Am Mittwochmorgen hat die Bundespolizei mit über 1.500 Beamten (BeamtInnen?) in einer bundesweiten Aktion 62 Bordelle gestürmt. 100 Personen sind festgenommen worden, davon 17 Hauptverdächtige. Die Aktion gilt als größte Zugriffsmaßnahme seit Bestehen der Bundespolizei. Die prostituierten Frauen und Ladyboys kamen allesamt aus Thailand.
Der Vorwurf gegen die Hauptbeschuldigten lautet auf Menschenhandel, Zwangsprostitution, Schleusung und von Arbeitsentgelt.
Wir vom Netzwerk Ella, der Aktionsgruppe für Frauen aus der Prostitution, haben dazu Folgendes zu sagen:
Wir begrüßen, dass Menschenhandel, Ausbeutung und Zwangsprostitution verfolgt werden und dass mit der Polizei gegen die Profiteure der Sexindustrie vorgegangen wird.
Gleichzeitig stellen wir fest, dass auch einige der Opfer festgenommen worden sind. Auf Nachfrage, was jetzt mit den prostituierten Frauen und Ladyboys geschehe, erklärte die Polizei, für die seien jetzt die Polizei oder die Ausländerbehörden zuständig. Wir finden es unangemessen, Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution allein mit Polizei und Ausländerbehörden zu konfrontieren und mit niemandem sonst. Uns liegen keine Informationen vor, dass bei den Aktionen PsychologInnen, SozialarbeiterInnen oder Fachberatungsstellen gegen Menschenhandel hinzugezogen worden oder vor Ort gewesen sind, auch wenn die Bundespolizei auf Nachfrage erklärt, die Opfer befänden sich mittlerweile in psychosozialer Betreuung.
Für uns stellt sich die Situation so dar:
Der Staat hat mit seiner liberalen Prostitutionsgesetzgebung erst dafür gesorgt, dass Prostitution hierzulande für Männer als etwas gilt, das man bedenkenlos in Anspruch nehmen kann.
Damit hat der Staat dafür gesorgt, dass Freiertum als akzeptiert gilt und sich ausbreitet.
Wo mehr Nachfrage ist, folgt mehr Angebot. Der größere Bedarf nach prostituierten Frauen hat dafür gesorgt, dass die jetzt betroffenen Frauen erst nach Deutschland geschleust und hier ausgebeutet worden sind – denn für Schleuser und Menschenhändler lohnt sich das Geschäft in Deutschland.
Damit trägt der Staat eine Verantwortung dafür, dass die Frauen überhaupt erst hier sind, und auch dafür, dass sie hier ausgebeutet worden sind.
Nun, nachdem dieser Personenkreis bereits missbraucht und ausgebeutet wurde, beschliesst der Staat, Razzien durchzuführen. Wir begrüssen das polizeiliche Vorgehen gegen Zuhälter, Menschenhändler und Schleuser, aber wir glauben nicht, dass es Razzien gibt, die die betroffenen Frauen nicht verschreckt, verängstigt und vielleicht auch retraumatisiert hinterlassen. Wenn mehrere vermummte, bewaffnete Männer plötzlich die Räume stürmen, ist das kein Pappenstiel.
Wir finden nicht, dass es angemessen ist, Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution festzunehmen. Wir finden auch nicht, dass es angemessen ist, Opfer von Menschenhandel abzuschieben.
Wir erklären, dass wir alle die Erfahrung gemacht haben, dass die Polizei bis dato nicht unser Freund gewesen ist. Polizisten waren unter unseren Zuhältern, unter unseren Freiern und unter denen, die uns nicht geholfen haben, wenn wir uns an sie wendeten. Polizisten haben im Gegenteil oft unsere Notlagen ausgenutzt.
Wir denken nicht, dass alle Polizisten so sind, aber wir denken, dass eine Institution, die nicht sensibilisiert ist, mit Prostituierten zu tun zu haben, auch nicht auf Prostituierte losgelassen werden sollte. Prostituierte, und im Speziellen Menschenhandelsopfer oder Zwangsprostituierte zu sein, ist kein Verbrechen.
In Schweden kümmert sich die Polizei um die Freier und Zuhälter. Die Frauen haben Erstkontakt mit Sozialarbeiterinnen. Zudem existieren in Schweden objektive Kriterien, ab wann Menschenhandel Menschenhandel bzw. ab wann Zwangsprostitution Zwangsprostitution ist. Die Beweislast liegt damit nicht mehr auf der Seite der betroffenen Person, und sie muss auch nicht, wie in Deutschland, aussagen. Ausserdem werden Frauen, die in Schweden Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution geworden sind, auch nicht abgeschoben. Schweden und sein Prostitutionsmodell sind das Vorbild dafür, wie Prostitution eingedämmt werden kann OHNE dass zu Polizeirazzien kommt: nämlich über die Freierbestrafung, d.h. die Reduzierung der Nachfrage.
Wir befürchten, dass die festgenommenen betroffenen Frauen jetzt zu Aussagen gedrängt werden, die sie in Gefahr bringen, und dass sie danach abgeschoben werden. Wir fordern daher, dass der Staat endlich eine Gesetzgebung festlegt, die Sexkauf bestraft und somit die Freier in die Verantwortung nimmt, dass sie für die Menschenhändler überhaupt erst einen Anreiz setzen, die Frauen nach Deutschland zu handeln und zur Prostitution zu zwingen. Wir fordern weiter, dass der Staat nicht länger verlogen einerseits von Prostitution und auch Zwangsprostitution über Steuern kassiert und gleichzeitig scheinheilig so tut, als ginge er gegen Zwangsprostitution vor.
Außerdem lehnen wir die Wortwahl in manchen Pressemitteilungen der Polizei ab, so war die Rede davon, die „Damen“ hätten das Schleusergeld „abarbeiten müssen“. Erstens ist ein süffisanter Altherrenton („Damen“) unangemessen und zweitens, dazu gezwungen zu werden, täglich mehrmals sexuellen Missbrauch dulden zu müssen, ist kein „abarbeiten“. Schluss mit den Euphemismen!
Nicht zuletzt fordern wir, dass die betroffenen Frauen, die Opfer geworden sind, ein Bleiberecht erhalten und nicht abgeschoben werden. Ein Staat, der erst die Bedingungen dafür geschaffen hat, dass sie hergehandelt und ausgebeutet worden sind, kann sie nach ihrer Traumatisierung, für die er eine Teilverantwortung trägt, nicht einfach ohne Entschädigung lassen und wegkarren!
Und zum Schluss sagen wir ganz deutlich: Einer Regierung, die Prostitution nicht als Gewalt gegen Frauen begreift und die sogar noch finanziell von ihr profitiert, kaufen wir hier eine echte Sorge um Menschenhandelsopfer und Zwangsprostituierte nicht ab!
Netzwerk Ella, Aktionsgruppe für Frauen aus der Prostitution