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Die politischen Kämpfe und Überzeugungen der „Lobby“ und der AbolitionistInnen

    Autorin: Sophie //

    Die Hurenbewegungen entstanden einst aus der Kritik an einer doppelmoralischen Gesellschaft, die einerseits in die Prostitution involviert ist, indem sie sie nutzt und auf sie baut, andererseits jedoch die in der Prostitution Tätigen für ihre Ausübung bestraft.

    Im Patriarchat wurde immer schon zwischen „Heiligen“ und „Huren“ unterschieden, von welchen die Heiligen diejenigen ehren- und schützenswerten Frauen sind, auf deren Unberührtheit der Ausdruck der Familienehre projiziert wird, die Huren hingegen sind das personifizierte Schandmal einer Gesellschaft.

    Jedoch wurden die „Huren“ von der katholischen Kirche und auch vorher im antiken Griechenland und Rom zwar stigmatisiert, aber geduldet. Bis zur Reformation gab es sogar Bischöfe, die selbst Bordelle betrieben, was man unter anderem durch ein Zitat vom heiligen Thomas von Aquin legitimierte, das besagt: „Die Prostitution in den Städten gleicht der Kloake im Palast; schafft die Kloake ab, und der Palast wird ein unreiner und stinkender Ort werden“. Dass der Klerus jedoch nicht Bordelle betrieb, um die öffentliche Ordnung zu bewahren, sondern einfach das politische und wirtschaftliche Machtmonopol, das die Kirche innehatte, zur eigenen Bereicherung ausnutzte, sollte selbstverständlich sein.

    Luther, der auch heute noch von Protestanten dafür verehrt wird, die Kommerzialisierung des christlichen Glaubens abgeschafft oder durch die Übersetzung der Bibel zumindest dazu beigetragen zu haben, dass sie nicht mehr theologisch legitimiert war, hatte ganz andere Pläne mit den Prostituierten: Man solle sie rädern und ädern lassen. Sie waren ihm ein Dorn im Auge und störten die öffentliche Moral.
    Seine Lösung für das Problem der Unsittlichkeit der Prostitution war es, das Heiratsalter auf zwölf Jahre herabzusetzen, damit Männer es nicht mehr nötig hätten, Prostituierte aufzusuchen. Fortan wurden Prostituierte polizeilich verfolgt, gefoltert, weggesperrt und umgebracht. Die katholische Kirche stellte ihre ausbeuterischen Tätigkeiten auf diesem Wirtschaftszweig nun auch ein, weil sie durch die theologische Konkurrenz ihr Monopol verlor und mitziehen musste, um nicht an Glaubwürdigkeit einzubüßen.


    Zwar erkannte das Vatikanische Konzil im 17. Jahrhundert Prostitution wieder als ein notwendiges Übel an, jedoch blieben die Repressalien gegen Prostituierte in den meisten Ländern bestehen.
    Luther läutete mit seinen Schriften über die Arbeit, die Rolle der Frau in der Familie und den Pamphleten gegen die Bauernaufstände die kapitalistische Gesellschaft ein.

    Luthers Denken bildet die Grundlage des alten Preußens, seines Kadavergehorsams und der bürgerlichen Gesellschaft als solcher.
    Auch die bürgerliche Kleinfamilie liegt in Luther begründet. So zementiert Luther die Rolle der Frau auf das Kinderkriegen und ihr Hausfrauendasein. Er weichte das Scheidungsrecht unter den Aspekten auf, dass sich geschieden werden dürfe, wenn ein Ehepartner sich dem anderen im Ehebett verweigere oder ein Ehepartner unfruchtbar sei. Sterbe eine Frau im Kindsbett, sei das nur Recht, denn das sei ja ihre Aufgabe gewesen. Dies und die Tatsache, dass Frauenklöster abgeschafft wurden, stärkte das Abhängigkeitsverhältnis zu Männern immens.

    Frauen werden auch heute noch nur selten als eigenständige Subjekte wahrgenommen.
    Während die ehrbare Frau in dem Sinne Objekt ist, dass sie als Eigentum behandelt wird, auf das aufgepasst werden muss und das die Funktion erfüllt, Erben zu gebären und großzuziehen, um das Privateigentum in der Familie behalten zu können, wird die Hure auf die Weise Objekt, dass sie ihren Körper der Gesellschaft zur Verfügung stellen muss.
    Die Hure, das „leichte Mädchen“, gilt als anrüchiges, schmutziges und hinterlistiges Geschöpf, das zu faul ist, sich sein Brot auf ehrliche Weise zu verdienen.

    Ihrer Raffgier nachgehend macht sie es sich leicht. Sie legt sich lieber nachts auf den Rücken, um nicht mit schwitzendem Angesicht unter der Sonne stehen zu müssen.
    Eine Dirne treibt sich mit dem Abschaum der Gesellschaft herum, trinkt, klaut und lügt, einen moralischen Kompass hat sie nicht.
    Das nymphomanische Mädchen kann ihre Hände nicht bei sich behalten und verführt deshalb den unschuldigen, hart arbeitenden Familienvater, dessen treues Eheweib sehnsüchtig zuhause wartet.
    Schon mit Eva fing es an, die den Adam mit dem Apfel verführte, welcher sinnbildlich für den Geschlechtsakt steht.
    Außerdem ist sie schmutzig.

    Sie hat keinen Ekel und auch kein Problem mit Dreck und Krankheit, weshalb sie die Männer mit allen möglichen Seuchen ansteckt, die diese wiederum an ihre armen Ehefrauen und Kinder weitergeben.
    Die Prostituierte ist eine verkommene Person, die sich ihren unmoralischen Lebenswandel selbst ausgesucht hat und es deshalb nicht anders verdient, als schlecht behandelt zu werden.

    All diese Ressentiments nennt man Stigma. Die Prostituierte ist stigmatisiert und zu einer Kreatur zweiter Klasse degradiert. Kreatur, weil man bei diesen Zuschreibungen von Mensch nun wirklich nicht sprechen kann.
    Um die Ambivalenzen mit der eigenen Ehefrau nicht austragen zu müssen, werden sie vom Mann externalisiert. Wünsche, die man an die Heilige nicht richten möchte, gibt man nun an die Prostituierte ab. Wut, mit der man nicht weiß, wohin, richtet man gegen die Prostituierte.
    Jedes Bedürfnis nach Macht kann man an der Prostituierten ausleben. Wenn der Arbeitstag hart war und man vom Chef zur Schnecke gemacht wurde, geht man zu einer Nutte, um sich wieder als Mann zu fühlen.
    Die Prostitution ist eine vom Über-Ich befreite Institution. Man bezahlt, um ohne schlechtes Gewissen seiner Triebstruktur freien Lauf lassen zu können.


    Erich Fromm sagt genau dies auch in Anatomie der menschlichen Destruktivität über die Nazis und ihre politischen Gegner. Die Foltermethoden, die an den Gegnern des Regimes praktiziert wurden, sind komplett des Über-Ichs befreit. Alles, was man bei Menschen der eigenen Gruppe nicht darf, darf man beim Feind, beim Menschen zweiter Klasse eben schon. Destruktivität entlädt sich, wo der Mensch keiner potentiellen, durch Regelbruch verursachten, Ächtung unterworfen ist.

    So ist es auch mit allen Frauen, die durch das Hurenstigma oder durch die Tatsache, dass sie zuviel Haut zeigen, zu Vogelfreien erklärt werden. Die Männer, die zu ihnen gehen, benutzen sie zum Aggressionsabbau und zur Wiederherstellung ihrer Männlichkeit. Der Geldschein, der die Gewalt zu einer Dienstleistung verklärt, erlaubt dem Mann, jede mögliche Praktik vorzunehmen, die bei einer „ehrenwerten Frau“ selbstverständlich Schmerzen verursachen würde.

    Es ist, als bestünde die Prostituierte nicht aus Fleisch und Blut.
    Sie ist eine Ware. Eine Projektionsfläche.
    So sagt es auch der konservative Medienwissenschaftler Norbert Bolz in seinem antifeministischen Pamphlet „Helden der Familie“: „Im Geschlechtergenuss verhalte ich mich gerade nicht zum anderen als solchem. Sein Selbst könnte da nur störend dazwischenkommen. Deshalb wird die Faszinationskraft einer schönen Frau durch ihre Dummheit nicht beschädigt, sondern gesteigert. Sie ist, mit der unüberbietbaren Formel von Oscar Wilde, die Sphinx ohne Rätsel.“

    Auch Theodor Adorno äußert sich in der Minima Moralia wie folgt: „Phantasie wird entflammt von Frauen, denen Phantasie gerade abgeht. (…) Ihre Attraktivität rührt her vom Mangel des Bewusstseins ihrer selbst, ja eines Selbst überhaupt.“

    Also ist das, was Frauen für den Mann sexuell attraktiv macht, eben nicht in ihrer Funktion als Subjekt, als ein Selbst mit eigenem Willen, eigenen Wünschen und eigenen Bedürfnissen begründet. Das, was Männer bei Prostituierten suchen, ist eine Leinwand. Eine Leinwand, deren Schönheit darin besteht, körperlich makellos zu sein, und möglichst viel von dem, was sie einzigartig, ja was sie zum Subjekt machen könnte, für sich zu behalten.
    Diese menschliche Leinwand ist das Objekt, auf das der Freier seine inneren Bilder projiziert. Deshalb ist es in der Prostitution auch ein Verkaufstrick, sich nicht zu sehr zu spezialisieren. Möglichst allgemein zu bleiben und möglichst alles anzubieten, lässt die Aussicht auf viele Freier steigen. Auch zuviel Haut zu zeigen ist nicht von Vorteil.
    Wenn ein Freier die Vulva schon vor dem Date kennt, kann er sie nicht mehr idealisieren.

    Die Prostituierte soll nämlich ein Platzhalter sein.
    Sie ist für ihn die Gespielin, mit der er das, was er aus Pornos kennt, ausleben kann.

    Wo ihre eigene Sexualität dabei ist, ist ihm egal. Teuer verkaufen kann sie sich dann, wenn sie entweder psychisch und körperlich belastende Praktiken anbietet, oder in der Lage ist, sich in die Phantasien der Freier hineinzudenken und sie vorauszusehen. Wer es schafft, sich selbst komplett aus sich zurückzuziehen und nur noch das ist, was der Freier sehen und erleben möchte, hat in Kombination mit dem Privileg des selbsbestimmten Arbeitens gute Verdienstmöglichkeiten.
    Dass dies nur auf wenige Frauen zutrifft, geschenkt.

    Aber dass das selbst unter privilegierten Umständen noch frauenverachtend ist, muss unbedingt erkannt werden. Der Freier objektifiziert die Prostituierte. Ob die Arbeitsbedingungen gut oder schlecht sind, die Hure ist für den Freier kein Mensch mit Gefühlen, die er zu achten hätte. Bekäme sie tatsächlich einen Orgasmus, würde er sich nicht für sie als Mensch freuen, nein, es würde sein Ego pushen und er könnte sich als toller Hecht und sehr männlich fühlen. Genau das ist der Grund, weshalb so viele Frauen Orgasmen vortäuschen: ein aufgrund seiner fragilen Männlichkeit narzisstisch gekränkter Mann ist kein angenehmer Zeitgenosse. Er wird mindestens passiv aggressiv, in der Prostitution aber, wo er sich ja, weil er wie beim Ablasshandel sein schlechtes Gewissen freigekauft hat, nicht zusammenreißen muss, kann es durchaus sein, dass er auch aktiv aggressiv wird.


    Natürlich kann man sagen, dass man durch jede Dienstleistung für etwas benutzt wird und es dem, der die Dienstleistung in Anspruch nimmt, egal ist, ob die Dienstleistende diese gerne ausführt.

    Jedoch ist es ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, wenn man eine Handlung, die außerhalb des Körpers stattfindet, mit einer Handlung vergleicht, die in einem Körper stattfindet.
    Es ist einfach nicht dasselbe, wenn man nackt, schutzlos und ausgeliefert auf einem Bett liegt und ein Mensch, dem egal ist, was man fühlt, in einen eindringt, wie wenn man angezogen am Tresen steht und Bier einschenkt. Auch ist es nicht dasselbe, wenn man mit einem fremden Mann, der einen mit jeder Faser seines Körpers verachtet und aus jeder Pore seiner Haut nach saurem Schweiß riecht, in einer billigen Absteige unterkommt, der einem mit seinen viel zu langen schmutzigen Fingernägeln in Körperöffnungen eindringt, die so nicht abgemacht waren und man danach blutet und sich am liebsten anschließend mit einer Stahlbürste und Kernseife von innen ausreinigen möchte, wie wenn man einer alten Dame im Friseursalon mit Rückenschmerzen vom langen Stehen die Haare schneidet.

    Das eine ruft in zwei Dritteln der Fälle, je nach Sozialprognose, eine PTBS hervor und das andere nicht.
    Das eine beeinträchtigt die körperliche Integrität, das Sicherheitsgefühl, die Selbstwahrnehmung , das Selbstwertgefühl, das Vertrauen in die Außenwelt oder das Vertrauen in sich und das andere aber ist zwar unangenehm, aber es verändert einen Menschen nicht auf einer derart existenziellen Ebene.
    Wenn es nicht Konsens wäre, dass nicht-konsensueller Sex so problematisch und traumatisierend für die Psyche des Menschen ist, wäre in unserem Strafrecht nicht so ein hohes Strafmaß für sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung verankert.

    Geschlechtsverkehr so eine hohe Bedeutung beizumessen geschieht nicht aufgrund von christlicher Moral, es geschieht auf der Basis von Empirie.
    Dass ungewollte sexuelle Kontakte traumatisieren ist Fakt.
    Und dass nur die Minderheit der Prostituierten sich in ihrem Job wohlfühlt auch.


    Der Freier, der zu einer Prostituierten geht, kann nicht wissen, ob die Frau den Sex möchte und er nimmt billigend inkauf, dass dieses Erlebnis traumatisierend für sie wird.

    Er stellt sein eigenes Bedürfnis über ihres. Der Freier übt Macht aus, wie Max Weber sie definiert: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“
    Bei Prostitution also Fürsprache für das Recht auf Sex für die prostituierte Frau zu halten ist zynisch. Das Machtgefälle bezahlender Mann – bezahlte Frau lässt Geschlechtsverkehr auf Augenhöhe nicht zu.
    Die Frau ordnet sich immer dem Willen des Mannes unter, selbst wenn sie den dominanten Part einnimmt. Denn selbst dann hat der Mann sich konkret sie als Domina ausgesucht und bezahlt sie dafür, seinen Wunsch unterworfen zu werden zu erfüllen.


    Ich finde das ähnlich zynisch wie die von den Grünen angestoßene Debatte in den 80ern, in der es um ein Recht auf Sex für Kinder ging. Sex innerhalb eines Machtgefälles beziehungsweise die Ausnutzung eines Machtgefälles ist immer Missbrauch.

    Deshalb ist auch der Kauf von Konsens sexueller Missbrauch.
    Außerdem ist Prostitution auch Entfremdung. Die Prostituierte entfremdet sich von ihrem eigenen Körper, ihrer eigenen Sexualität, sie verdinglicht sich selbst, apriori wird sie verdinglicht.
    Ihr Körper wird wie eine Ware benutzt.

    Und die Frauen, die verächtlich auf sie hinabblicken, benutzen die Hure auch. Sie sind der Meinung, dass es für einen Mann nicht möglich sei, seine sexuelle Appetenz zu kontrollieren und dass all die ehrbaren Frauen und Töchter vergewaltigt würden, wenn es die Prostitution nicht gäbe. So wie Augustinus sind sie der Meinung, dass die Ünterdrückung der öffentlichen Dirnen dazu führen würde, dass die Gewalt der Leidenschaften alles über den Haufen werden würde .

    Außerdem sind viele Frauen mit Männern verheiratet, die sie eigentlich verachten und ihnen ist es lieber, dass ihr Mann, natürlich ohne dass sie es erfahren, zu einer Prostituierten geht, mit der der Sex nichts bedeutet, als dass er im eigenen Ehebett aktiv bleibt.
    Und auch bei Frauen zeigt sich der autoritäre Charakter. So wie der Mann die Hure braucht, um nach einer Rüge vom Chef, dem er demütig ergeben ist, seine Männlichkeit wiederherzustellen, so braucht sie auch die Frau, um sich in der Hierarchie nach oben zu befördern.
    Während man die Unschuld der Frau immer im Blick hat und die Anzahl ihrer Sexualpartner ihr gesellschaftliches Ansehen definieren, überlegt sie sich, wie sie sich Freiheit verschaffen kann.


    Da Frauen häufig von der Gunst des Mannes abhängig sind oder diese Abhängigkeit, selbst wenn sie de facto gar nicht besteht, dennoch internalisiert haben, tendieren sie eher dazu, sich Männern anzubiedern, um ihr Leben zu sichern, als mit anderen Frauen solidarisch zu sein.
    Also agieren sie ganz nach dem Schema „nach oben lecken, nach unten treten“ und suchen sich Frauen, die in der Hierarchie unter ihnen stehen, um auf diese herabzublicken.

    Gleichzeitig jedoch geschieht das genaue Gegenteil.
    Bürgerliche, den Zwängen der bürgerlichen Gesellschaft ergebene Frauen verklären und romantisieren die Prostitution sehr häufig, weil sie sie als das Gegenmodell zum moralischen Korsetts des Bürgertums interpretieren. Die Hure ist eine Vogelfreie, die sich nicht an Konventionen zu halten hat. Sie verdient Geld, ist selbstbestimmt und frech. Sie benutzt die Männer und wickelt sie um den Finger. Ihr proletarischer Charme wird exotisiert.
    Es ist aufregend, einmal eine Bordellführung im Frankfurter Bahnhofsviertel zu besuchen, danach fühlt man sich weltoffen und hat Anteil an der gespielten Erotik des Milieus.
    Denn Erotik existiert dort bisweilen keine. Es ist Schauspielerei. Das Rotlicht ist hochgradig ideologisch.


    Auch wenn SexarbeitsaktivistInnen gerne propagieren, dass die Prostitution der Inbegriff sexueller Freiheit sei, ist sie nur die Reproduktion und Sexualisierung gesellschaftlicher Verhältnisse.

    Für den Mann ist der Kauf von Frauen ein Versuch, seine narzisstische Kränkung durch die Mutter zu kompensieren. Während in den Massenmedien ein Bild des potenten, dominanten, solventen und Frauen unterwerfenden Mannes propagiert wird, fällt dem Individuum auf, dass die Person, die am meisten Macht über ihn hat, eine Frau ist, seine Mutter, die sich seiner Sauberkeitserziehung angenommen hat und über die elementaren Dinge seines Lebens entscheidet. Diese Kränkung versucht er zu überwinden, indem er Macht über Frauen erlangt.
    Außerdem sind Männer dazu sozialisiert, im Leben nach Lustgewinn zu streben, statt, wie im Gegensatz zu Frauen eher unlustvermeidend zu agieren.
    Dies ist aber nicht genetisch in Mann und Frau angelegt, sondern durch die Sozialisation bestimmt.

    Schon Karl Marx sagt, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt und deshalb sehe ich die Gründe für die Situation, die mit der Legalisierung der Prostitution geschaffen wird, bei den aktuell und ehemals bestehenden Verhältnissen. Man denkt nicht im Geist der Utopie über die Verhältnisse hinaus, sondern verbleibt ideologieimmanent. Man denkt, dass die Prostitution eine nicht abzuschaffende anthropologische Konstante sei.
    Statt den Versuch zu wagen, ihre Ursachen zu bekämpfen, die meist Armut, Zwang, Sucht, Trauma oder andere toxische Prägungen, die ein schwaches Selbstwertgefühl verursachen, sind, macht man es sich bequem in diesem System und versucht, sich wohlzufühlen. Kapitalismus macht frei!
    Er gibt dem Menschen ein Recht auf Sex. Doch wäre Sex wirklich etwas, auf das man ein Recht hätte, müsste man ihn gratis bekommen, so wie es mit Trinkwasser ist.

    Während man denkt, man bekämpfe die bürgerliche Ehe durch die Prostitution, festigt man diese nur durch sie. Denn wie wir wissen, kann die Ehe ohne die Prostitution nicht existieren. 1/3-50% aller Freier sind verheiratet.


    In unserer Gesellschaft, in der Respekt und Frieden untereinander noch kein echtes Bedürfnis geworden sind, weil die Inhaber der durch die patriarchale Gesellschaft resultierenden Privilegien diese nicht abgeben wollen und es auch nicht leicht ist, sie ihnen zu entreißen, weil sie die gesamte Vergnügungsindustrie und alle gesellschaftlichen Institutionen in der Hand haben, braucht es die Prostituierte für die Aufrechterhaltung des dichotomischen Objektstatuses der Frau.
    Würde man die Frau als ein Selbst sehen, würde man ihr sowohl promiskuitive Anteile, als auch mütterliche Anteile zugestehen, sowie auch sonst alle Anteile, die sich in ihr befinden, als ihren individuellen Charakter anerkennen.
    Die Frau würde sich vom Objekt zum Subjekt emporheben, vom Besitz zum Menschen werden.

    Würden Männer sich um die Sexualität einer Frau, die sie respektieren, bemühen, gäbe es mehr Geschlechtsverkehr, weil sich Frauen der pornographisch aufgeladenen und egoistischen Benutzung durch den Mann nicht mehr verweigern würden.
    Und selbst wenn sie es dennoch täten, könnte der Mann es einfach akzeptieren, weil er erkennen würde, dass es auf die Benutzung eines anderen Menschen einfach kein Recht gibt und das Erzwingen von Sexualität Gewalt ist.

    Während man also denkt, man sei ein hipper antikapitalistischer Freigeist, weil man die sonst unbezahlte Sorgearbeit, (wie der Koitus von Menschen dieser Couleur auch gesehen wird) kapitalisiert, festigt man die Ausbeutung alternativloser Frauen und euphemisiert sie als Sexarbeit.
    Doch wo Sexualität industrialisiert wird, verliert sie die Erotik. Durch die Einebnung in die Gesellschaft verliert sie das Anrüchige, Verbotene und Spannende.
    Die Zeit Freuds, der im Viktorianischen Zeitalter geboren wurde, war sexuell sehr aufgeladen. Weil Frauen sehr hochgeschlossen gekleidet waren, war schon das durchblitzen eines Handknöchels ein erregender Moment für den Mann.

    Die Tabuisierung von Sex machte ihn spannend. Jetzt, wo nichts mehr pervers scheint, weil alles normal ist und man alle Perversionen im Internet findet, kommen Erotik und Phantasie abhanden.
    Die Menschen haben weniger Sex als jemals zuvor. Zwar geht es immer früher los, doch die Praktiken sind entmenschlicht. Es ist eine kollektive Masturbation, bei der der andere denselben Zweck wie Sexspielzeug erfüllt, aber keiner mehr weiß, dass Erotik nicht im Körper sondern zwischen den Körpern liegt. Das Knistern, das Sex eigentlich verursachen sollte, verschwindet mehr und mehr. Letztlich hat der Kapitalismus nicht nur unsere Arbeitskraft von uns entfremdet, nein, nun nahm er uns auch noch die Sexualität.

    Und während man denkt, es schicke sich, seinen abolitionistischen GegnerInnen Rassismus vorzuwerfen, weil das Nordische Modell armen Osteuropäerinnen die Lebensgrundlage entziehe, macht man sich eins mit einem System, das schon immer auf menschenverachtender Basis funktioniert und im Nationalsozialismus in KZ-Bordellen und Lebensborn-Projekten kumulierte.
    Auf der einen Seite wurden „Deutsche Asoziale“ Frauen zur Prostitution gezwungen, um die KZ-Häftlinge in ihrer Arbeitsmoral anzuheizen, damit sie sich noch stärker ausbeuten ließen und ihnen zu suggerieren, ihr Dasein in dieser menschenverachtenden Maschinerie werde tatsächlich irgendwie entlohnt.
    Außerdem ging es darum, Distinktion zu den Juden zu betreiben, die die Prostitution in Kzs nicht in Anspruch nehmen durften.

    Andererseits schreibt Adorno in seinem Aufsatz „Sexualtabus und Recht heute“: „Die Lebensborn-Gestüte der SS, die Ermunterung der Mädchen zu temporären Beziehungen mit denen, die sich selber zur Elite erklärt und als solche eingerichtet hatten, sind, wie viele Pionieruntaten des Dritten Reiches, bloß die extreme Vorwegnahme gesamtgesellschaftlicher Tendenzen.“
    Genau das passiert nämlich auch noch heute. Jungen Mädchen wird eingeredet, dass es empowernd sei, sich an reiche alte Männer hinzugeben, die sie aushalten. Der Lifestyle als Sugarbabe und die schillernde Party-Prostituierte werden glorifiziert. Das Materielle wird über das Persönliche gestellt. Es wird suggeriert, dass es aufregend ist, als Escort in teuren Hotels den Geschmack der Bourgeoisie schmecken zu dürfen.

    Letztlich wird die Proletarierin durch diese Suggestion zur Sklavin gemacht. Sie wird nie zur Oberschicht dazugehören und durch das Versprechen, sich durch sexuelle Gefälligkeiten aber irgendwie nach oben katapultieren zu dürfen, glaubt sie bereitwillig eine Lüge, die sie dazu bringt, ihre Versklavung gern hinzunehmen. Sie verbringt ihre Zeit in der Prostitution vielleicht wie eine Verliebte in freudiger Erwartung auf Besserung. Doch sobald sie die Lüge als eine solche entlarvt hat, wird bittere Enttäuschung einsetzen.
    Auch dem Mann wird in diesem ideologischen Gebilde eingeredet, dass er Erfolg bei Frauen nur dann haben könne, wenn er beruflichen Erfolg hat oder „genetisch“ ansprechend ist.
    Es ist ein ekelhafter Biologismus, der besagt, es sei naturgegeben, dass Frauen qua Geburt entweder auf Körperkraft (Schutz) oder Finanzstärke (Sicherheit) aus seien. Es ist faschistisch, dass die Ideologie des „Survival of the Fittest“, also nur der Fitteste solle sich paaren, so weiterpropagiert wird.
    Doch die Prostitution baut auf rassistischen und faschistischen Elementen auf.
    So soll sich der aufmerksame Rezipient vielleicht einmal in Freierforen herumtreiben und nachlesen, wie zutiefst rassistisch die Kommentare der Freier sind.

    Aber nicht nur die Seite der Nachfragenden bedient solche Narrative. Auch die Seite der Betreiber wirbt im Internet oft damit, dass die Frauen in ihrem Etablissement keine billigen Osteuropäerinnen seien. Oder was Salome Balthus auf der Seite ihrer Escortagentur über die russischstämmige jüdische Frau Tamara schreibt, suggeriert das Bild eines jüdischen jungen Mädchens, das dem deutschen Freier als postnazistischen Herrrenmenschen unterwürfig seine Bedürfnisse zu erfüllen hat.
    Salome Balthus appelliert außerdem dazu, sich als Prostituierte nicht billlig zu verkaufen. Die sonst so sozialrevolutionär klingende inszeniert sich selbst als It-Girl des BesD. Wie Marie Antoinette denkt sie wohl, das Volk könne Kuchen essen, wenn es kein Brot gibt. Denn in Wahrheit haben die Frauen oft keine Wahl, für welchen Preis sie sich verkaufen. Wenn man der deutschen Sprache nicht mächtig ist und das Überangebot an Prostitution zu einem Dumping der Preise führt und die ökonomische Not das Annehmen von Angeboten unter Wert erzwingt, wird es schwierig, wie eine Frau Balthus 1000€ pro Stunde zu nehmen, sofern ich diesen Preis gerade richtig wiedergebe.

    Die Prostitution ist sexistisch, rassistisch und klassistisch. Ihre Euphemisierung als Empowerment ist extrem regressiv und bescheinigt dem Sprechenden eine Unfähigkeit, nicht aus seiner Matrix herausdenken zu können.
    Statt, dass Respekt, Frieden und Freiheit zu echten Bedürfnissen würden, wie Herbert Marcuse sie sich für die „Great Society“ erträumt, versucht man die Benutzung des Frauenkörpers nur positiv zu reclaimen. Doch wie Adorno in eben erwähntem Aufsatz auch sagt, gibt es keine freie Sexualität in einer unfreien Gesellschaft.
    Solange wir im Patriarchat leben und die Ursachen der Prostitution nicht bekämpfen, wird das so bleiben, aber wenn wir uns unserer stetigen sich wiederholenden Performance dessen, was schon immer war, bewusst werden und das dann verändern, werden wir ermächtigt, neue Paradigmen für unser Handeln zu setzen. Die Ursachen für Prostitution sind auf der einen Seite die bereits genannten Einstiegsgründe für die Frauen und auf der anderen Seite das Frauenbild der meisten Männer.

    Ich weiß, von Erziehung zu sprechen, hat den Geschmack einer ideologischen Gehirnwäsche, aber tatsächlich glaube ich, dass wir nicht umhin kommen, Männer dazu zu erziehen, Frauen als Menschen wahrzunehmen, statt sie weiterhin als zur unterschiedlichen Benutzung freigegebene Objekte zu betrachten.

    Und das meine ich nicht in einer Art und Weise, die eine freie Sexualität so definiert, dass die Frau sich, wie die Radikalfeministin Andrea Dworkin sagt, „nicht mehr von nur einem Mann vergewaltigen lassen muss, sondern von allen“, sondern mit Empathie und Identifikation.
    Hierbei ist der Spruch „Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andern zu“ handlungsweisend.

    (c) Sophie

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