Alle Artikel mit dem Schlagwort: Sexwork

Die Basics Teil 3

Ursprünglich sollte dieser Text einen Überblick geben über die internationalen Abkommen und Menschenrechtskonventionen, die für Prostitution relevant sind. Aber um das Verhältnis von Menschenrechten und Prostitution zu verstehen, braucht es keine seitenlangen Abhandlungen. Denn es gibt da diesen einen Satz: Ein einzelner, kurzer Satz, der das exakte Gegenteil von Prostitution beschreibt. Und der reicht aus. Er beschreibt das Gegenteil davon, wenn einem nachts im Winter der Zuhälter die Jacke abnimmt. Davon, sich im Anschluss für 40€ gegen eine vereiste Mauer ficken zu lassen, um Essen auf den Tisch zu bekommen. Im Wissen, dass von diesen 40€ keine 40€ für Essen übrig bleiben. Das Gegenteil davon, von der Gnade des “Bordellbetreibenden” abhängig zu sein für jede Mahlzeit, jeden Arztbesuch. Weil man die Landessprache nicht spricht, die Gesetzeslage nicht kennt – womöglich nicht mal weiß, wo genau man sich befindet. Die Kunden scheinen es komischerweise nicht zu hinterfragen, wenn die “Sexarbeiterin” sie kaum versteht oder nur auf Englisch kommuniziert. Wenn sich Zuhälter “ihre” Frauen nehmen, wann immer sie Lust dazu haben, wird das im Milieu meist nicht …

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Die Basics, Teil 2

Sprache ist etwas Merkwürdiges. Sie hilft uns, Dinge klar zu benennen, Konzepte abzugrenzen und eine gemeinsame Diskussionsbasis zu finden. Richtig eingesetzt, kann sie Brücken schlagen selbst zwischen den abgelegensten, voneinander entferntesten Positionen. Aber sie kann auch das Gegenteil erreichen. Wenn Sprache zu reinen rhetorischen Kampfmitteln verkümmert und Argumente vorrangig dazu aufgeführt werden, um inhaltsleere Worte anstelle der eigentlichen Debatte mit Bedeutung zu füllen. Ad absurdum geführt wird es dann, wenn wir uns nur noch unterschiedliche Begrifflichkeiten entgegenschreien – die eine ruft „Es heißt Bordellbetreibende!“ die andere „Das sind aber Zuhälter!“. Als „Bordellbetreibenden“ kann ich mir den freundlichen Nachbarn Peter vorstellen, der mehr oder weniger selbstständigen Frauen Räumlichkeiten bietet, damit diese ihrer Tätigkeit nachgehen können. Wenn ich über Missstände nachdenke, frage ich mich, ob Peter die Räumlichkeiten in Ordnung hält und vielleicht ab und zu auch mit den Frauen spricht. Denke ich an den „Zuhälter“ Peter, habe ich ein ganz anderes Bild. Der „Zuhälter“ Peter heißt wahrscheinlich gar nicht Peter, das ist nur ein Pseudonym. Von diesem Peter erwarte ich unechten Charme, um Frauen um den …

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Die Basics, Teil 1

Jeder Mensch kennt es wahrscheinlich, wenn man im Chaos des Alltags das Wesentliche aus den Augen verliert. Wenn man sich über Dinge aufregt, die eigentlich gar nicht wichtig sind, oder in Streitereien gerät, bei denen keiner der Seiten mehr weiß, worum es überhaupt geht. Oder, die Trauma-Variante: Wenn man vergisst, was man schon alles geschafft hat und dass die Bilder und Gedanken im eigenen Kopf eigentlich zur Vergangenheit gehören. Im Alltag ist das menschlich und normal. Mit Routinen, Self-Care-Momenten oder einem warmen Kaffee am Morgen kann man versuchen, zur Ruhe zu kommen und wieder klarer zu sehen. In politischen Diskussionen passiert dasselbe, gerade in der heutigen algorithmen-gesteuerten und klick-finanzierten Zeit. Anstatt sich mit der Sache auseinanderzusetzen, wird der Konflikt über persönliche Attacken und Metadiskussionen auf Nebenschauplätze verschoben. Für alle, die neu auf uns gestoßen sind, und alle, die vielleicht dabei sind, sich in solchen Nebenschauplätzen zu verlieren, möchten wir uns in den nächsten Wochen regelmäßig die Zeit nehmen, um in Ruhe zu rekapitulieren: Wer sind wir, wofür kämpfen wir, warum und wie sind wir zu …

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Schöner Schein für Einschaltquoten

Autorin: Jara Anouk // Der Text einer anderen Ella hat mich dazu inspiriert oder besser ermutigt, mich mit der Verantwortung der Medien in Bezug auf Reportagen über das Rotlichtmilieu zu beschäftigen beziehungsweise zu äußern. Ich selbst war eine Akteurin in mehreren Reportagen mit verschiedenem Inhalt, aber in der Tat jedes Mal mit der Botschaft: „Alles ist freiwillig, alles ist Zucker, ein ganz normaler Job, mit dem sich gutes Geld verdienen und ein tolles Leben führen lässt.“ Fakt aber ist: Es war alles Fake. Anhand einer Reportage mit mir als Domina – als solche habe ich tatsächlich damals begonnen -, an dieser Stelle ein Beispiel zur Verdeutlichung: Gedreht wurde in einem Studio, das ich nicht kannte, mit einem Sklaven, der zuvor noch nie bei mir gewesen war. Darum gekümmert hatte sich die Fernsehproduktionsfirma. Immer gefragt in solchen Reportagen: Ein privater/persönlicher Einblick ins Leben einer Protagonistin. Ich gebe zu, um jenen habe ich mich bemüht, allerdings war der Produktionsfirma klar, dass jener private Einblick in mein Leben nur Show ist. Gedreht wurde in einer Wohnung, in der …

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Schein, Sein und Schuld – Do stop believin’!

Autorin: Ronja // Inspiriert durch zwei andere Ellas habe ich mich nochmal dem Bild der Prostitution gestellt, das ich einmal hatte – und dem, das aber im Gegensatz dazu meiner Realität entsprach. Als Teenagerin entdeckte ich meine Liebe zur Rock Poesie und insbesondere zu einem ganz bestimmten Literaten. Einer, der viel und gern über Rock’n’Roll und Boxen und, kurz und klischeetriefend gesagt, über ‘schwere Jungs’ und ‘leichte Mädchen’ geschrieben hat.Ganz besonders über Domenica [1].Erst nachdem ich viele Jahre später die Prostitution hinter mir lassen konnte, lernte ich, wie tragisch und traurig auch Domenicas Schicksal zuweilen war und dass im folgenden Absatz wohl genau der Rock Poet, der meine Teenagerjahre so prägte, gemeint ist: „Für einen namhaften Dichter, der sie einst als Muse schätzte, habe Domenica, so erzählen andere Freunde, nur noch Verachtung empfunden.“ [2] Damals, lange vor diesem Wissen, war der Samen aber gepflanzt.Durch ihn und sie und andere Frauen im Milieu wie Felicitas Schirow, in deren Café Pssst! ich auch mal anschaffen war und über das ich hier später noch schreiben werde. Und durch …

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Feministischer Verrat

Autorin: Ljubow Kollontai Es gab mal eine Zeit, da wussten Feministinnen, dass Prostitution nichts mit Gleichberechtigung zu tun hat. Dies hieß selbstverständlich nicht, dass man Prostituierte zu verachten hatte, sondern, dass die Institution der Prostitution an sich nicht mit den Idealen der Frauenbefreiung zu vereinbaren war. Denn: Es hat weder mit Befreiung noch mit Gleichberechtigung zu tun, Männern und ihren Orgasmen unter Zuhilfenahme von Frauenkörpern zu Diensten zu sein. Und jene Männer, die auf ihr Recht auf Prostitution pochen haben eines nicht verstanden: Sie verbauen sich selbst die Chance, für eine wirklich sexuell befreite Gesellschaft einzustehen – eine Gesellschaft, in der Sex dann stattfindet, wenn alle Beteiligten ihn hundertprozentig wollen und genießen. Und so ist irgendwann etwas Seltsames geschehen: Innerhalb von wenigen Jahrzehnten hat uns das Patriarchat davon überzeugt, dass Prostitution ein Job wie jeder andere ist und feministisches Empowerment darstellt. Der Stunt war genial: Kritik an der Prostitution selbst ist jetzt frauenfeindlich, denn Frauen hätten ja das Recht dazu, ihren Körper Männern zur Verfügung zu stellen! Durch Talkshows werden reihenweise glückliche Prostituierte gereicht. Was …

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OnlyFans: der moderne SMS-Chat?

Autorin: Ronja // Neulich habe ich auf VICE einen Artikel namens „Dieser Typ verdient als OnlyFans-Account-Manager mehrere 10.000 Euro im Monat“ gelesen und fühlte mich sofort unangenehm an meine 2,5 Jahre im SMS-Chat erinnert. Moment. Wie hängt das eine mit dem anderen zusammen?OnlyFans, diese Plattform, auf der viele weibliche Nutzerinnen erotischen bis pornografischen Foto- und Video-Content gegen Zahlung von ihren „Fans“ veröffentlichen? Und SMS-Chat? Jüngere Lesende hier fragen sich vielleicht gar, was das überhaupt war…Deshalb folgt nun erst ein Blick in die Vergangenheit. Anfang 2006 bin ich in die Prostitution geraten und erst 2017 sollte mir der endgültige Ausstieg gelingen. Von Mitte 2006 bis Ende 2008 zählte aber auch noch etwas anderes als die Prostitution, wie man sie sich vorstellt, zu meinen Berührungspunkten mit all den schädlichen Arten, durch die Sex zur Ware/Dienstleistung erklärt wurde und wird: der SMS-Chat.Ich bin durch meinen damaligen Partner da reingeraten und für eine Weile war ich sogar selbst Betreiberin unseres Chats.Aber was ist/war denn jetzt ein SMS-Chat?Vor vielen Monden hatte noch nicht jeder (potentielle) Freier Flatrates und High Speed …

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Im Escort

Autorin: Eva // “Du bist aufgeschlossen, niveauvoll, selbstbewußt…? Interessiert an Glamour und einem unabhängigen, stilvollen Leben…? Hast gute Allgemeinbildung und Umgangsformen…?” “Ja, klar!” dachte ich mir als junge Frau in den 20ern rund um das neue Jahrtausend in Wien. Es war eine Aufbruchsstimmung.So werben nämlich Escortagenturen um Mädchen und Damen. Seit Jahrzehnten suggeriert uns die Gesellschaft der westlichen Welt, Erotikarbeit ist doch ganz etwas Normales, ein wichtiger Beruf, das älteste Gewerbe der Welt. Einfach toll, oder? Da können sich Frauen und natürlich auch Transgender und Callboys endlich ausleben. In der Realität sieht es dann doch ganz anders aus. Diies kann nur Jemand feststellen, der/die in der Szene war und sich den kritischen Blick bewahrt hat; den nüchternen Blick. Moment, nüchtern? Ah, da beginnt es schon…………..Als Escort ist Dein ständiger Begleiter …der Alkohol. Die Männer lieben es, mit Dir zu trinken; viele von ihnen trinken sehr viel (2-3 Flachen Wein) -täglich.Andere Aufputschmittel bekommt man auch sehr oft angeboten. Der Kunde/Freier will seine Freizeit mit der Escortdame so richtig geniessen, das gehört das für ihn dazu. Die …

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Über das wichtige Gespräch mit Betroffenen/Aussteigerinnen/Überlebenden und warum wir trotzdem oft nicht sprechen (können)…

Autorin: Ronja // Oft gibt es bei Veranstaltungen oder Texten von unseren großartigen Mitstreitenden für das Nordische Modell Fragen, manchmal gar Beschwerden à la: „Wenn Prostitution angeblich für viele Betroffene so schlimm ist, wieso sprechen/schreiben hier nur Menschen, die nie in der Prostitution waren? Daraus kann ja nur folgen, dass das NM gar nicht im Interesse der eigentlichen Menschen in der Prostitution wäre!“ Ich bin diese Haltung, die uns manchmal gar in Rechtfertigungszwang drücken will, so leid!Daher mal ein paar Worte dazu:Wir im Netzwerk Ella bemühen uns nach Kräften, über unsere Erfahrungen und Forderungen zu schreiben. Manchmal geben wir auch schriftliche Interviews. Einige von uns zeigen sogar auf Veranstaltungen oder für filmische Produktionen ihr Gesicht. ABER wir brauchen unsere engagierten und mutigen Mitstreiterinnen, die uns auch dann eine Stimme geben, wenn wir sie nicht haben können oder wollen. Denn viele Frauen, denen der Ausstieg gelingt, wollen all das aus guten Gründen hinter sich lassen. Manche haben inzwischen Familie und einen Beruf, weswegen sie sich erstens nicht öffentlich outen wollen/können und zweitens gar keine Zeit und …

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