war ein Martyrium. Bereits im Hausflur griff er mir ins Haar und zerrte mich durch den Flur. Seine sexuellen Handlungen schloss er ab, indem er mir ins Gesicht ejakulierte und mich ein “braves Mädchen” nannte. Ich bekam mein Geld und ging. Ich habe seitdem nie wieder allein die Wohnung eines Mannes betreten und bekomme immer noch Panikattacken, wenn bei einer ärztlichen Untersuchung nicht sofort eine Schwester im Raum ist. Die Übertragung der Angstgefühle geschieht vollkommen unwillkürlich und ohne erkennbaren Zusammenhang. Jeder Mann könnte der nächste Täter sein.
    Jahre später, ich war einige Jahre im Beruf, wurde ich arbeitslos. Mein Leben zeichnete sich durch instabile Partnerschaften und anstrengende Berufsjahre aus. Ich war oft für wenig Geld angestellt gewesen, war ich doch oft froh, überhaupt Arbeit in meiner Branche gefunden zu haben. Als der Bescheid des Arbeitsamtes ins Haus kam, war ich vor Schock wie gelähmt. Das Arbeitslosengeld 1, welches mir für ein halbes Jahr zugesagt wurde, war viel zu gering, ich konnte gerade so meine Fixkosten decken, aber nicht weiteres, und schon gar nicht konnte ich mein Kind ernähren. Ich bekam Panik. Für den langen Behördenweg mit Wohngeldbeantragung etc. fehlte mir einfach die Zeit, denn die Bearbeitung dauert in unserer Gemeinde gern sehr lang und ich hatte einfach keine großen Ersparnisse. Ich entschied mich also für das schnelle Geld und meldete mich im nächstgelegensten Bordell an.

    So wurde ich Vollzeithure und legte meine Kommunikation mit dem Amt lahm. Ich hasse es, vom Amt abhängig zu sein, ich hatte sooft schon schlechte Erfahrungen gesammelt, unschlüssige Verwaltungsakte, Entscheidungen und manchmal mündliche Zusagen und schriftliche Absagen, ich wollte mich nicht mehr auf diese Menschen verlassen. Ich brauchte etwas Sicheres, und was ist sicherer als dass Männer Sex kaufen. Es war mir anfangs ein leichtes, Tag ein und Tag aus arbeitete ich, 3, 5, 10 Freier am Tag, kein Problem. Ich war eine selbstbestimmte Prostituierte, die ja schließlich keinerlei Probleme mit dem Job hatte- ja nur die Gesellschaft hatte schließlich ein Problem mit diesem! Das war allgemein Konsens im Bordell und ich wiederholte mantraartig diese und andere befürwortende Phrasen, wie auswendiggelernt, als wollte und sollte man das auch so sagen und empfinden.
    Anfangs wollte ich das nur für ein paar Wochen machen, doch es wurden Jahre daraus. Als ich mich in eine Wohnung eingemietet hatte, die das Wort Wohnung nicht wirklich verdiente, denn es war eher ein Dreckloch gewesen (wie fast alle Wohnungen für Prostituierte), um auf einem Wochentermin mal richtig Geld zu verdienen, brach ich das erste Mal zusammen. Ich lag in diesem Bett, indem vorher massig Frauen und Männer Sex gehabt hatten, in einem Bett, das vor Traurigkeit und Verzweiflung triefte, an einem Ort, dessen Grauenhaftigkeit kaum zu beschreiben war. Wieviele Frauen wurden hier schon für Geld missbraucht? Wieviele Träume starben hier? Wieviele Schmerzen wurden hier ertragen? Wieviel Schmerz konnte ich ertragen? Ich lag bewegungslos in diesem Bett, allein und einsam, und ich dachte, wie könnte ich es jemals schaffen, aus diesem trostlosen Loch zu entfliehen, zu vergessen, was war, ein Mensch zu werden, der glücklich ist? Ich war ratlos. Und ich konnte nicht mehr. Als sich der Zuhälter dieser Bruchbude ankündigte, um mich “kennenzulernen”, brach ich den Termin ab, hatte einen Haufen Geld zum Fenster herausgeworfen, war vollkommen erschöpft und aufgelöst und konnte mich nicht mehr regen.

    Ich raffte all meine letzte Kraft zusammen suchte mir einen kleinen Job, einen, den ich mir zutraute, den ich mir noch vorstellen konnte und reduzierte meine Bordelltage drastisch. Von einer stolzen, selbstbestimmten Prostituierten war genau nichts mehr übrig. Mir war klar, dass ich den Absprung schaffen musste. Dass es sonst nie wieder gut wird, sondern nur noch schlechter. Und dass es wie eine Sucht ist. Etwas, was man nie im Leben ganz vergessen wird, aber auch etwas, mit dem man umgehen lernen kann. Ich befinde mich gerade auf der Zielgeraden zum Ausstieg. Ich zähle die Tage bis ich endlich ganz aufhören kann, ich konnte ein wenig Kraft schöpfen und das erste Mal in einer Therapie Vertrauen aufbauen, ohne dass ich etwas dafür entgegenbringen muss. Ich bin sehr optimistisch, dass ich all das bald zur Gänze hinter mir lassen kann und ich hoffe, dass ich niemals mehr den Weg zurückgehen muss, weil Umstände mich dazu zwingen. Seien es meine eigenen inneren Mechanismen oder äußere Umstände. Der Ausstieg kostet sehr viel Kraft und wäre ohne die Hilfe anderer Frauen (und auch wenigen Männern!) nicht auszudenken. Diese Hilfe geschieht auf freiwilliger Basis, in der Freizeit, im Ehrenamt, selten gut bezahlt. Der Staat hat “für uns” nichts übrig, denn außer ständige Kontrollen im Bordell, auf der Suche nach weiteren Steuereinnahmequellen*, kann man nichts erwarten.  Ich wünsche mir, dass jede Frau, die hinaus will aus dem Kreislauf der Anschafferei, die Chance bekommt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. “Sexindustry kills”las ich neulich im Netz, und das stimmt in sovieler Hinsicht. Die Gesellschaft muss aufhören, dieses leise Sterben zu tolerieren. Jeder sollte sich Fragen, ob er diese Zustände in einer aufgeklärten Gesellschaft haben möchte. Ich für meinen Teil kann dies aus Erfahrung nur verneinen.

    * In einigen Gemeinden ist es üblich, dass Prostituierte eine Vergnügungssteuer zahlen- 6 Euro am Tag. Das ist an Zynismus nicht mehr zu überbieten, denn es gibt wohl nur wenige Prostituierte, die sich im Job amüsieren.

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