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Wo leben eigentlich Bordsteinschwalben?

    Seit einigen Wochen läuft in Nürnberg die Kampagne “Nachfragen hilft”, die unter anderem die Frage aufwirft, “wo denn die Bordsteinschwalben leben”.
    Es stimmt, Nachfragen hilft. Was jedoch nicht hilft ist das Objektifizieren und Herabwürdigen von Frauen und Auffallen wollen um jeden Preis.
    Zoe und Marlen vom Netzwerk Ella haben daher einen Brief an Oberbürgermeister Dr. Maly und die SPD verfasst. Wir sind auf Feedback gespannt.

    Sehr geehrter Herr Maly,

    wir haben folgende “Quizfrage” auf Plakaten und Postkarten in Ihrer Stadt gefunden:
    “Wo leben eigentlich die Bordsteinschwalben?” Als ehemalige Prostituierte stellen wir Ihnen gerne folgende Antwortmöglichkeiten zur Auswahl:


    a) Frauentorgraben

    b) Nachbarwohnung

    c) Hotel

    Wie meinen Sie, lautet die Antwort der Eltern, wenn ihnen diese vorformulierte Frage von Kindermund gestellt wird? Sie bringt Mütter, Väter, Kinder (die nicht verstehen, warum ihre Eltern gerade keine sinnvolle Antwort geben können), ggf. Lehrer und eigentlich alle Frauen in eine äußerst peinliche Situation.

    Kein Kind und nur die wenigsten Erwachsenen werden ihre Fragen an die genannte E-Mail-Adresse schicken.

    Die wenigsten Menschen werden sich durch diese provokant gestellte Frage tatsächlich mit der Situation von prostituierten Frauen auseinandersetzen, geschweige denn durch die initiierenden Vereine eine realistische Antwort erhalten.

    Wir möchten gerne noch auf das Design eingehen – eine Frau durch eine Corsage zu versinnbildlichen und auf ihren “Zweck” zu reduzieren ist ganz simpel objektifizierend. Was genau eine Kuckucksuhr mit Prostitution zu tun hat, ist uns auch nicht klar. Soll die Frau jede Stunde einmal herauskommen, laut nach Freiern schreien und sich dann wieder verkriechen?

    Mit diesem “klischefreien Denken” wird Prostituierten nicht einmal der Status einer Prostituierten, Hure oder Nutte gegeben, sondern es degradiert uns in den Status eines Tieres. Die Menschenwürde wird uns ehemals und noch aktiv prostituierten Frauen komplett aberkannt. Wollen wir hier das ProstSchG durch das TierSchG ersetzen?

    In Ihre Stadt sind wir vor einiger Zeit aus der Prostitution geflüchtet; sie ist mittlerweile zu unserem neuen Zuhause geworden. Dass ausgerechnet hier jetzt eine solche Aktion gestartet wurde, dass so naiv mit diesem Thema umgegangen wird, erschüttert uns.

    Wir bitten Sie daher inständig, diese Kampagne selbst kritisch zu hinterfragen und am besten zu beenden. Bitte schauen Sie in Zukunft bewusster hin, unter welche Aktionen die Stadt Nürnberg ihren guten Namen setzt.
    Denn auch die anderen beiden Fragen:
    “Papa, wie viel wiegt eigentlich Schwermut?“ und “Ey Alter, wo steht eigentlich diese Karriereleiter?” löst bei psychisch Erkrankten und Obdachlosen bestimmt keine Gefühle von Anteilnahme für deren Situation aus.

    Die Antwort auf unsere eingangs gestellte Frage lautet übrigens: ÜBERALL.

    Prostituierte Frauen sind Mütter, Töchter, Nichten, Schwestern, Tanten und Großmütter. Wir sind Bürgerinnen Ihrer Stadt, die für Sie das Kreuz in der letzten Wahl gesetzt haben!

    Mit freundlichen Grüßen,

    Zoe und Marlen vom Netzwerk Ella, Aktionsgruppe für Frauen aus der Prostitution, und Bürgerinnen Ihrer Stadt

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