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Die Basics, Teil 4

    In Teil 2 haben wir darüber gesprochen, wie Sprache Debatten verzerren kann. Als Beispiel haben wir die Begriffe „Zuhälter“ und „Bordellbetreibender“ gegenübergestellt. Hier nochmal zur Erinnerung:

    Als „Bordellbetreibenden“ kann ich mir den freundlichen Nachbarn Peter vorstellen, der mehr oder weniger selbstständigen Frauen Räumlichkeiten bietet, damit diese ihrer Tätigkeit nachgehen können. Wenn ich über Missstände nachdenke, frage ich mich, ob Peter die Räumlichkeiten in Ordnung hält und vielleicht ab und zu auch mit den Frauen spricht.

    Denke ich an den „Zuhälter“ Peter, habe ich ein ganz anderes Bild. Der „Zuhälter“ Peter heißt wahrscheinlich gar nicht Peter, das ist nur ein Pseudonym. Von diesem Peter erwarte ich unechten Charme, um Frauen um den Finger zu wickeln, und dann Gewaltbereitschaft, um sie gefügig zu halten, sobald sie einmal für ihn arbeiten. Emotionale Kälte, sich jederzeit zu „nehmen was ihm gehört“. Wenn ich über Missstände nachdenke, denke ich an Ausbeutung, an Manipulation und Gewalt und Vergewaltigung, an Menschenhandel, Zwangsprostitution und an Minderjährige, denen Peter sagt, sie sollen behaupten sie seien 18. Außer bei manchen Kunden, denen sie ihr wahres Alter ruhig verraten dürfen – da sagt er dann vorher Bescheid.

    Wenden wir uns dieser Rolle in der Prostitution also einmal zu. Wenn man eigene gewaltvolle Erfahrungen mit der Spezies Zuhälter und Bordellbetreiber hat, ist es nicht leicht ist zu verstehen, wieso es Debatten über Bordellbetreibende überhaupt gibt, wieso diese Menschen ganz offen mit Politik und Verwaltung sprechen. Und so aktiv daran mitwirken, wie man am besten mit Prostitution umzugehen hat (Beispiel-Quelle: 1). Jetzt werden einige sagen – Moment, es besteht doch ein Unterschied zwischen einem Zuhälter, der Frauen aus dem Menschenhandel zwangsprostituiert, und einem Inhaber eines Bordells, der einfach nur Räumlichkeiten an Frauen vermietet.

    Ja, natürlich gibt Unterschiede, das Milieu ist nicht homogen und in drei Sätzen beschreibbar.Aber wie bitte rechtfertigt man, dass ein Dritter an der Prostitution anderer Menschen Geld (viel Geld!) verdient?

    Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass eine selbstbestimmte Prostitution möglich wäre, müsste man dann doch erst recht mit allen Mitteln dagegen kämpfen, dass Dritte diese Selbstbestimmung wieder einschränken.

    Also, machen wir uns auf die Suche nach einer Rechtfertigung – irgendeiner halbwegs haltbaren Rechtfertigung für diesen „Job“. Die erste Frage wäre, was dieser Job überhaupt sein soll.

    Es gibt Menschen, die sagen, Bordellbetreibende / Zuhälter seien zum Schutz der Prostituierten da. Es gibt sogar Studien, dass Prostituierte mit Zuhältern weniger Gewalt ausgesetzt seien als ohne. Hier gibt es aber zwei Probleme:

    1) Wie schon im letzten Post angerissen, ist es verbreiteter Teil der Rotlicht-Kultur, dass Prostituierte mehr oder weniger als Eigentum der Zuhälter/Bordellbetreibenden gesehen werden und Gewalt durch diese entsprechend oft nicht als solche erkannt und benannt wird.

    2) Unter Quelle 2 findet ihr ein Video, in welchem (ehemalige) Bordellbetreibende selbst zu Wort kommen. Und siehe da: Es wird völlig selbstverständlich erklärt, man müsse den Frauen vormachen, man würde sie lieben und eine Beziehung mit ihnen führen (ab Minute 47:07). Andi („Karate Andi“), der nicht mehr im Milieu tätig ist, gibt zu: er sei damals „brutal“ gewesen. Und er zeigt sich „bis heute“ verwundert darüber, dass die Frauen dies toleriert hätten. Jeder, der sich ein wenig damit auskennt, was Trauma mit Menschen macht, teilt diese Verwunderung sicher nicht.

    Das sind öffentliche Statements, gemütlich in freundlicher Runde, mit unzensiertem, teils grinsenden Gesicht in der Kamera.

    Frauen manipulieren und „brutal“ sein passt natürlich so gar nicht zu der Annahme, Zuhälter/Bordellbetreibende seien zum Schutz der Frauen da.

    Also suchen wir weiter. Eine weitere, insbesondere seit dem Prostituiertenschutzgesetz verbreitete Idee ist: Bordellbetreibende vermieten vielleicht nur Räumlichkeiten an eigentlich selbstständige Frauen. Ein Beispiel eines solchen Betreibers findet ihr in Quelle 3.

    Er bezeichnet sich selbst als Vermieter, betont wie sauber, freiwillig und legal alles ablaufe – auch wenn er zugibt, die Frauen machen das oft aus Armut heraus. Und: Die Frauen seien alle selbstständig. Im Laufe des Videos wird eine Sexarbeiterin nach den Preisen befragt. Sie nimmt 50€ für 20min, 80€ für 30min und 150€ für 60min. Wie viel muss sie für das Zimmer bezahlen? 135€.

    Hier ein Rechenbeispiel: Angenommen, alle Freier buchen 20min und sie möchte mindestens 100€ mit nach Hause nehmen. Hätte sie keinen „Vermieter“, wären das also 2 Freier und 40min. Jetzt muss sie allerdings 135€ Tagesmiete bezahlen, also mit 3 weiteren Freiern schlafen. Anstatt 40min, 2 Freier und 100% von 100€ zu haben, muss sie 100min lang 5 Freier bedienen und hat am Ende weniger als 50% der verdienten 250€, nämlich nur 115€.

    Mehr als die Hälfte des Geldes abgeben und mit mehr als doppelt so vielen Freiern schlafen zu müssen – ist das selbstständig? Entspricht das dem, was man gemeinhin unter “Vermieter” versteht?

    Was bleibt noch übrig?

    Man kann der Argumentation der Pro-Sexwork-Bubble folgen: Prostitution sei ein ganz normaler Job. Vielleicht kommt man darüber auf die Schlussfolgerung, dass ein ganz normaler Job auch einen ganz normalen Vorgesetzten rechtfertigt.

    Nun, wie bei jedem „normalen“ Job hat man natürlich Tage, bei denen man keine Lust hat auf seinen Job. Keine Lust auf seine Kunden. Und natürlich gibt es Kunden, die man besonders wenig mag. Das gibt sogar die Pro-Sexwork-Bubble zu: „Depending on what you do, your day-to-day work might be taxing in one or more ways. It might be physically hard on your body or emotionally draining. It might be annoying or enraging or exhausting or scary at times. […] Heather took to journaling after bad sessions with clients, whether it was because she felt off her game or because the clients, well, sucked. “Writing helps me recontextualize some fucked up shit as something that could be cathartic or entertaining,” she says.“ (4)

    “some fucked up shit“ klingt so gar nicht harmlos. Erst recht nicht, wenn man sich vor Augen führt, worüber wir sprechen: Menschen, die Sex mit anderen Menschen erdulden, um ihren Kühlschrank zu füllen. Und ggf. natürlich den Kühlschrank ihres Zuhälters oder Bordellbetreibenden.

    Und falls das auch noch nicht gereicht hat: Das Prostituiertenschutzgesetz bestimmt, dass ein Bordellbetreibender rechtlich betrachtet kein Weisungsrecht gegenüber einer angestellten Prostituierten haben darf (§26 ProstSchG).

    Also haben wir einen Beschützer, der „brutal“ ist, einen Vermieter, der mehr als die Hälfte des verdienten Geldes einbehält, oder einen Manager, der formal gesehen eigentlich nicht managen darf.

    Selbst wenn man eine völlig blauäugige, alle-haben-sich-lieb Ponyhof-Vorstellung von Prostitution hat, muss man doch zugeben, dass das keinen Sinn ergibt.

    Wir haben bislang 4 Quellen angegeben, davon geben 2 Brodellbetreibenden eine Stimme und eine weitere stammt ausder Pro-Sexwork-Bubble.

    Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung von Kindern/Jugendlichen in der Prostitution und erschreckend junge Einstiegsalter von Prostituierten auch in Deutschland, Prostitution als Folge von sexueller Gewalt in der Kindheit, Loverboys und andere Konstellationen:Alles Beispiele, die tagtäglich in Deutschland passieren und die ohne Einwirkung Dritter doch gar nicht möglich sind. Trotzdem ist die gesamte Argumentation ohne diese Beispiele ausgekommen, aus einem ganz einfachen Grund: Es gibt keine Rechtfertigung hierfür: Ein Mensch bezahlt für die temporäre Hoheit über den Körper eines anderen Menschen, und dann kommt jemand anderes hinzu und meint, daran mitverdienen zu dürfen.

    Übrigens, nicht alles, was in der Kamera glänzt, ist aus Gold: Unten verlinken wir euch zum Abschluss einen Artikel über die Verurteilung von Rudloff, unter Anderem wegen „Beihilfe zum schweren Menschenhandel“. Rudloff ist eine Zeit lang ebenfalls durch die Medien gehüpft ist und hat am sauberen Image von Prostitution und Bordellbetrieb gearbeitet (5).

    Quellen:

    1) https://www.berlin.de/ba-tempelhof-schoeneberg/politik-und-verwaltung/runder-tisch-sexarbeit/staendige-mitglieder-774695.php?fbclid=IwAR0bbNfDmkRhhWHJnRJlv6qghILJADEF_EoaRJq1_A1vqCRO6DIzAgLE8wA
    2) https://www.youtube.com/watch?v=XQErWAkfCT4
    3) https://www.youtube.com/watch?v=XVM9t6HwNC8
    4) https://www.self.com/story/sex-worker-self-care-kit
    5) https://www.frauenrechte.de/unsere-arbeit/themen/frauenhandel/aktuelles/3701-angeblicher-saubermann-der-prostitution-verurteilt?fbclid=IwAR3nPSeJFNEvcgu07bxVRMXsfWPLXY-jh_T6DMtPSWvXKe7BroAjfs27N24

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