Autorin: Sophie //
Ich bin Sophie vom Netzwerk Ella, einer Interessensvertretung für
Frauen aus der Prostitution, die sich für das Nordische Modell einsetzt.
Vor drei Jahren habe ich den Ausstieg geschafft, nachdem ich von meinem
14. bis zum 22. Lebensjahr in der Prostitution war.
Wir vom
Netzwerk Ella waren oder sind alle selbst in der Prostitution und haben
erkannt, dass der Kauf von Sex Gewalt ist. Aus diesem Grund fordern wir
ein Sexkaufverbot und Ausstiegshilfen für Frauen, die aktuell in der
Prostitution sind, sowie gesellschaftliche Aufklärung und die
Entkriminalisierung der prostituierten Frauen.
Von der Pro-Prostitutionslobby wird uns im Zuge dieser Debatte häufig vorgeworfen, dass wir uns für eine Kriminalisierung der Prostituierten einsetzten, was ein unsolidarischer Akt sei. Dieser Vorwurf ist schlichtweg falsch und nichts weiter als ein Schachzug aus der Trickkiste der Schwarzen Rhetorik. Das Gegenteil ist der Fall: Das Nordische Modell ist die Entkriminalisierung der prostituierten Frau (Männer sind natürlich mitgemeint!) und im Gegensatz dazu ist die legalisierte Prostitution ihre Kriminalisierung. Warum das so ist, möchte ich anhand von einigen Beispielen erklären.
Häufig
argumentieren Freier, Prostitutionsprofiteure oder aber auch
Prostituierte selbst, dass die Prostitution ein Job wie jeder andere sei
und ihre Stigmatisierung das größte Problem. Alle Probleme, die
Prostituierte in der Gesellschaft hätten, seien auf das Stigma
zurückzuführen und das müsse man dadurch beseitigen, dass man
Prostitution endlich als normale Profession behandle.
Aber denken wir doch einmal darüber nach, wie sich das in der Praxis denn äußern würde…
In Betrieben und Fabriken gibt es in der Regel Vorschriften zu Arbeitszeiten, Pausen, Hygieneregelungen etc. .
Wenn eine Prostituierte ihren „Job“ nun also so ausführen soll, wie
jeden anderen auch, dann müsste man ihr ja eigentlich die Vorgabe
machen, dass sie acht Stunden täglich mit einer halben Stunde Pause
arbeitet und sich an gewisse Vorschriften hält, die die Hygiene
betreffen. Als Beispiele fielen mir hierzu ein, das Bettlaken nach jedem
Freier zu wechseln, diesen Akt zu protokollieren, die Türklinken
täglich zu desinfizieren, den Mülleimer regelmäßig zu leeren, die
verbrauchten Kondome zu protokollieren und eigentlich auch, die
Klarnamen der Freier zu erfassen, um sie im Falle eines geplatzten
Kondoms und einer im Zusammenhang damit eingefangenen
Geschlechtskrankheit haftbar zu machen. Oder um ein neueres Phänomen zu
benennen: eigentlich bräuchte die Prostituierte einen kleinen tragbaren
„Kassenautomaten“, der zuverlässig erfasst, dass sie auch ja keine
Einkünfte am Finanzamt vorbeiwirtschaftet und steuerlich eventuell sogar
absetzbare Bons für ihre Freier druckt. Wer das liest, wird die
Nachtigall nun trapsen hören und sich an totalitäre, autoritäre und
explizit misogyne Regime erinnert fühlen.
Als ich damals mit 19
meinen einzigen Ausweg aus der Prostitution darin sah, für meinen
damaligen „Freund“ schnellstmöglich 30.000€ anzuschaffen, damit er sich
eine Autowerkstatt kaufen kann, in der ich dann als Sekretärin arbeiten
sollte (Ja! Ich war naiv und schwer verliebt, seufz…), bewarb ich mich
in verschiedenen Bordellen in der Schweiz, weil man dort wohl mehr
verdienen solle. Im Zuge dessen, dass ich Informationen über die
Schweizer Verhältnisse einholte, wurde mir eben auch von den streng
kontrollierten Hygienestandards erzählt. Angeblich sei eine Küchenrolle
neben dem Bett pflicht und auch die Putzvorgänge würden kontrolliert.
Eine solche Art und Weise wäre absolut nicht wünschenswert (zumindest
schockte mich das damals), aber vollkommen normal, wenn man an der Beruf
der Physiotherapeutin oder der Krankenpflegerin denkt. Hier stört es
niemanden, dass die Angestellten spezielle Desinfektionspraktiken
vornehmen müssen, teilweise mit Mundschutz arbeiten, Schutzkleidung,
Unterlagen etc. .
Dabei ist der Kontakt in der Prostitution viel
intimer. Körperflüssigkeiten werden ausgetauscht, Schleimhäute berühren
einander, reißen ein, bluten manchmal. Der einzige Schutz ist eine
milimeterdünne Latexschicht, die von den meisten Männern noch nicht
einmal erwünscht ist. Teilweise sogar verweigert wird. Im Freierforum
ao-huren.to berichten Freier täglich darüber, wie sie Prostituierte, die
keinen Service ohne Kondom anbieten, dahingehend manipulieren oder
vergewaltigen, dass sie gegen den Willen der Frau in sie
hineinejakulieren. Das ist gefährlich und absolut menschenfeindlich. Die
im 2017 beschlossenen ProstSchG angeordnete Kondompflicht, die ich,
auch wenn das ProstSchG insgesamt durchaus zu kritisieren ist, sehr gut
finde, wird jedoch von „SexarbeiterInnen“vereinen stringent abgelehnt,
weil sie die sexuelle Freiheit der Frau einschränke. Dabei ist sie
nichts anderes als eine logische Konsequenz eines legalisierten Systems.
In einem Staat wie Deutschland greift der Staat nunmal ins Arbeitsrecht
ein und regelt den Rahmen einer Tätigkeit.
Zusätzliche
Hygienemaßnahmen wären also für einen penibel bürokratischen und bis ins
Detail regulierten Staat wie Deutschland, bei einem „Job wie jedem
anderen“, selbstverständlich. Dass dies aber nicht gewünscht wird, ist
Beweis, dass der Verkauf sexueller „Dienstleistungen“ eben kein „Job wie
jeder andere“ ist. Die Frau zu übermäßiger Hygiene zu zwingen, wäre
stigmatisierend. Es wäre wie im Dritten Reich. Denn nicht die Frauen
sind die, die unhygienisch sind oder von Haus aus Krankheiten haben. Es
sind die Freier, die stinken, ungewaschen sind, Krankheiten haben und
weder einsehen, Körperpflege zu betreiben, noch ein Kondom zu verwenden.
In diesem Falle dann die Frau für die Hygiene verantwortlich zu machen,
wäre misogyn.
Wenn aber nun die Behandlung eines Berufs als ein
Beruf wie jeder andere stigmatisierend ist, wie kann es dann ein Beruf
wie jeder andere sein?
Damit komme ich zum nächsten Punkt, den Sperrbezirken. In einem legalisierten System muss geregelt sein, wo Prostitution stattfinden darf und wo nicht. Die Stadt München besteht beispielsweise aus 80% Sperrbezirk, hat aber mit eine der höchsten Dichten an Prostitution. Dies liegt nicht nur daran, dass es große und viele Bordelle gibt. Es liegt auch daran, dass ein großer Teil der Prostitution in München illegal stattfindet. Weil München wohl die Stadt in Deutschland ist, in der man als Prostituierte am besten verdient, habe ich dort auch immer wieder gearbeitet. Im Stadtzentrum, also auf deutsch, im Sperrbezirk. Wäre ich erwischt worden, hätte ich eine Geldbuße zahlen müssen. Ich weiß nicht, ob es das ist, was die „SexarbeiterInnen“verbände möchten. Für mich als Prostituierte waren Verbote, Regeln und Regulierungen oder Vorgaben immer belastend. Für mich war es belastend, wenn ich wusste, dass ich etwas tue, das mich Geld kostet, wenn ich erwischt werde, weil ich dann noch mehr Sex haben muss, den ich eigentlich gar nicht möchte, um das zu bezahlen. Außerdem war es belastend, zu wissen, dass ich unerwünscht war und eine „Gefahr für Kinder“. Denn darum geht es ja bei den Sperrbezirken. Da ist mir doch die Freierbestrafung wesentlich lieber. Hier muss nicht ich die Strafe zahlen, wenn ich erwischt werde. Der Freier muss sie zahlen. Denn wegen ihm bin ich ja überhaupt an einem Ort, in einem Hotel oder seiner Wohnung, in einer Agenturwohnung oder whatsoever, wo ich gar nicht sein MÖCHTE. Was ich wirklich MÖCHTE, sind 200€ die Stunde und möglichst meine Ruhe.
Naja, und dann sind da noch die Steuern. Eine Bundestagsabgeordnete hat mir vor kurzem erklärt, dass der Staat von Prostituierten Steuern nimmt, weil sie ihn eben so viel kosten. 2/3 der prostituierten Frauen gehen aus der Prostitution mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung mit dem Ausmaß derer eines Kriegsinvaliden oder Folteropfers. 70% der Prostituierten leiden an Depressionen. Viele sind abhängig von Psychopharmaka, Drogen und Alkohol und beanspruchen Therapien (sofern sie überhaupt gezahlt werden), Psychiatrieaufenthalte, Hilfe durch Sozialarbeiter, etc. Sie sind somit eine Risikogruppe, die den Staat besonders viel kostet. Das kann ich ja irgendwie nachvollziehen, aber ich finde, dass dies Kosten sind, die nicht ich zahlen sollte, sondern der, der mich in diese Situation bringt, all diese Hilfen überhaupt zu brauchen. Wenn ich nach einem Freier, der mir gerade einen besonders krassen Hatefuck verpasst hat, wegen eines Nervenzusammenbruchs in die Psychiatrie muss, dann muss ich im legalisierten System trotzdem die Steuer dieses Termins abführen. Ich muss also qua deutscher Rechtslage dafür bezahlen, dass ich gerade psychisch und physisch fertiggemacht worden bin. An dieser Stelle frage ich mich, ob dies nicht eher der Freier bezahlen sollte. Oder teilweise vielleicht auch die Agentur, die mir diesen Freier vermittelt hat. Anzeigen kann ich den Freier ja nicht. Schließlich habe ich ja eingewilligt, gegen Geld mit ihm zu schlafen und dafür, wie hart der Sex sein darf, gibt es ja keine juristische Definition. Sollte man vielleicht so eine auch noch einführen? Wenn Sexkauf schon staatlich geregelt sein soll, dann doch bitte ganz?
Dann komme ich zu einem Punkt, den das Stigma betrifft. JA, das Stigma ist schrecklich. Ich hasse es selbst, als (Ex-)Prostituierte so stigmatisiert zu sein. Aber ist es wirklich der richtige Weg, das Stigma aufzulösen, indem man Prostitution als einen „Beruf“ wie jeden anderen bewirbt? Huschke erwähnt diesen Punkt immer wieder. Wenn es denn ein Beruf wie jeder andere ist, wieso sollte das Jobcenter Frauen nicht in den Puff vermitteln dürfen? Warum gab es so eine wahnsinnige Welle der Empörung, als das Jobcenter Augsburg eine Frau als Bardame in den FKK Club Collosseum vermittelt hat? Hier hört für mich der ewige Vergleich des Lohnarbeiters, der zwecks seiner prekären Lage zu minder bezahlten Jobs gezwungen ist, mit der Lage der Prostituierten auf. Diese Fälle divergieren in einem Ausmaß, bei dem ich es vermessen finde, dass sexworksupportende Studenten, die ein paar Marx-Zitate auswendig gelernt haben, sie immer wieder anführen. Der Lohnarbeiter hat ein 40fach geringeres Sterberisiko als die Prostituierte und außerdem, um das noch einmal anzuführen, bekommt er von seinem Beruf nicht mit 68%iger Wahrscheinlichkeit eine Posttraumatische Belastungsstörung von seiner Tätigkeit.
Das sind nun ein paar von einigen Argumenten, warum die Legalisierung der Prostitution eigentlich ihre Kriminalisierung ist. Auch wenn es Stimmen gibt, die das Gegenteil behaupten.
Für mich als Prostituierte war es jedenfalls so, dass ich mich nicht an Regeln halten wollte und auch gar nicht konnte. Gehen wir davon aus, dass dann auch noch die meisten Frauen gar nicht freiwillig in der Prostitution sind, ist dieses System einfach nur zynisch.
Ich hoffe, in der deutschen Öffentlichkeit findet endlich bald ein Umdenken statt und die Menschen beginnen, sich mit den Frauen zu solidarisieren, statt ihr Leid als „Job“ wie jeden anderen abzutun.
(c) Sophie
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