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Brief an Frauenministerin Giffey

    Nachdem die Praktikantin von Frauenministerin Giffey uns auf unseren Brief vom Valentinstag mit einem Statement geantwortet hat, das den Status quo der Gesetzeslage in der Prostitution verteidigt, habe ich eine ausführliche Antwort verfasst, um auf die Missstände in der Prostitution aufmerksam zu machen.
    Nun husch husch zur Post, Briefmarke kaufen und ab in den Kasten damit ! (S.)

    Sehr geehrte Frau Giffey,

    vielen Dank für die Antwort auf meinen Brief zum Valentinstag.
    Ich bin Sophie vom Netzwerk Ella, ich war 8 Jahre in der Prostitution, und ich möchte auf die von Ihrer Praktikantin übermittelte E-Mail antworten.
    Natürlich habe ich vom ProstSchG erfahren und finde dieses in Teilen auch gut.
    Es könnte wirklich eine Chance sein, ein wenig mehr gegen Menschenhandel vorzugehen, aber die Betonung liegt hier auf „ein wenig“. Denn in der Realität ist es so, dass keine prostituierte Frau sich gern anmelden möchte.
    Wir vom Netzwerk Ella sind ein Zusammenschluss sowohl von Aussteigerinnen, als auch von Frauen, die noch in der Prostitution sind und die meisten von uns empfinden das ProstSchG als eine Methode, die vor allem dem Staat nützt, der sich damit erhofft, zuverlässiger Steuern eintreiben zu können, die die Prostituierten zu zahlen haben.
    Mir ist bewusst, dass das Gesetz auch gute Seiten hat, aber ich möchte hier erläutern, wie es ankommt und welche Problematik die Legalisierung des Sexkaufs hat.

    Zuallererst ist es zynisch im Zusammenhang von Prostitution von Selbstbestimmung zu sprechen. Ein sehr großer Prozentsatz der sich in Deutschland Prostituierenden sind Armutsprostituierte aus Osteuropa oder aus 3.Welt-Ländern.
    Es ist keine „Selbstbestimmung“, wenn die ökonomische Lage eine Frau dazu zwingt, ihren Körper als Ware anzubieten und zuzulassen, dass Männer, denen es an ausreichend Taktgefühl und sozialer Kompetenz fehlt, auf normalem Wege Frauen kennenzulernen, in ihr Innerstes und Intimstes eindringen zu lassen, nur damit sie und ihre Familien ihr täglich Brot haben. Und das ist noch nicht alles: bei den meisten Frauen steht ein Menschenhändler, Zuhälter oder „Freund“ (=Loverboy) noch hintendran, der von der Prostitution der Frau profitiert.
    Dadurch, dass Deutschland eine solch liberale Gesetzgebung hat, sind wir Attraktionspunkt für Menschenhandel geworden. Dadurch, dass Prostitution als Gewerbe anerkannt wird, ist es sehr schwer, gegen Menschenhändler und Zuhälter vorzugehen, weil Frauen zu verängstigt oder zu abhängig sind, um gegen die Täter auszusagen. Die Polizei kann dies nur bestätigen.
    Nun werden Sie sagen, dass dagegen schon vorgegangen werde, aber man die Freiheit der sich „freiwillig“ Prostituierenden nicht einschränken wolle. Aber auch hier verhält es sich ähnlich. Viele Frauen unterliegen einem ökonomischen Zwang. Studentinnen, Alleinerziehende, Hartz-4-Empfängerinnen und auch andere. Auf der Website https://dieunsichtbarenmaenner.wordpress.com/statistics/ gibt es Statistiken, die das Thema Prostitution sehr gut beleuchten. Viele Frauen leiden an Suchterkrankungen, weil sie es anders nicht ertragen. Außerdem gibt es auch Zahlen dazu, dass die Mehrzahl der Frauen regelmäßig im „Job“ vergewaltigt wird und auch mit posttraumatischen Belastungsstörungen durch den „Job“ zu kämpfen hat. „Job“ deshalb in Anführungszeichen, weil es Hohn ist, bei all der Gewalt von Job zu sprechen. Es ist Missbrauch, wenn eine Frau bezahlt wird, mit einem Mann zu schlafen, auf den sie keine Lust hat. Man spricht auch von Vergewaltigung, wenn eine Frau dazu genötigt wird, mit einem Mann zu schlafen, den sie eigentlich gar nicht will.
    Denken Sie wirklich, all diese Frauen haben einen so unstillbaren Hunger auf Sex, dass sie Freude daran haben, mit bis zu 20 Männern täglich unpersönlichen Sex zu haben? Würde das in Ihnen nicht auch etwas kaputt machen, wenn Sie sich vorstellen, dass Sie bezahlt würden, um wie ein Stück Fleisch, eine Ware, benutzt zu werden und der „Kunde“ sich dann auch noch beschwert oder rabiat wird, wenn ihm nicht passt, dass Sie über Schmerzen klagen, wenn er Ihnen gewaltvoll versucht, sein Glied in jegliche Körperöffnungen zu stecken?
    Für Freier ist es meist Konsens, dass Prostituierte anatomisch anders gestrickt sind, als „normale“ Menschen. Sie haben keine Nerven. Sie spüren keine Schmerzen und wenn doch, dann finden die meisten das auch noch geil.
    Es tut mir sehr leid, Sie mit diesen plastischen Darstellungen konfrontieren zu müssen, aber ich möchte Sie eindringlich bitten, hinzusehen. Prostitution ist Leid. Nur ein winziger Prozentsatz der Frauen leidet nicht, oder gibt zumindest vor, nicht zu leiden. Als wir noch in der Prostitution waren, gaben wir auch vor, das sei normal für uns. Wir ergötzten uns an der vermeintlichen ökonomischen Freiheit, die wir besaßen und mussten uns nach jedem „Arbeitstag“ mit Alkohol, Drogen, Shopping oder Essen „belohnen“. Wir mussten den Schmerz, der unserem Körper und unserer Seele zugefügt wurde zur Seite schieben, dissoziieren, auf Autopilot funktionieren. Die Gewalt war „okay“ für uns, weil wir es anders gar nicht ertragen hätten. Die meisten von uns waren die Gewalt auch schon gewöhnt.
    Über ie Hälfte aller Prostituierten hat schon vor Einstieg in die Prostitution sexuellen Missbrauch erlebt. Viele sind vergewaltigt worden. Viele kommen aus dysfunktionalen Familien, sind ohne Liebe aufgewachsen. Durch Missbrauch und Vergewaltigung haben wir die Dissoziation erlernt. Ein Vorgang, der sich bei traumatischen Erlebnissen einstellt, Geist und Körper werden getrennt. Man verliert den emotionalen Bezug zu sich selbst, um überleben zu können und nicht an dem Schmerz zu Grunde zu gehen.
    Ich persönlich wurde mit 2 Jahren sexuell missbraucht, mit 11 ging es weiter und mit 14 wurde ich vergewaltigt. Dadurch war ich schon so auf sexuelle Gewalt konditioniert, dass die Prostitution, in die ich mit 14 einstieg, sich wie ein „Aufstieg“ anfühlte, weil ich endlich für die Gewalt entschädigt wurde. Bis zu meinem Ausstieg vor 2,5 Jahren habe ich mich zwanghaft prostituiert, selbst wenn es keinen akuten ökonomischen Zwang gab, weil die Traumafolgen mir einen Zwang der Reinszenierung und Retraumatisierung auferlegten, den ich nicht ohne Weiteres beenden konnte.
    So geht es etwa 60% aller Prostituierten, ich meine, dass so viele mit ähnlichen Mechanismen funktionieren. Zahlen, Daten und Fakten finden Sie auch hierzu bei „unsichtbaremaenner“ („wo Sie im Übrigen auch über 350 Freierzitate aus Freierforen finden können, die zeigen, wie entmenschlichend Sexkäufer von Prostituierten sprechen),
    http://prostitutionresearch.com/ , https://linke-gegen-prostitution.de/ , außerdem empfehle ich, einfach mal bei Google zu recherchieren, Huschke Maus Texte zu lesen und sich mit dem Thema zu befassen.
    Vor allem bitte ich Sie, sich mit dem Nordischen Modell zu beschäftigen, das uns Frauen aus der Prostitution einfach massiv helfen würde. Hierbei wird nämlich das Stigma von Prostituierter auf Freier übertragen, Frauen beim Ausstieg geholfen und jeder, der von der Prostitution der Frauen profitiert, wird bestraft. Wenn man Sexkauf als Gewalt anerkennt, bietet sich endlich auch eine Handhabe, um gegen Menschenhandel vorzugehen, weil die Aussage eines zu verängstigten oder abhängigen Opfers dank objektiver Indikatoren gar nicht mehr nötig ist. Ich finde vor allem die Aufklärung und Ausstiegshilfen im Nordischen Modell wichtig, weil das Frauen wirklich hilft. Auch die Entkriminalisierung der Frauen, wie sie das Nordische Modell vorsieht, ist wichtig, weil es aktuell ja so ist, dass Frauen eher Angst vor Polizei und Finanzamt haben, weil massive Strafen und horrende Steuerschätzungen warten, wenn eine Frau nicht einsieht, den Staat an ihrem Missbrauch mitverdienen zu lassen. Wir haben einige Mitfrauen, die von sehr rabiaten und ungerechtfertigten Methoden berichten können.
    Ich bitte Sie: Befassen Sie sich mit der Materie. Für Fragen oder auch zu einem persönlichen Gespräch stehen wir gern zu Verfügung.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Sophie & Netzwerk Ella

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