Autorin: Marlene //
Nach meiner Erfahrung gibt es wirkliche Freundschaft in der Prostitution kaum- denn man weiß nie, wem man wirklich vertrauen kann. Echten Zusammenhalt und Solidarität habe ich erst später nach meinem Ausstieg erfahren.
Es kommt nicht selten vor, dass eine Frau von ihrem Zuhälter darauf angesetzt wird, eine andere auszuspionieren, sei es, um ihr selbst zu schaden, sie für ihn zu gewinnen, oder um dann an ihren Zuhälter zu berichten, ob sie ehrlich ist oder womöglich Geld unterschlägt- Gründe gibt es genug und kaum etwas ist im Milieu wichtiger, als Loyalität.
Erschwerend kommt hinzu, dass man mit manchen Frauen gar nicht erst reden darf- etwa wenn man noch nicht weiß, wer “hinter ihr steht” oder die jeweiligen Zuhälter verfeindet sind. Dass die Frauen dann beide in dem gleichen Bordell sind, ist ohnehin sehr unwahrscheinlich, denn in der Regel ist das Revier gut abgesteckt, aber es kam vor, dass ich solche Redeverbote (Ja, kein Witz- selbst darüber, mit wem du sprechen darfst, kann dein Zuhälter bestimmen) miterlebt habe.
Trotz allem hatte ich in meiner Zeit in der Prostitution eine Frau kennen gelernt, mit der mich tatsächlich eine echte Freundschaft verband.
Sie war nur zwei Jahre älter als ich und wir freuten uns jede Woche auf den einen Tag, an dem die Frau des Bordellbetreibers nicht selbst arbeitete- da waren wir zu zweit und machten uns schöne Tage. Klar, arbeiten mussten wir trotzdem, aber unter uns zu sein und offen reden zu können tat gut. An allen anderen Tagen mussten wir unsere Freundschaft verstecken, denn das hätte sonst zu Problemen im Bordell geführt.
Mit der Zeit merkte ich, dass es ihr immer schlechter ging. Sie war immer unglücklicher und vertraute mir eines Abends an, dass sie vor hatte, abzuhauen. Ein Freund aus ihrer Heimatstadt wollte ihr dabei helfen.
Jetzt war ich in einem Dilemma. Loyalität stand über allem- und den Regeln des Milieus nach hätte ich meinem Zuhälter davon erzählen müssen. Sie nicht mehr bei mir zu haben wäre schrecklich gewesen, aber sie länger in dieser Hölle zu sehen, wenn sich doch ein Ausweg bot, war nich schlimmer.
Also schwieg ich, auch wenn ich wusste- wenn jemand davon erfährt, bin ich dran.
Eines Abends verabschiedeten wir uns, und ich wusste, wenn alles gut geht, würde ich sie nicht mehr wieder sehen. Der Plan sollte in dieser Nacht durchgeführt werden.
Als ich am nächsten Tag im Bordell ankam und sie am Tisch sitzen saß, brach mir fast das Herz. Ihr Zuhälter war nicht wie geplant nachts weg gewesen, es hatte nicht geklappt.
Von da an zog sie sich immer mehr zurück. Sie war fast nur noch alleine in ihrem Zimmer, wir schrieben die meiste Zeit über das Handy, damit niemand anders Verdacht schöpfen könnte wegen unserer Verbindung. Wenige Wochen später wagte sie einen neuen Versuch- und dieses Mal war sie wirklich weg.
Ich freute mich so sehr für sie, aber ich durfte es mir nicht anmerken lassen. Eine kurze Nachricht kam von ihr, dass es ihr gut ginge.
Panik breitete sich aus im Bordell, als sie nicht mehr auftauchte- ich sollte versuchen, sie zu kontaktieren, vielleicht würde sie mir ja antworten. Vor den Augen der anderen musste ich ihr schreiben, dafür benutzte ich mein Arbeitshandy- und schrieb von meinem privaten Handy schnell und heimlich hinterher, dass sie mir keine ehrliche Antwort schicken sollte, ich war auf sie angesetzt worden, um sie zu finden.
Danach habe ich nie wieder von ihr gehört. Anfangs war ich darüber sehr traurig, aber nachdem ich selbst davon gelaufen war, konnte ich sie verstehen. Man weiß nie, wem man trauen kann, und in diesem Fall ist der Preis zu hoch.
Trotzdem denke ich auch heute noch oft an sie. Ich frage mich, ob es ihr gut geht, was sie heute so macht, wie ihr Leben heute aussieht- und würde ihr gerne erzählen, dass ich es ein Jahr später auch raus geschafft habe.
(Marlene)