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Freiheit

    Autorin: Marlene //

    !!! Triggerwarnung – Sexuelle/körperliche Gewalt, explizite Sprache

    Du hast mich von Puff zu Puff geschickt. Du hast mir selbst das Geld, das ich eigentlich behalten durfte, weggenommen. Du hast mich körperlich und seelisch missbraucht, wie es dir gerade gepasst hat. Du hast mich in ein Wesen verwandelt, das ich selbst nicht mehr erkannte, das ich nicht sein wollte- nicht so sein wollte. Du hast mich belogen. Nie wusste ich, wo du bist, mit wem oder was du tust. Heute bin ich froh, dass ich nicht alles wusste, ich hatte schon so genug auszuhalten.

    Wegen dir musste ich es über mich ergehen lassen, dass mir ein Freier ins Gesicht kackt, immer wieder mit den widerlichsten Typen ins Bett zu gehen und ihre Fantasien zu erfüllen, ihren Schweiß und ihre Schuppen auf meinen Körper tropfen zu sehen, gegen AO-Freier anzukämpfen. Du selbst hast mich geschlagen, angespuckt, zu Sex gezwungen.

    Mehr als ein Jahr musste vergehen. Dann hast du mich eines Abends ausgelacht, weil du der Meinung warst, ich könnte sowieso nie von dir gehen. Wir haben so sehr gestritten, bis du irgendwann zugeschlagen hast. Wäre nicht einer deiner Freunde irgendwann dazwischen gegangen, wer weiß, wie weit du gegangen wärst. In meinem Mund hatte ich den Geschmack von Blut, denn meine Lippe war innen aufgeplatzt.Ich habe nur noch geheult wie selten zuvor und schnell Sachen in meinen Koffer geworfen. Eine Tasche mit den für mich wichtigsten Dingen hatte ich sowieso immer gepackt- dass der Zeitpunkt der Flucht irgendwann kommen würde, war mir immer klar gewesen.

    Damals habe ich in ständiger Alarmbereitschaft gelebt. Wobei leben vielleicht nicht das richtige Wort dafür ist, vor sich hin vegetieren trifft es eher.Dann habe ich meinen Koffer und die Tasche geschnappt und bin los, mitten in der Nacht, ohne einen Plan, wohin oder wen ich denn anrufen sollte. Weg. Einfach nur weg.

    Leider habe ich unterwegs einen kleinen Halt gemacht und ihr konntet mich mit dem Auto wieder einholen. Im Nachhinein habe ich mich oft gefragt, was gewesen wäre, wenn ich in die andere Richtung gegangen wäre oder mich rechtzeitig im Park versteckt hätte. So aber hattet ihr mich gefunden und du hast auf mich eingeredet. Wie leid dir doch alles tun würde, das übliche leere Gerede. Irgendwann stieg ich in den Wagen. Ich war absolut kaputt, der Kopf dröhnte mir nach den Schlägen, meinen Hals konnte ich nach deinem Würgegriff nur schwer bewegen, ich wusste sowieso nicht, wohin. So vergingen noch ein paar Tage. Ich fuhr zu meiner Familie und hatte Angst, dass sie das kleine Hämatom an meinem Auge bemerken könnten, aber es war schon so gut wie verschwunden.

    Vor ihnen tat ich, als wäre alles gut, die Fassade durfte nicht bröckeln – niemand durfte wissen, was ich wirklich machte. Während dieser Zeit schriebst du mir Nachrichten, dass du mich noch lieben würdest, ob es mir genauso ginge. Die Antwort war nein, aber niemals hätte ich dir das einfach so sagen können. Also fuhr ich zurück und war seltsamerweise sogar noch guter Dinge. Ich wusste ja, was mich zurück bei dir erwarten würde, ich kannte es, es war mir so gut vertraut, auch wenn es schrecklich war. Eine Alternative sah ich nicht im Geringsten.

    Kaum angekommen, verflog meine gute Laune. Du hast mich angeschrieen, wofür ich denn noch so lange brauchen würde. Dann wurde ich wieder ins Auto verfrachtet, mit mir habt ihr nicht geredet. In diesem Moment fühlte ich mich so richtig wie Vieh, das man einfach irgendwo hin schafft und seinem Schicksal überlässt. Ich saß auf der Rückbank und fühlte mich komplett willenlos. War das mein Leben? War es das, wie es jetzt für immer weiter gehen sollte? “Zu Hause” angekommen hast du mir verkündet, dass ich ab jetzt jeden Monat zwei Wochen in einer anderen Stadt zu arbeiten hätte, das würde ja mehr Geld bringen. Das war sie also, deine “Liebe”.

    Dann seid ihr wieder gegangen, mich hattet ihr ja “abgestellt”. War das wirklich alles? Wenige Tage später bist du mit Kumpels weggeflogen. Klar, dafür war ja Geld da, wenn man “seine Frau” jeden Tag in den Puff schickt. Die Nacht davor hast du mich kaum schlafen lassen, weil du selbst nicht schlafen konntest. Hast mir ins Ohr gepustet oder einen feuchten Finger ins Ohr gesteckt, das war ja so lustig. Im Vergleich zu den Dingen, die du sonst mit mir gemacht hast, war es tatsächlich noch nett.

    Ich bin wieder in den Puff gefahren und dort brachen alle Dämme. Ich konnte nicht mehr aufhören, zu weinen. Also vertraute ich mich meiner Schwester an. Ich packte alle Sachen in meinem Zimmer, gab meinen Schlüssel ab, fuhr “nach Hause” und wartete darauf, dass ich geholt werden würde.

    So begann meine Flucht in die Freiheit. Heute bedeutet Freiheit für mich, nicht nur nicht mehr jeden Tag im Puff zu sitzen und kein soziales Leben außerhalb zu haben. Freiheit bedeutet vielmehr, meine Haare so tragen zu können, wie ich will – und nicht wie die Lieblingspornodarstellerin meines Zuhälters.Die Kleider zu tragen, auf die ich Lust habe.

    Meinen Körper zu lieben, statt mir anzuhören, dass ich mir die Brüste machen lassen soll, weil “meine Titten viel zu klein” wären. Eine eigene Meinung haben zu dürfen und diese auch zu äußern – nicht zu schweigen, weil ich ja sowieso “nur eine Frau” bin. So laut zu lachen, wie ich will, einfach weil ich es kann. Die Sonne auf der Haut zu spüren und sie nicht nur durch das Fenster im Bordell heraus strahlen zu sehen. Mich in den Jahren nach der Prostitution weitergebildet zu haben, heute eine Karriere zu haben. Mich nach der Prostitution mit zwei Jobs gleichzeitig abgeschuftet zu haben, aber heute schuldenfrei sein – ohne, dass mich jemals wieder jemand für Geld anfassen durfte. Jemand gefunden zu haben, der mir gezeigt hat, was Liebe wirklich bedeutet – Jemand, der mich nie ändern wollen würde.

    Dese Freiheit- oder was auch immer Freiheit für jede einzelne von uns bedeutet – will ich für jede einzelne Frau da draußen. Deshalb ist es vielleicht die größte Freiheit von allen, heute das Vergangene aufgearbeitet zu haben, mit dem Netzwerk Ella Verbündete gefunden zu haben, und dem System, das mich kaputt machen wollte, den Kampf angesagt zu haben. Wir hören nicht auf zu kämpfen, bis dieses widerwärtige System zerstört ist und jede einzelne Frau diese Freiheit hat.

    Erst, wenn jede einzelne von uns frei ist, erst dann sind wir wirklich frei.

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