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“Fuck foward” vom Radio 1 Live (WDR) – eine Erwiderung von Susan

    Autorin: Susan //

    Podcasts sind eine tolle Sache, um dem Hörer spannende Geschichten und bewegende Reportagen nahezubringen.

    Ich liebe sie und höre bei jeder Gelegenheit. Die letzten Sendungen allerdings ließen mich verzweifelt zurück: das Format “Fuck foward” vom Radio 1 Live (WDR) stellt sich ziemlich prostitutionsverherrlichend dar. Ist das gewollt? Völlig unkritisch werden Frauen interviewt, die dem Wunsch des Senders offenbar nahekommen, Prostitution als eine schöne Jobalternative dastehen zu lassen. Fakten zum schwedischen Modell und die harten Tatsachen der Prostitution (Gewalt, Zwang, Ausbeutung) werden totgeschwiegen. Ich habe daher einen Brief geschrieben, lest selbst:

    Sehr geehrtes Team von Radio 1Live,

    ich bin Susan vom Netzwerk Ella, einer unabhängigen und säkularen Interessensvertretung für Frauen aus und in der Prostitution. Wir sind die einzige Survivorinitiative in Deutschland und setzen uns für die Implementierung des nordischen Modells ein, welches bereits in anderen europäischen Ländern umgesetzt wird.

    Sexkauf ist von unserem Standpunkt aus betrachtet Gewalt, und zwar gegen die Frau, welche die sexuellen Handlungen gegen Geld für Freier erbringen muss. Niemals hat die Frau wirklich einen Handlungsspielraum und muss die Wünsche der Kunden zur Zufriedenheit erfüllen, wenn nicht, droht ihr sogar eine Klage, wie unlängst in den Medien zu lesen war.

    Ich habe mit großem Interesse ihre Podcasts verfolgt, alle zum Thema Prostitution und viele aus der Reihe „Fuck forward“. Im Grunde finde ich das Format sogar sehr gut, es klärt auf mit Mythen und bringt dem interessierten Hörer einiges näher, was er sich vielleicht nicht auszusprechen getraut.

    Jedoch haben mich die Podcasts zum Thema Prostitution sehr verstört, zum einen sprechen dort nur Frauen, die den sogenannten „Pro- Lobby Verbänden“ wie BeSD angehören, zum anderen, sind alle völlig unkritisch, gar beschönigend.
    Bezugnehmen möchte ich vorallendingen auf den Podcast mit Metchild aka „Madame Kali“ und Jo Hamburger, dem Sexualpädagogen.

    Folgende Kritikpunkte möchte ich an dieser Stelle an Sie herantragen:

    1) Die fast nebenbei gefallene Einwendung seitens Frau Altzschners, dass es zwar auch Zwangsprostitution gebe, man aber keiner Frau einen Gefallen tun würde, es ihr zu verbieten, wenn sie es denn wirklich wolle- diese Formulierung vermittelt dem Hörer den Eindruck, dass Gewalt und Zwang eine kleine Randerscheinung im Milieu der Prostitution sei, keineswegs aber eine Realtität. Durch bewusste (?) Platzierung von ausschließlich Pro Sexwork Aktivistinnen (Josefa Nereus, Mechthild, Ilan Stephani und auch in einem anderen Format im Video Kristina Marlen) erweckt sich der Eindruck, dass hier eine ganz besonders verherrlichende Sichtweise der Prostitution dargestellt werden soll sowie die Folgen und gesundheitlichen Einschränkungen völlig negiert sind.

    2) Die absolut unkritische Darstellung eines Zuhörers, der seine Freundin zum Kuschelsex „nutzt“, hingegen aber bei „One Night Stands“ (womöglich auch prostituierte Frauen?) den Frauen gern ins Gesicht ejakuliert ist geradezu unerträglich. Immer wieder wird das Hurenstigma kritisiert, das tun wir ebenso wie die Pro- Aktivistinnen, und es ist niemandem geholfen, die Ursachen dieses Stigmas nicht zu benennen. Diese Verursacher sind die Männer selbst, die Frauen in „Huren und Heilige“ unterteilen, mit den Huren können sie eh machen was sie wollen, sie sind ja ohnehin keiner guten Behandlung würdig? Wie man ein derart frauenverachtendes und sexistisches Weltbild in einer Sendung des öffentlich rechtlichen Rundfunks unkritisch stehen lassen kann, ist mir unbegreiflich. Diese durch Männer transportierten, erniedrigenden Frauenbilder schaden allen Frauen und insbesondere den Prostituierten, die diese unsäglichen Gewaltphantasien jeden Tag ertragen müssen. Solche Pornophantasien und Gewalt gegen Frauen als einen harmlosen Fetisch abzutun, wie es in der Sendung den Eindruck erweckt, ist beängstigend.

    3) Die völlig unkritische Annahme, dass das nordische Modell kein akzeptabler Weg sei, Menschenhandel und Prostitution einzudämmen, indem die Nachfrage bestraft wird. Madame Kali kann einfach unbelegt Thesen in den Raum stellen, die von Jo Hamburger und Frau Altzschner nicht weiter, als mit bloßer Zustimmung und der Beurteilung von“ Rückschrittlichkeit“, kommentiert werden. Einstimmig scheint man der Meinung zu sein, dass das nordische Modell etwas ganz furchtbares ist, was auf jeden Fall in Deutschland verhindert werden muss.
    Indess kein Wort zu den 80 ermordeten Prostituierten seit 2002, kein Wort zu Zwangsprostitution, kein Wort zu den Verhältnissen in Schweden, wo es mittlerweile gesellschaftlicher Konsens ist, dass man Frauen nicht kauft. Sicherlich hat jedes Gesetz seine Schwachstellen, jedoch ist das nordische Modell nicht umsonst in anderen europäischen Ländern implementiert worden und hat dort die Nachfrage nach Sex , Mädchen und Frauen nachweisbar eingedämmt. Eine derart unreflektierte Haltung zum Thema in einem öffentlich rechtlichen Sendeformat ist einfach unsäglich.

    Ich selbst habe viel Gewalt in der Prostitution erfahren, und dass obwohl mich niemand gezwungen hat einzusteigen, obwohl ich eine Frau deutscher Abstammung bin und über eine Ausbildung verfüge. Prostitution ist Gewalt gegen alle Frauen, auch die nicht- Prostituierten werden durch dieses System erheblich benachteiligt. Es zementiert die Ungleichheit der Geschlechter und es stimmt mich nachdenklich, dass beim WDR derart prostitutionsverherrlichend und unkritisch dem Hörer suggeriert wird, es handele sich hierbei um einen normalen Job der nebenbei auch ganz viel Spaß macht.
    Das ist gefährlich und sehr naiv und entspricht keineswegs der Lebensrealität aller prostituierter Frauen, ich selbst kenne keine Einzige, die es mit Freude macht, und die Zahlen sprechen absolut für sich: aus den Armenhäusern der Welt kommen Frauen und Mädchen zu uns, um hier ausgebeutet zu werden. Ein Freier unterscheidet nicht, ob eine Frau es freiwillig macht oder nicht, es ist ihm im Zweifel völlig egal, und auch Minderjährigkeit ist kein Tabu. Jede Frau wird sagen, dass sie diesen Job gern macht, ob aus Zwang, oder weil sie dem Freier gefallen muss und will. Prostitution ist eine gewaltvolle Scheinwelt, die zu Lasten der Frauen geht, und zwar zu 100%. Es wäre wirklich angemessen, wenn der WDR auch durchaus kritisch zu diesem Thema recherchieren würde.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Susan,

    Huschke Mau und Sophie vom Netzwerk Ella

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