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OnlyFans: der moderne SMS-Chat?

    Autorin: Ronja //

    Neulich habe ich auf VICE einen Artikel namens „Dieser Typ verdient als OnlyFans-Account-Manager mehrere 10.000 Euro im Monat“ gelesen und fühlte mich sofort unangenehm an meine 2,5 Jahre im SMS-Chat erinnert. Moment. Wie hängt das eine mit dem anderen zusammen?
    OnlyFans, diese Plattform, auf der viele weibliche Nutzerinnen erotischen bis pornografischen Foto- und Video-Content gegen Zahlung von ihren „Fans“ veröffentlichen? Und SMS-Chat? Jüngere Lesende hier fragen sich vielleicht gar, was das überhaupt war…Deshalb folgt nun erst ein Blick in die Vergangenheit.

    Anfang 2006 bin ich in die Prostitution geraten und erst 2017 sollte mir der endgültige Ausstieg gelingen. Von Mitte 2006 bis Ende 2008 zählte aber auch noch etwas anderes als die Prostitution, wie man sie sich vorstellt, zu meinen Berührungspunkten mit all den schädlichen Arten, durch die Sex zur Ware/Dienstleistung erklärt wurde und wird: der SMS-Chat.Ich bin durch meinen damaligen Partner da reingeraten und für eine Weile war ich sogar selbst Betreiberin unseres Chats.
    Aber was ist/war denn jetzt ein SMS-Chat?Vor vielen Monden hatte noch nicht jeder (potentielle) Freier Flatrates und High Speed Internet zur Verfügung. Stattdessen gab es Telefonsex-Hotlines. Und eben auch sogenannte SMS-Chat-Services.Der Kunde zahlte 1,99 je SMS für diesen Premium-SMS-Dienst. Wenige in dem naiven Glauben, dass da eine willige Frau mit ihm simst und ebenso 1,99 je Nachricht ausgibt. Oder, und das traf weit häufiger zu, das System dahinter bekannt war, aber Mann die 1,99 Euro gern ausgegeben hat, um dafür Sexting zu betreiben und explizite MMS zu erhalten (quasi das Foto-Sende-Tool vor Smartphones ;)).
    In der Realität saßen sogenannte Animateure, Menschen wie mein Ex und ich, den ganzen Tag vor dem PC und bekamen dort, eingeloggt in eine Chat-Software, die SMS der Kunden auf den Monitor. Inklusive Verlauf, Steckbrief der Persona, die man darstellt, bereits gesendete Bilder und Notizen.
    Für die MMS wurden Bilderpakete, zumeist aus Osteuropa, gekauft. Das waren manchmal Unterwäsche-Shootings, manchmal eine Nude-Serie oder auch explizite Fotos von Genitalien und Geschlechtsverkehr.Und ich habe mich auch damals schon gefragt, ob die Frauen in den Bildern das alles freiwillig machten und/oder überhaupt davon wissen, was irgendwo in Deutschland mit diesem Bildmaterial passiert. (Nämlich dass sich ein Typ, der 1,99 für die „MMS-Zustellung“ ausgibt, sich darauf einen runterholt…)It fucked my mind.
    [TW für den nächsten Absatz: sexualisierte Gewalt!]……Und dann waren da die Erzähl-Typen. Entweder hatten die noch kein MMS-fähiges Handy oder es war einfach ihr Ding. Und mein „Job“ war es, sie immer zum Weiterschreiben zu animieren. Und dabei kamen mir Typen unter, die davon faselten, eine Frau in eine verlassene Waldhütte zu schleppen, sie zur Besinnungslosigkeit mit Wodka abzufüllen und dann zu „benutzen“ ohne dass sie vorher wüsste, was das genau heißt. Oder solche mit der Fantasie, eine Frau solange unter Wasser zu drücken, dass Überleben wirklich als Glücksspiel provoziert werden soll.Was willst du da machen? Ist ja alles nur Fantasie, aber es kriecht in deinen Kopf.Schlussendlich habe ich mir eingeredet, dass ich als „Blitzableiter“ fungiere, in dem Denken: solange er das HIER ablässt, macht er es nicht real – denn ich selbst war ja damals auch noch mit der „’Sexwork’ verhindert reale Übergriffe“ – Denke verblendet. Heute weiß ich, dass das genau der FALSCHE Ansatz war.And it fucked my mind…….[TW Ende]
    Und das waren die Extreme. Aber der Durchschnitt war im Prinzip schon extrem, gerade wenn ich bedenke, dass ich oftmals 12 Stunden am Stück vor diesem Bildschirm sitzen musste, auf dem mir ständig die eingetroffenen Nachrichten angezeigt wurden. Abwertungen von Freundinnen/Ehefrauen, Beleidigungen, wenn der „Content“ nicht mehr befriedigend genug war, Typen, die man heutzutage als Incels bezeichnen würde, immer neue Kinks und Fetische die mich dazu gezwungen haben, mir pornografisches Material anzuschauen, das mir in einem Leben ohne Prostitution und SMS-Chat wohl nie begegnet wäre…das war Alltag.It fucked my mind.

    Ach, aber das Geld! Dafür hab ich das doch gemacht, oder? Gut leben, in Saus und Braus, mit easy Arbeit von Zuhaus!Nein!
    Ja, manchmal habe ich ganz gut verdient. Aber es gab existenziell gefährliche Flautezeiten und nötige Investitionen (Werbung für den Chat, Bilderserien). In der Prostitution war es manchmal ja ähnlich. Erst habe ich geschaut, ob ich neues Makeup, Dessous oder Schuhe benötige, damit auch der nötige nächste Freier hoffentlich zufrieden sein wird und zahlt – und dann erst daran gedacht, den Kühlschrank zu füllen. Und dass ich nach einer 12-Stunden-SMS-Chat-Schicht und nach jedem Freier ordentlich gesoffen habe/saufen musste, ging auch ins Geld.
    Aber wie komme ich jetzt bitte auf OnlyFans?In „woken“ Kreisen wird „sexwork“ ja als Empowerment verstanden und „Mädels“, die sich „nicht mal anfassen lassen“ (bitte bedenkt, dass ich hier durchaus immer mal auf Freier-/ Konsumenten-Sprech und Denke zurückgreife, denn es sind diese Männer, die wir einfach in den Fokus nehmen müssen!) sind ja wohl besonders clever, oder?Wenig Gefahr aber ein easy Einkommen mit einer sexy Bilderserie alle paar Tage? Nein!
    Ich will mich hier zu den Gefahren von OnlyFans nicht allumfassend äußern, sondern zu diesem Artikel, den ich eingangs schon erwähnte: https://www.vice.com/…/interview-mit-onlyfans-account…

    Ich halte das quasi für ein modernes Revival des SMS-Chats.
    Warum? Der Typ „managed“ also die eintreffenden Nachrichten von zahlenden „Fans“, erhält eine Illusion aufrecht, beschafft zugeschnittenen Content.Ja, okay, die Person hinter dem Profil ist dann ja bestenfalls echt. Aber wie lange noch? Ich ahne, dass heute schon auf OnlyFans die neue Generation von „Animateuren“ ganz ohne reale Person dahinter aktiv und erfolgreich ist.
    Und Grenzen? Er sagt im Interview: „Jeder Mensch hat Grenzen. Deswegen frage ich die Models auch immer zuerst, wie weit sie auf Plattformen wie OnlyFans gehen würden und was sie alles zeigen wollen.“Schön und gut. Aber gerade, wenn noch ein „Manager“ dazwischen steht, wird sich das eher schneller als langsamer ändern. Und das ist eine allgemeine Gefahr.
    Ich hatte auch bestimmte Grenzen in der Prostitution. Aber die Zeit prägt. Je länger Frau „im Geschäft“ ist, umso mehr sieht sie sich durch den Freier-/“Fans-“/Konsumentenblick und oft verschlechtern sich auch die Lebensumstände (statt des Märchens der reichen, horny Hure, die ihre Honorare für Markenhandtaschen ausgibt) und schließlich bietet man doch immer mehr an, was eigentlich mal tabu war. Im SMS-Chat habe ich allzu heftige BDSM-Kunden anfangs an meinen Ex abgegeben – bis wir uns nicht mehr leisten konnten, auch nur einen Kunden zu verlieren, weil man nicht zeitnah antwortet.

    Einen „OnlyFans-Account-Manager“ zu haben, der dir vielleicht sagt: „Hey, 75% deiner Abonnenten wollen DIESEN Fetisch. Und wenn du es mal ganz harmlos probierst…?“ und das bei dem Konkurrenzdruck auf der Plattform – Ich brauche meine Fantasie da nicht…
    Makaber im Artikel ist auch das Honorarmodell dieses „Managers“: eine fixe monatliche Gebühr von 2.500 Euro (!) und ein dreistes Kommissionsmodell, dass sich bei 50.000 Euro sogar zum Negativgeschäft für seine Auftraggeberin entpuppt. Stell dir vor, du nennst dich „Manager“ von irgendwas, ein Medium in Deutschland veröffentlicht dein Interview und keinem fällt deine dreiste Mathematik auf..!Aber dann eben: solche krassen Zahlenjonglagen und Abzocken innerhalb des Milieus sind eben auch immer schon da gewesen, auch im SMS-Chat und eigentlich sollte das auch aufhorchen lassen, wenn es doch angeblich ein normaler Job sein soll.
    Und zum Schluss: hier schreibt ja ein Typ als OnlyFans-Account-Manager. Auch im SMS-Chat gab es mehr männliche Animateure. Ich gehörte zur weiblichen Minderheit, die diesen „Job“ zumindest länger als ein paar Wochen ausgehalten hat.
    Und auch der OnlyFans-Manager sagt über seinen Job den denkwürdigen Satz: „Wenn sie ihre Nachrichten und Anfragen wirklich selbst beantworten müssten, würden sie den Typen in bestimmt 99 Prozent der Fälle sagen, dass sie sich verpissen sollen.“ Zeigt uns das was?Ja!
    Aber es zeigt nicht, dass doch „sexwork“ bitte „gender neutral“ sei oder so!Denn wir reden hier in beiden Fällen von Kerlen, die sich für den Job als Frauen ausgeben. Das heißt, dass natürlich auch ihr male gaze auf eine verrückt-verzerrte Art den male gaze der Freier/Konsumenten bedient, bestätigt und prägt.
    Und es heißt, dass wir Frauen es in allen Lebensbereichen auch mit Typen zu tun haben, die Freier sind, oder OnlyFans-Abonnenten oder damalige SMS-Chat-Kunden. Männer, die schlimmstenfalls dadurch so abgestumpft sind, dass sie Frauen, stark vereinfacht gesagt, in „tabulos und käuflich“ (ohne Sorgen um die Freiwilligkeit…) und „prüde, aber taugt als Ehefrau“ kategorisieren.Wollen wir in einer Gesellschaft leben, die diese Folgen auf Konsumentenseite ausblendet und „sexwork“ auf der anderen Seite gar als Empowerment verklärt?Ich sage: Nein!
    Prostitution, Telefonsex, SMS-Chat, Porno-Seiten….. OnlyFans: Nein!
    Stattdessen wünsche ich mir für das Jahr 2022 sehnlichst das Nordische Modell, das ja unter anderem auch die Säule der antisexistischen Erziehung beinhaltet. So dass die Jungs von heute bereits lernen, dass es nicht okay ist, morgen Frauenkörper als Ware in irgendeiner Form zu betrachten.Und Mädchen von heute davor bewahrt werden, dass OnlyFans und/oder Prostitution ihr Bild von Männern und Sexualität genauso zerstört, wie es Prostitution und SMS-Chat bei mir taten.

    (c) Ronja

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