Autorin: Jara Anouk //
Der Text einer anderen Ella hat mich dazu inspiriert oder besser ermutigt, mich mit der Verantwortung der Medien in Bezug auf Reportagen über das Rotlichtmilieu zu beschäftigen beziehungsweise zu äußern. Ich selbst war eine Akteurin in mehreren Reportagen mit verschiedenem Inhalt, aber in der Tat jedes Mal mit der Botschaft: „Alles ist freiwillig, alles ist Zucker, ein ganz normaler Job, mit dem sich gutes Geld verdienen und ein tolles Leben führen lässt.“ Fakt aber ist: Es war alles Fake. Anhand einer Reportage mit mir als Domina – als solche habe ich tatsächlich damals begonnen -, an dieser Stelle ein Beispiel zur Verdeutlichung: Gedreht wurde in einem Studio, das ich nicht kannte, mit einem Sklaven, der zuvor noch nie bei mir gewesen war. Darum gekümmert hatte sich die Fernsehproduktionsfirma. Immer gefragt in solchen Reportagen: Ein privater/persönlicher Einblick ins Leben einer Protagonistin. Ich gebe zu, um jenen habe ich mich bemüht, allerdings war der Produktionsfirma klar, dass jener private Einblick in mein Leben nur Show ist. Gedreht wurde in einer Wohnung, in der ich nicht lebte, mit einem Hund, der nicht meiner war und einer besten Freundin, die ebenfalls aus dem Milieu stammte, die ich allerdings kaum kannte. Die Realität, mein echtes Leben sah damals allerdings so aus: Ich reiste jede Woche in eine andere Stadt und lebte in den Appartements, in denen ich auch arbeitete. Eine eigene Wohnung hatte ich nicht mehr. Längst schon arbeitete ich nicht mehr ausschließlich als Domina, sondern als Prostituierte, Camgirl, Stripperin, Pornodarstellerin und auf Pornopartys. Feiertage wie Weihnachten, Ostern oder Geburtstage gab es nicht, geschweige denn Freizeit. Ich hatte 24/7 für die Gäste erreichbar zu sein.
Das in der Reportage verkörperte Bild der starken, selbstbewussten und freien Sexarbeiterin mit Freunden, Geld und Freizeitspaß war eben auch ganz genau nur das: ein Bild, eine Fiktion, ein Schauspiel.
Jener Bericht einer Ella hat mir nun einmal mehr deutlich vor Augen geführt, was derart positive und weichgespülte Darstellungen in Medien bei Frauen und Mädchen auslösen können. Es berührt und beschämt mich, dass ich womöglich dazu beigetragen habe, ein vollkommen verklärtes Bild der Prostitution zu vermitteln. Umso mehr bewegt es mich nun dazu, deutlich klarzustellen, dass das Gezeigte Schein ist und nichts mit der harten Wirklichkeit im Milieu zu tun hat. Zumindest war das bei mir der Fall und mit Sicherheit bin ich kein Einzelfall. Warum ich da mitgespielt habe? Weil ich für meinen Loverboy/Zuhälter alles tun sollte/musste, was irgendwie Geld einbringt und in gewisser Weise zu Bekanntheit führt, folglich zu mehr Gästen und dementsprechend zu noch mehr Geld. Nicht für mich, sondern für sein Leben in saus und braus. Warum ich das mitgemacht habe? Erst aus Liebe, dann aus Angst.
Die gemachte Erfahrung bewegt mich heute allerdings auch dazu, zu hinterfragen, was solche Reportagen überhaupt mit Journalismus zu tun haben? In meinen Augen und nach meiner Auffassung überhaupt nichts. Zumindest wenn man davon ausgeht, dass Journalisten Dingen und Sachverhalten auf den Grund gehen und die Wahrheit herausfinden und darstellen sollen. Doch im sogenannten Trash-TV geht es nicht um Wahrheiten, sondern um Einschaltquoten. Auch Menschen und deren Schicksale spielen keine Rolle. Recherchen dazu, wie es wirklich ist, im Milieu zu arbeiten, sich mit Protagonisten dahingehend auseinanderzusetzen – Fehlanzeige. Ich behaupte sogar beziehungsweise habe selbst erlebt, dass der Gegenteil der Fall ist. Da werden Geschichten konstruiert und gezeigt, die sich ein Redakteur zurechtgelegt hat, weil es den Einschaltquoten dienlich ist. Da wird das Milieu und die Sexarbeit verharmlost, ohne darüber nachzudenken, was das für Folgen nach sich zieht und wem man da womöglich eine Bühne gibt.
Daher richte ich einen eindringlichen Appell an alle Medienschaffenden – vom Sender über Produzenten bis hin zu jedem einzelnen Redakteur, Kameramann und Tonassistenten, der für die Realisation verantwortlich ist: Stellt euch eurer Verantwortung. Geht in euch und stellt euch die Frage, warum ihr einst Journalisten geworden seid! Ich verweise an dieser Stelle auf den Ethik-Kodex des DFJV (1), wenngleich mir auch bewusst ist, das nicht jeder Medienschaffende dort Mitglied ist. Dennoch sollten meiner Meinung nach Redakteure – egal für welches Format sie arbeiten, – an der Wahrheitsfindung und realistischer Darstellung interessiert sein. Sind sie das nicht, sollten sie auf Drehbuchautor umschulen. Denn ich will es hier noch einmal in aller Deutlichkeit sagen: Diese angeblich wahren Reportagen über das Milieu sind nichts anderes als Serien nach Drehbuch. Das Fatale ist allerdings, das sie unter dem Deckmantel einer Reportage gezeigt werden und dementsprechend suggerieren, das das, was gezeigt wird, das wahre Leben der Frauen in der Prostitution ist.
Ganz klar schließe ich mich dem an, was eine Ella vor mir bereits geschrieben hat: Wir brauchen keine Reportagen, Bücher und dergleichen, die das Milieu beschönigen und Sexarbeit als lukrativen Job mit Aufstiegschancen hinstellen. Was wir brauchen, sind Medienschaffende, die klar und deutlich NEIN zum Realisieren solcher geschönten Reportagen sagen und sich klar vom Milieu distanzieren, statt Showbühnen zu schaffen.
(1) https://www.dfjv.de/ueber-uns/ethik-kodex